- Einleitung der Folge
- Merkmale und Eigenschaften
- Einführung in Bindung und Familiendynamik
- Beziehung zur Mutter
- Beziehung zum Vater
- Über Familienmuster
- Defensive Loslösung, Disidentifizierung und das falsche Selbst
- Geschlechtsspezifische Nonkonformität
- Über Trauma und sexuellen Missbrauch
- Über Beziehungen zu Gleichaltrigen
- Über den Körper und das Körperbild
- Über Beziehungen zu anderen Frauen
- 12 Merkmale der emotionalen Abhängigkeit
- Vier Profile von Frauen mit SSA
- Vier Stadien der Therapie
- Schlussbemerkungen
Einleitung der Folge
Waheed: Hier ist Waheed Jensen, und du hörst „A Way Beyond the Rainbow“ [Ein Weg jenseits des Regenbogens]. Assalamu alaikum wa rahmatullahi ta’ala wa barakatuh und herzlich willkommen zur 10. Folge dieser Podcast-Reihe. Dieser Podcast richtet sich an Muslime, die mit gleichgeschlechtlicher Anziehung (engl. same-sex attraction, SSA) ringen und nach einem Leben streben, das im Einklang mit Allah (swt) und dem Islam steht. Ich bin euer Moderator Waheed Jensen, und ich freue mich sehr, dass ihr heute dabei seid.
Die heutige Folge ist eine wirklich besondere Folge: Wir widmen uns dem Thema weibliche gleichgeschlechtliche Anziehung. Diese Folge baut auf den Themen der letzten Folgen auf, besonders auf den Folgen 7, 8 und 9. Viele der dort besprochenen Aspekte betreffen sowohl Männer als auch Frauen, die mit SSA kämpfen. Doch heute werden wir uns speziell auf Frauen konzentrieren und einige Themen behandeln, die gezielt auf ihre Situation zugeschnitten sind.
Natürlich gibt es viele Überschneidungen, aber auch neue Perspektiven, die wir in dieser Folge vertiefen werden. Männer und Frauen – ob mit oder ohne SSA – können von dieser Folge profitieren. Vielleicht habt ihr selbst Kontakt zu einer Frau mit SSA oder werdet in Zukunft von einer solchen Frau um Unterstützung oder Verständnis gebeten. Sei es eine Freundin, Kollegin, Schwester, Verwandte oder sogar eure Tochter.
Darüber hinaus möchte ich erwähnen, dass viele der Themen, die wir heute ansprechen, auch für Frauen mit Geschlechtsdysphorie oder Geschlechtsidentitätsstörungen relevant sind. Obwohl es hier klare Unterschiede gibt, existieren auch Überschneidungen, die eine Besprechung in dieser Folge lohnenswert machen. Das Thema Geschlechtsdysphorie und Transgenderismus ist ein sehr umfangreiches Feld, das wir inshaAllah in späteren Folgen noch detaillierter behandeln werden. Einige Konzepte, die wir heute oder in früheren Folgen besprochen haben, könnten auch für Menschen mit Geschlechtsidentitätsstörungen hilfreich sein.
Ich möchte diese Folge all meinen Schwestern widmen, die sich auf dieser Reise befinden und mit gleichgeschlechtlicher Anziehung ringen, all den wunderbaren, großartigen Frauen da draußen, die damit kämpfen. Ich möchte sagen: Ihr seid großartig! Ihr seid unglaubliche Menschen. Die E-Mails, die ich von diesen wunderbaren Frauen erhalten habe, waren voller Herzlichkeit und Liebe. Es ist ein besonderer Geist, der ihre Worte durchdringt – voller Wärme, Güte und Zuneigung. Sie haben einen völlig einzigartigen Charakter. Deshalb möchte ich sagen: Es ist mir eine Ehre, mich in dieser Folge speziell an euch zu wenden, und ich hoffe, dass ihr inshaAllah von dieser Folge profitieren werdet.
Zu Beginn dieser Folge möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen: Einige der angesprochenen Themen können bei Frauen mit SSA starke emotionale Reaktionen auslösen. Insbesondere möchte ich auf einen Abschnitt hinweisen, in dem es um Traumata und sexuellen Missbrauch in der Kindheit geht.
Die Hauptreferenz für diese Folge ist das Buch „The Heart of Female Same-Sex Attraction“ (dt. „Der Kern weiblicher gleichgeschlechtlicher Anziehung“) von Dr. Janelle Hallman, das als umfassende Beratungsressource dient. Ich werde inshaAllah einen Link zu diesem Buch in die Folgenbeschreibung einfügen. Wenn du mehr über weibliche SSA erfahren möchtest – sei es, um Betroffenen zu helfen oder therapeutische Ansätze zu verstehen – dann ist dieses Buch ein hervorragender Einstieg.
Dr. Janelle Hallman ist eine lizenzierte Beraterin aus Denver, Colorado, die sich auf weibliche Homosexualität und emotionale Abhängigkeiten spezialisiert hat. Sie ist auch ordinierte Pfarrerin und hält Konferenzen zu Themen wie Sexualität, Geschlechterheilung und Erlösung.
Ich möchte diese Folge mit einem Zitat aus ihrem Buch beginnen:
Frauen mit SSA haben bestimmte Eigenschaften und Beziehungsstile, die auch im therapeutischen Umfeld eine Besonderheit darstellen. Sie sind tiefgründige Denkerinnen, dynamisch und liebenswert. Sie besitzen eine unendliche Fähigkeit, zu geben und anderen zu helfen, und sind äußerst kreativ und leidenschaftlich. Außerdem sind sie erfrischend ehrlich und direkt. Wenn ich mit diesem Buch nichts anderes erreiche, hoffe ich, meinen Respekt und meine Wertschätzung für jede einzelne von ihnen zum Ausdruck zu bringen und sie als die außergewöhnlichen Frauen zu würdigen, die sie wirklich sind. Obwohl sie herausfordernd sein können – oft trotziger, defensiver und offener in ihrer Aggression als andere Klientinnen – ist ihre Authentizität inspirierend. Die Arbeit mit ihnen erfordert mehr Energie, Einfallsreichtum und Engagement, aber sie ist eine bereichernde Erfahrung. Es gibt eine spirituelle Intensität, die bei anderen Klientinnen unerreicht ist. Der Kampf, der um das Leben dieser Frauen geführt wird, geht weit über die normalen Prüfungen und Schwierigkeiten sexueller Versuchungen oder eines geringen Selbstwertgefühls hinaus. Es ist ein Kampf um ihre Seelen und ihre Persönlichkeit. Es gibt eine Kraft, die versucht, ihren Geist und ihre Lebenskraft auszulöschen. Als ihre Beraterin muss ich regelmäßig in die Bresche springen und für sie kämpfen. Ich kämpfe für ihre Stimme, ihr Recht zu leben und zu sein, und für ihre innere und äußere Stärke und Schönheit. Doch diese Frauen zeigen unglaubliche Hartnäckigkeit und Engagement, um angesichts dieses Kampfes zu wachsen und zu heilen.“
Merkmale und Eigenschaften
Waheed: Wie ihr euch vielleicht erinnert, haben wir in Folge 7 die genetischen Aspekte und die temperamentbedingte Veranlagung im Zusammenhang mit gleichgeschlechtlicher Anziehung besprochen. Janelle Hallman erklärt, dass Frauen mit SSA oft außergewöhnliche und wahrscheinlich vererbte Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Dazu gehören beispielsweise eine überdurchschnittliche Intelligenz, eine ausgeprägte Sensibilität und ein feines Gespür für andere Menschen und Beziehungsdynamiken. Sie sind aufmerksam, neugierig und neigen dazu, tiefgehend zu analysieren und zu reflektieren. Darüber hinaus zeigen sie Fähigkeiten und Interessen, die nicht den traditionellen Geschlechterstereotypen entsprechen – etwa eine burschikose Art. Sie haben einen angeborenen Sinn für Gerechtigkeit1, sind talentiert und kreativ, verfügen über beeindruckende Energie und sind oft abenteuerlustig, sportlich und überdurchschnittlich begabt.
Hallman merkt an, dass Eltern von Töchtern mit SSA häufig bestätigen, wie außergewöhnlich ihre Töchter schon in jungen Jahren waren. Eine typische Aussage, die sie von Müttern hört, lautet:
Meine Tochter ist nicht normal. Sie ist wirklich außergewöhnlich. Sie ist in allem überragend.
Frauen mit SSA berichten oft, dass sie schon früh ein besonderes Mitgefühl und ein starkes Interesse an humanitären Anliegen entwickelten. Sie setzen sich leidenschaftlich für Benachteiligte oder Außenseiter ein und zeigen eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich um andere zu kümmern. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass diese Frauen akademisch herausragend sind. Viele haben Abschlüsse auf postgradualer Ebene, wurden mehrfach ausgezeichnet oder haben nationale Anerkennung in ihrem Fachgebiet oder als Sportlerinnen erlangt.
Hallman identifiziert vier zentrale Entwicklungskategorien, die in den Leben von Frauen mit SSA häufig innerlich konfligierend sind: Bindung, die Entwicklung des Selbst, Geschlechtsidentität und Sozialisation. Wir werden im Laufe dieser Folge auf all diese Aspekte näher eingehen, inshaAllah. Es ist wichtig zu betonen, dass der innere Konflikt bei Frauen mit SSA nicht zwangsläufig auf ein schlechtes Umfeld oder Missbrauchserfahrungen zurückzuführen ist. Vielmehr sollte er im Kontext ihrer einzigartigen biologischen und neurologischen Strukturen betrachtet werden, die beeinflussen, wie sie bestimmte Umwelteinflüsse und Erfahrungen verarbeiten.
Einführung in Bindung und Familiendynamik
Waheed: Beginnen wir mit der Betrachtung von Bindungen und der Familiendynamik in der Kindheit von Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung (SSA). Häufig finden sich in ihren Lebensgeschichten Störungen, Belastungen oder Versäumnisse im Bereich der primären Bindung – und zwar von der Geburt an bis weit in die Kindheit hinein. Diese Bindungsprobleme waren möglicherweise tatsächlich vorhanden oder wurden von der betroffenen Frau als solche empfunden. Die Gründe dafür reichen von pränatalen oder geburtlichen Komplikationen bis hin zu später auftretenden Schwierigkeiten, wie dem Tod der Mutter, Adoption, schwerer Krankheit, Scheidung oder anderen Umständen, die zu einer Trennung führten. Auch Defizite oder emotionale Schwächen der Mutter, die sich aus ihrer eigenen Bindungsgeschichte und emotionalen Herausforderungen ergaben, können eine Rolle spielen. Ebenso zählen Missbrauch oder Vernachlässigung durch die Mutter dazu. Schließlich kann die Tochter selbst, aufgrund ihrer Wahrnehmung und Sensibilität oder negativer Schlussfolgerungen und Überzeugungen über die Beziehung zur Mutter, eine defensive Loslösung entwickeln – also eine bewusste oder unbewusste emotionale Abgrenzung.
Versuchen wir also, einige dieser großen Konzepte zu untersuchen. Wichtig anzumerken ist, dass die meisten Bindungsschwierigkeiten und Probleme, die Frauen mit SSA haben, weder auf absichtliches Versagen oder Unzulänglichkeiten der Mutter zurückgeführt werden können, noch soll dies implizieren, dass die Mutter böse Absichten hatte. Selbst wenn sie missbräuchlich war, wiederholte sie möglicherweise nur die Erfahrungen, die sie selbst in ihrer Kindheit gemacht hatte. Jede Frau mit SSA, die versucht, ihr Leben zu verstehen, wird sich irgendwann den Herausforderungen und Umständen im Leben ihrer Mutter stellen müssen – einschließlich deren emotionaler Armut.
Falls ihr euch erinnert: In Folge 7 haben wir betont, dass es nicht darum geht, jemanden zu beschuldigen – und schon gar nicht unsere Eltern. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass unsere Eltern mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihr Bestes gegeben haben. Viele von ihnen wuchsen unter sehr harten Bedingungen auf, und fast alle Traumata oder Probleme, die wir mit ihnen erlebten, waren unabsichtlich – es war einfach die Realität ihrer Situation.
In diesem Zusammenhang berichten Frauen mit SSA häufig, dass das Leben ihrer Mütter oft extrem schwierig war, besonders während der Schwangerschaft. Die Schwangerschaft war manchmal unerwartet oder von Komplikationen geprägt. Mütter sahen sich häufig mit familiären Todesfällen, Umzügen, finanziellen Krisen oder mangelnder Unterstützung konfrontiert. Manche waren aufgrund ihres Gefühls während der Schwangerschaft überzeugt, dass sie einen Jungen erwarten. Es gibt jedoch keine Beweise dafür, dass der Wunsch oder die Annahme der Eltern, ein Kind eines bestimmten Geschlechts zu bekommen, direkt die Geschlechtsidentität, den Selbstwert oder gar die sexuelle Orientierung des Kindes beeinflusst. Einige Spezialisten für die Entwicklung der Geschlechtsidentität geben jedoch zu, dass die Reaktion der Eltern auf ein Kind des nicht bevorzugten Geschlechts nach der Geburt in bestimmten Fällen Einfluss haben könnte. Einige Forscher weisen darauf hin, dass ein weibliches Kind, das mit Unmut oder Depression betrachtet wird, von Geburt an annimmt, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Janelle Hallman teilt diese Ansicht in Bezug auf viele ihrer Klientinnen mit SSA. Erinnert euch an Folge 8, in der wir über intrauterine2 Einflüsse gesprochen haben – was normalerweise im Mutterleib passiert. Viele der Emotionen, die die Mutter verinnerlicht, sowie die Energien, die sie aufnimmt, wirken sich auch auf das ungeborene Baby aus. Unabhängig davon, ob die Erfahrungen während der Schwangerschaft positiv oder negativ waren, haben sie Auswirkungen auf das Kind.
Die Bindungsexperten Levi und Orleans stellten 1998 fest, dass die Erfahrung mütterlicher Inkonsequenz oder der Verlust einer Bezugsperson bei einem Säugling pathologische Trauer auslösen kann. Diese kann zu einer gestörten Entwicklung, emotionaler Abgrenzung und der Unfähigkeit zu lieben und zu vertrauen führen. Solche Erfahrungen können in manchen Fällen eine depressive Grundstimmung für das gesamte weitere Leben schaffen, wie es in der Literatur berichtet wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Frauen mit SSA bereits im Alter von sechs Monaten mehrere traumatische Erfahrungen gemacht haben können. Wenn wir ihr Leben mit Bausteinen vergleichen, fehlen bei vielen bereits in der untersten Schicht zentrale Elemente: Vertrauen ist beeinträchtigt, Bindung ist gefährdet. Dieses kleine, grundlegende Selbst, das zu wachsen versucht, kann zerbrechen.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass beide Elternteile einer Frau mit SSA in Umfeldern aufwuchsen, die von unsicherer Bindung, Beziehungsentzug oder tatsächlicher Vernachlässigung geprägt waren. Die Tatsache, dass viele Eltern in einem ungesunden oder unbefriedigenden Umfeld aufwuchsen, macht sie nicht automatisch zu schlechten Eltern. Viele sind sich der möglichen Bindungsmuster, die sich in ihren Beziehungen zu ihren Kindern und Partnern manifestieren, nicht bewusst.
Beziehung zur Mutter
Waheed: Lasst uns ein wenig über die Beziehung zwischen Mutter und Tochter im Leben von Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung sprechen. Viele dieser Frauen beschreiben die Dynamik mit ihren Müttern als extrem: entweder zu viel Verbundenheit oder zu viel Trennung. Es scheint kein Mittelmaß zu geben.
Diejenigen, die eine übermäßige Nähe oder Verbundenheit mit ihren Müttern erlebten, beschrieben die Mutter-Tochter-Beziehung oft als eine „gegenseitige Vereinnahmung“, bei der gesunde Grenzen verschwammen, anstatt als eine gesunde Bindung. Sie unterschieden sich kaum von ihren Müttern und waren emotional mit ihnen verstrickt. Oft fühlten sie, was ihre Mütter fühlten, als gäbe es eine Art Verschmelzung. Sie machten sich Sorgen über die Traurigkeit ihrer Mutter oder Schwierigkeiten in ihrer Ehe. Manchmal war es für sie sehr schwierig, zwischen den Gefühlen ihrer Mutter und ihren eigenen Gefühlen zu unterscheiden. Viele Frauen – und das wissen ihre Mütter nicht – übernahmen die Rolle der Betreuerin ihrer Mutter. Sie kamen zu der Überzeugung: „Wenn es Mama gut geht, geht es mir auch gut.“
In schweren Fällen mussten diese Töchter, um das Gefühl der Verbundenheit mit ihren Müttern aufrechtzuerhalten, ihre eigenen Bedürfnisse oder Gefühle verleugnen oder für die Sorgen oder Gefühle ihrer Mutter abtun. „Ich habe die Sorgen oder Gefühle meiner Mutter über meine eigenen Bedürfnisse gestellt, bis zu dem Punkt, an dem ich mich selbst verloren habe oder mich völlig vergessen habe.“
Frauen, die in ihren Beziehungen zu ihren Müttern eine übermäßige Distanz oder Abgesondertheit erlebt haben, sprechen oft von einem völligen Fehlen einer warmen emotionalen Verbindung. Sie nehmen ihre Mütter als schön, aber distanziert, stoisch und leer wahr. Sie erklärten, dass ihre Mütter zwar „Mahlzeiten zubereiteten, das Haus putzten, Fahrgemeinschaften bildeten und regelmäßig an Sportveranstaltungen teilnahmen, aber sie nie wirklich präsent waren.“ Die Töchter fühlten sich nicht verbunden. Sie zweifelten daran, dass sich ihre Mütter jemals mit ihren inneren Gedanken oder Gefühlen auseinandergesetzt haben.
Viele Frauen berichten auch, dass ihre Mütter aufgrund einer mütterlichen Depression emotional nicht verfügbar waren. Depressiv zu sein bedeutet nicht, dass die Mutter sich nicht kümmert. Allerdings sind ihre Emotionen und Reaktionen oft betäubt und verzögert, was ihre Fähigkeit einschränkt, eine emotionale Verbindung zu ihrer Tochter aufzubauen. Dieses Versagen bei der Einstimmung auf die Tochter kann also die Mutter-Tochter-Bindung schwächen und ein Gefühl der Distanz zwischen den beiden schaffen. In vielen Fällen waren die Mütter so chronisch depressiv, dass sie sich für ihre körperliche und emotionale Unterstützung ausdrücklich auf ihre Töchter verließen.
Erinnert euch: Wir haben in Folge 7 darüber gesprochen, dass die Mutter die erste Person ist, zu der das Baby eine Bindung aufbaut, egal ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. Aber im Gegensatz zum kritischen Entwicklungsprozess des Jungen, der sich von der Mutter abgrenzt und aus der Welt der Mutter in die Welt des Vaters, die Welt des Männlichen, wechselt, bleibt das Mädchen fest mit der Mutter verbunden und wächst als einzigartiges Individuum in der Welt der Mutter, der Welt des Weiblichen, heran. Sie muss nicht den zusätzlichen Schritt machen, wie es beim Jungen der Fall ist. Der Vater spielt hier eine wichtige Rolle, indem er in die Welt des Mädchens eintritt, um diese besondere Mutter-Tochter-Beziehung zu schützen und das einzigartige Selbst und die weibliche Identität seiner Tochter zu stärken.
Wenn wir darüber nachdenken, ist die Mutter das ursprüngliche und beständige emotionale Zuhause eines kleinen Mädchens. Durch diese warme, sichere und dauerhafte Bindung an die Mutter bildet das Mädchen sein grundlegendes Selbstverständnis aus. Es spiegelt und ahmt die Mutter nach, identifiziert sich mit ihr, versteht sich selbst als Frau und entdeckt schließlich ihre eigene, einzigartige Identität. So lernt sie auch, wie sie Beziehungen zu anderen Menschen eingehen kann. Diese ursprüngliche Bindung an die Mutter dient als Modell für alle künftigen emotionalen Beziehungen.
Aufgrund der inhärenten Unsicherheiten, die sich aus der emotionalen Abwesenheit der Väter und den Ängsten innerhalb der Mutter-Tochter-Beziehung ergeben, berichten Frauen mit SSA regelmäßig, dass sie sich der mütterlichen Fürsorge und Zuneigung zutiefst beraubt fühlen. Sie sprechen oft so, als sei ihre eigene Persönlichkeit, Existenz und Autonomie ständig angegriffen oder sogar von völliger Vernichtung bedroht. Diese Frauen konnten das Gefühl, dass ihre Mutter die Basis ihres autonomen Selbst ist, nicht symbolisieren, wertschätzen oder verinnerlichen. Stattdessen fühlten sie sich unsicher und ausgelaugt, da sie ständig mit dem Stress und den Bedürfnissen ihrer Mütter konfrontiert waren. In gewisser Weise trugen diese Frauen eine erdrückende Last auf ihren Schultern – voller Negativität, Misstrauen und Verlassenheit. Manche geben sogar traurig zu, dass sie ihre Mütter nicht respektieren können.
Beziehung zum Vater
Waheed: So viel also zur Mutter. Was ist mit dem Vater im Leben seiner Tochter? Wie wir bereits gesagt haben, ist ein liebevoller und engagierter Vater essenziell für das gesunde Wachstum und die Entwicklung eines Mädchens. Der Vater muss sich aktiv in die Welt seiner Tochter und die der Mutter einfügen, um die besondere Bindung zwischen Mutter und Tochter zu schützen, indem er seine Frau unterstützt und die einzigartige Persönlichkeit und weibliche Identität seiner Tochter stärkt und hervorhebt.
Die meisten Frauen mit SSA berichten, dass sie sich nicht an diese Art von unterstützender Mitwirkung ihrer Väter erinnern können. Sie beschreiben die Dynamik mit ihren Vätern häufig als extrem: entweder extrem nahe oder extrem distanziert. Viele sprechen von der warmen, freundlichen und lustigen Präsenz ihres Vaters. Als Kinder betrachteten sie sich oft als „Papas Liebling“ oder als seine „besondere Vertraute“. Wenn man jedoch die Nähe zu ihren Vätern genauer betrachtet, stellte sie sich nur dann ein, wenn diese Mädchen selbst in die Welt ihres Vaters eintraten, indem sie an seinen Interessen und Aktivitäten teilnahmen. Zugegeben, viele dieser Mädchen hatten tatsächlich Freude an Aktivitäten, die auch dem Vater gefielen – wie Angeln, Mechanik oder Autos. Doch der Spaß und die Art der Interaktion drehten sich dabei oft mehr um den Vater als um die Tochter. Selten erlebten diese Frauen, dass ihr Vater sich einfühlsam ihren eigenen inneren Gedanken, Gefühlen oder besonderen Interessen widmete, die außerhalb seiner eigenen Welt lagen.
In einigen Extremfällen veränderten viele dieser Frauen Aspekte ihrer eigenen Identität oder wurden ihrem Vater ähnlicher, um ein Gefühl der Verbundenheit mit ihm aufrechtzuerhalten. Einige Töchter hatten den Eindruck, dass ihr Vater sie unbewusst darauf vorbereitete, härter und unabhängiger zu werden. Denn wie bereits erwähnt, besitzen viele dieser Frauen außergewöhnliche sportliche Fähigkeiten oder glänzen akademisch. Ihre Väter übernahmen häufig die Rollen des Trainers, Hauptkritikers oder akademischen Beraters. Dadurch fühlten sich die Mädchen oft unter Druck gesetzt, die oft unrealistischen Standards ihres Vaters zu erfüllen oder seine akademischen Ziele für ihr Leben zu verfolgen.
Viele Frauen glaubten, dass sie ihre eigenen Gedanken, Wünsche und Ziele aufgeben mussten, um die Beziehung zu ihrem Vater aufrechtzuerhalten. Wann immer sie versuchten, ihre Meinung oder Bedürfnisse zu äußern, wurden sie oft mit der Wut ihres Vaters oder mit Vorwürfen konfrontiert, sie seien undankbar für sein Engagement oder seine Hilfe. Sie hatten das Gefühl, dass sie nicht gewinnen konnten: Sie mussten entweder die Beziehung zu ihrem Vater oder sich selbst aufgeben. Viele dieser Frauen hatten als Kinder das Gefühl, dass ihr Vater durch sie einen unerfüllten Kindheitstraum auslebte, was sie mit dem Gefühl zurückließ, benutzt zu werden, statt geschätzt oder gefördert.
Obwohl viele Frauen ihre Väter als Rettungsanker und engste Verbündete bezeichneten, kämpfen die meisten mit dem Gefühl, dass ihre Väter emotional abwesend oder unberechenbar wütend waren. Vielleicht aufgrund ihrer angeborenen Sensibilität berichteten diese Frauen von heftigen Reaktionen auf den Zorn ihres Vaters oder seine kalte, kontrollierende Persönlichkeit oder autoritäre Haltung. Sie entwickelten eine tiefe Angst, die sich oft zu der Überzeugung formte, dass Männer unsicher seien. Um unbewusst ein Gefühl der Verbindung zu ihrem Vater zurückzugewinnen, passten sie sich in manchen Fällen seinem Verhalten an, das sie als aggressiv wahrnahmen. So versuchten sie, sich mit seiner scheinbaren Macht und Stärke zu identifizieren.
Über Familienmuster
Waheed: Lasst uns jetzt ein wenig über die Familienmuster im Allgemeinen sprechen. Viele Mädchen mit SSA wachsen in religiös-konservativen Familien auf. Die Eltern glauben, dass es in erster Linie ihre Aufgabe ist, die Tochter vor negativen äußeren Einflüssen zu schützen. Als Heranwachsende fühlten sich die Mädchen von ihren Eltern kontrolliert und ständig überwacht. Sie hatten nicht das Gefühl, frei Freundschaften schließen zu können, oder sie durften nicht das „normale Verhalten“ von Jugendlichen an den Tag legen, wie zum Beispiel soziale Kontakte zu pflegen. Infolgedessen fühlten sie sich oft übersehen, da ihre Eltern mit großer Angst auf die Kulturen und Umgebungen reagierten, in denen die Töchter funktionieren und leben mussten. Die Mädchen wurden regelmäßig dazu gedrängt, härter zu arbeiten, besser zu werden und vor allem immer brav und angepasst zu sein. Doch egal, wie sehr sie sich bemühten, hatten die Töchter nie das Gefühl, den Erwartungen gerecht zu werden.
So entstand bei ihnen der Eindruck, dass sich ihre Eltern mehr um die äußeren Gefahren, die sie umgaben, kümmerten als um ihre eigenen Gedanken, Gefühle und ihre Einzigartigkeit. Am Ende fühlten sie sich innerlich losgelöst und wie Fremde in ihrer eigenen Familie. Viele Frauen mit SSA, egal ob jung oder alt, berichten, dass sie nie erfahren haben, wie es sich anfühlt, wenn ihre tiefsten Gefühle und Sorgen regelmäßig gehört, geschweige denn verstanden oder gewürdigt werden. Um anderen zu gefallen, lernten sie, alles in sich hineinzufressen. Sie grübelten und verinnerlichten Überzeugungen wie: „Gefühle sind nicht gut“, „Es ist nicht sicher, Gefühle zu zeigen“ oder „Niemand kann mit meinen Gefühlen oder Gedanken umgehen.“
Wenn die Familie einer Frau stark auf Selbstständigkeit und harter Arbeit basierte, verinnerlichte sie möglicherweise die Botschaft: „Es spielt keine Rolle, wie ich mich fühle. Ich muss es einfach tun.“ Viele Frauen mit SSA glauben, dass es eine Tugend ist, unabhängig von jeder Unterstützung zu leben und Schwäche oder Bedürftigkeit niemals zuzugeben. Für einige von ihnen gelten Verletzlichkeit und Bedürftigkeit als ultimative Zeichen von Schwäche. Und das gilt auch für Männer mit gleichgeschlechtlicher Anziehung, wie wir bereits in früheren Folgen besprochen haben. Die Themen sind sehr ähnlich.
Wie bereits gesagt, entwickelt sich das Selbstwertgefühl einer Tochter schrittweise, wenn sie eine warmherzige, unterstützende und empathische Beziehung zur Mutter hat. Dieses Selbst muss sich jedoch von der Mutter abgrenzen können, um eine einzigartige und eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln – nicht wie ein bloßes Anhängsel der Mutter, das sich nur als Teil von ihr fühlt. Es braucht eine gesunde Balance zwischen Autonomie und Bindung.
Damit dies gelingt, muss der Vater aufmerksam sein, seine Tochter wahrnehmen, bestätigen, bestärken und sie darin unterstützen, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten. Viele Frauen mit SSA berichten jedoch, dass sie diesen Differenzierungsprozess nie abgeschlossen haben, um psychologisch und emotional eigenständig zu werden. Sie fühlen sich unbewusst immer noch von ihren Müttern abhängig, während sie zu ihren Vätern, die oft emotional abwesend oder wenig liebevoll waren, keinerlei Beziehung aufbauen konnten. Infolgedessen bleiben sie in diesen Entwicklungsstadien der Abhängigkeit und der Unfähigkeit, sich abzugrenzen, verhaftet und können keine sichere, eigene Identität entwickeln.
Defensive Loslösung, Disidentifizierung und das falsche Selbst
Waheed: Sprechen wir nun über einige der Abwehrmechanismen, die sich daraus ergeben. Um diese überwältigende Unsicherheit und die negativen Gefühle, die mit der Bindung an die Mutter verknüpft sind, zu überleben, haben diese Frauen als junge Mädchen oft unbewusst damit begonnen, sich selbst zu schützen, indem sie Abwehrmechanismen entwickelten. Diese Abwehrmechanismen sind vor allem die defensive Loslösung und die Disidentifizierung.
Falls ihr euch erinnert, haben wir in vorigen Folgen, insbesondere in Folge 7, über das Konzept der defensiven Loslösung gesprochen, das sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung zu beobachten ist. Dabei geht es nicht nur um einen Rückzug in der Kindheit oder darum, keine emotionale Bindung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil eingehen zu wollen, sondern auch um die bewusste oder unbewusste Weigerung, jemals eine Bindung einzugehen. Also wenn ich ein Mann mit SSA bin, möchte ich keine Beziehung zu meinem Vater eingehen, und wenn ich eine Frau mit SSA bin, möchte ich keine Beziehung zu meiner Mutter eingehen.
Bei Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehungskräften geschieht die Loslösung nicht unbedingt aus Angst vor Missbrauch oder körperlichem Schaden durch die Mutter, sondern weil sie Angst haben, mit einem Gefühl der Nichtigkeit zurückgewiesen zu werden. Das Mädchen wäre nicht mehr in der Lage, diese schmerzhafte Enttäuschung zu ertragen. Sie distanziert sich schließlich von der Mutter und möglicherweise auch von Angehörigen desselben Geschlechts. Und diese Loslösung kann sogar in Form von offen feindseligem Verhalten auftreten, wie z. B. in ständiger Fehlersuche, Groll, Kälte und Trotz, oder sie kann sehr verborgen und subtil sein, etwa wenn ein Mädchen scheinbar bei ihrer Mutter bleibt, weil „ich mich ja um meine Mutter kümmern muss“ oder „weil ich hilflos in diese Beziehung verstrickt bin. Ich kann mich einfach nicht völlig loslösen.“ Doch es gibt ein inneres Gefühl der Distanz.
Zusätzlich tritt oft eine sogenannte Desidentifizierung auf. Die Frau mit SSA hat sich als junges Mädchen eher von ihrer Mutter distanziert, anstatt sich mit ihr zu identifizieren. Mit anderen Worten: Die Frauen erinnern sich daran, dass sie sich ihren Müttern nicht ähnlich fühlten und weniger den Wunsch hatten, wie ihre eigenen Mütter zu sein, als andere Frauen es gegenüber ihren eigenen Müttern empfanden. Diese Desidentifizierung gleicht der defensiven Loslösung und ist nicht das Ergebnis eines einmaligen Bruchs, sondern eine fortlaufende Dynamik, die sich ständig wiederholt. Sie ist eine Reaktion gegen die Identifizierung mit der Mutter.
Falls ihr euch erinnert, haben wir in der letzten Folge über die Unterschiede zwischen dem wahren und dem falschen Selbst gesprochen. In einem früheren Lebensstadium fühlen viele Frauen mit SSA, dass sie die Unliebsamen oder die Schlechten sind. Das lässt sie glauben, dass sie selbst der Grund für ihre Einsamkeit und innere Leere sind. Diese Überzeugung war ihnen lieber, als sich der Realität zu stellen, dass Mama oder Papa versagt haben oder alles andere als perfekt waren.
Viele dieser falschen Identitäten tauchen auf und vermitteln ein scheinbares Gefühl der Verbundenheit: „Wenn ich der Helfer bin, werde ich geliebt.“ Oder sie wirken als Schutzmechanismus: „Wenn ich stark und unnahbar wirke, dann bin ich sicher.“ Mit diesen falschen oder geschaffenen Selbstbildern zu leben, bedeutete, dass das Mädchen die meiste Energie darauf verwenden musste, äußere Verhaltensweisen, Einstellungen und Ausdrucksweisen aufrechtzuerhalten, die auf ihr Überleben ausgerichtet waren. Dadurch blieb ihnen wenig Raum, ihr eigenes authentisches Selbst zu entwickeln.
Unbewusst waren sie weiterhin auf die Signale und Reaktionen ihrer Eltern und ihres Umfelds angewiesen, um ihr äußeres Leben und ihr inneres Selbst zu stabilisieren. Als Jugendliche und Erwachsene wurden sie oft sehr abhängig von der Bestätigung ihrer Partner oder Freunde, um sich willkommen und sicher zu fühlen.
Geschlechtsspezifische Nonkonformität
Waheed: Als Kinder zeigten viele Mädchen mit SSA oft Verhaltensweisen und Interessen, die in der Regel als männlich oder geschlechtsuntypisch gelten, wie z. B. Laufen, Fahrradfahren, Bauen, Burgen bauen, Sport treiben und vieles mehr. Sie genossen es, draußen zu sein, und zeichneten sich durch ein bemerkenswertes Maß an Furchtlosigkeit und Aggressivität bei ihren Abenteuern im Freien aus. Es machte ihnen nichts aus, mit Dreck zu spielen oder sich Schrammen oder blaue Flecken zu holen. Sie spielten beispielsweise nicht gern im Haus, kuschelten nicht gern mit Puppen, feierten keine Teepartys und verkleideten sich nicht gern. Sie hatten fast kein Interesse an Tätigkeiten wie Küchen- oder Haushaltsarbeiten. Vielen von ihnen fiel es schwer, „still oder richtig“ zu sitzen, und in vielen Fällen waren sie typische jungenhafte Mädchen.
Da diese Frauen als Mädchen ein natürliches Interesse und eine Freude an diesen geschlechtsübergreifenden Interessen und Verhaltensweisen zeigten, die mit überdurchschnittlichen Leistungen und Fähigkeiten einhergingen, argumentiert Hallman, dass diese geschlechtsuntypischen Eigenschaften höchstwahrscheinlich eine genetische oder biologische Komponente ihrer angeborenen Persönlichkeit oder Natur darstellen.
Jetzt erinnert euch an Folge 7, als wir sagten, dass Untersuchungen zeigten, dass ein Großteil der Männer und Frauen, die sich als homosexuell identifizieren oder SSA haben, im Vergleich zu heterosexuellen Männern und Frauen häufiger geschlechtsübergreifendes oder geschlechtsuntypisches Verhalten in der Kindheit zeigen und dass geschlechtsuntypisches Verhalten in der Kindheit einer der stärksten Korrelationsfaktoren für spätere Homosexualität im Erwachsenenalter ist. Das bedeutet zwar nicht, dass geschlechtsuntypisches Verhalten direkt zu Homosexualität führt, aber es kann dennoch einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung haben. Wichtig ist zu wissen, dass nicht alle Frauen mit SSA sich an geschlechtsuntypisches Verhalten erinnern oder dieses gezeigt haben. Ebenso gibt es geschlechtsuntypische Mädchen, die nie Schwierigkeiten mit Geschlechtsidentität oder gleichgeschlechtlicher Anziehung hatten.
Hinzu kommt, dass viele Frauen mit SSA typischerweise als biologische Frauen geboren werden. Sie waren sich dessen von klein auf bewusst und konnten sich selbst sowie andere korrekt mit entsprechenden Geschlechtskategorien versehen. Sie waren in der Lage, Jungen von Mädchen zu unterscheiden, und sie wussten, dass sie selbst Mädchen waren. Dies ist also der erste Schritt in der Entwicklung der Geschlechtsidentität eines Mädchens. Der nächste Schritt in der Entwicklung der Geschlechtsidentität besteht darin, sich der kulturellen Geschlechtsregeln bewusst zu werden, die Mädchen und Jungen voneinander unterscheiden, und sie diese auch zu verstehen. Normalerweise kann sich ein Mädchen dieser Stereotypen mental bewusst werden. Die Vorstellung, dass ein Mädchen mit Puppen spielt, während Jungen mit Autos spielen, und andere Beispiele, versteht sich von selbst. Und das kann schon im Alter von etwa 26 Monaten geschehen, d. h. zwei Jahre und ein paar Monate.
Die Schwierigkeit in dieser Phase des Lebens von Frauen mit SSA besteht nicht darin, dass sie diese Geschlechtsrollenstereotypen nicht erkennen könnten, sondern darin, dass sie kein Interesse oder keine Vorliebe für diese Eigenschaften und sozialen Rollen haben, die es nur bei Frauen gibt, wie sie in ihren Familien oder in ihren Schulen oder in den Moscheen oder an den Gebetsstätten im Allgemeinen gezeigt werden. Die kulturelle Umgebung vermittelte ihnen oft das Gefühl: „Das interessiert mich nicht. Ich bin sogar angewidert von alledem.“ Und das mag daran liegen, dass das Mädchen selbst geschlechtsspezifische, nicht konforme Interessen hat. Es kann aber auch sein, dass sie sich durch diese weiblichen Eigenschaften und Rollen eingeschränkt oder unterdrückt fühlte. Möglicherweise hat sie sich bereits von ihrer Mutter und den weiblichen Rollen im Allgemeinen abgegrenzt [im Sinne der Disidentifizierung] und das hat bei ihrer Wahrnehmung eine Rolle gespielt.
Um sich als Mädchen und in ihrer weiblichen Identität sicher zu fühlen, mussten diese Mädchen zumindest einige wünschenswerte und respektable Eigenschaften und Züge von Frauen oder gesellschaftlichen Frauenbildern entdecken und sich damit identifizieren. Wenn ein geschlechtsuntypisches Mädchen andere Frauen findet, die dieselben Dinge mögen wie sie selbst, und wenn sie fortlaufende Akzeptanz, Respekt und Bestätigung von ihnen erhält, dass sie ein Mädchen ist, dann sind die Dinge vielleicht sogar unter Kontrolle und stabil und es wird ihr gut gehen [d. h. es wird nichts mit ihr in Bezug auf ihre Entwicklung passieren]. In diesem Fall kann ein Mädchen immer noch ein gesundes Gefühl für Weiblichkeit und Fraulichkeit entwickeln. Aber das ist nicht immer der Fall.
Außerdem kann es sein, dass viele Frauen, die sich als lesbisch identifizieren, in ihrer Kindheit eine formale Diagnose für eine Geschlechtsidentitätsstörung erhalten haben, was später dazu führen kann, dass sie zu Transgendern werden. Und wie gesagt, das ist eine ganz andere Diskussion, zu der wir in späteren Folgen kommen werden inshaAllah. Das Problem ist, dass viele Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung keine anderen Mädchen gefunden haben, die ihre Interessen teilen. Stattdessen fielen ihnen die Jungen auf und sie kamen zu dem Schluss, dass Jungen im Vergleich zu ihren weiblichen Freundinnen, die Teepartys und Puppen bevorzugen, „definitiv lustiger“ waren.
Wenn die Mädchen ihre Eltern beobachteten, sahen sie oft, dass viele Frauen immer nur bedienen und als weniger wert wahrgenommen werden. „Männer sind mächtiger. Sie haben mehr Freiheit.“ Sie sahen auch, dass sie in ihrem eigenen Umfeld, in dem sie aufwuchsen, gezwungen wurden, sich in diese starren Definitionen von Weiblichkeit zu pressen, oder sie wurden beschämt, weil sie glaubten, dass ihre Interessen und Fähigkeiten sie in den Augen anderer unangemessen erscheinen ließen. Diese Form von Demütigung und die Ablehnung der einzigartigen Interessen eines Mädchens kann dazu führen, dass sie anfängt, sich ernsthaft zu fragen, ob es überhaupt gut ist, ein Mädchen zu sein, vor allem, wenn sie bereits ein negatives Bild von weiblichen Geschlechterrollen hat. Sie fragt sich vielleicht, ob sie normal ist, weil sie kein Interesse an diesen traditionellen Frauenrollen hat. Sie könnte sich dann fragen: „Will ich ein Mädchen sein? Möchte ich so sein wie die anderen Frauen in meinem Leben?“ Und das führt zu Schwierigkeiten bei der Bildung ihrer Geschlechtsidentität.
Es ist wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass Mädchen und nicht-stereotype Geschlechtsmerkmale sowie diese Burschikosität, wie z. B. das Tragen von Funktionskleidung, Männerkleidung oder kurzen Haaren, keineswegs direkt ihre Weiblichkeit mindern und in der Regel als normative Variationen individueller Vielfalt betrachtet werden können. Diese Wahrnehmung hängt stark von kulturellen Kontexten ab.
In diesem speziellen Zusammenhang ist jedoch entscheidend, dass ein Mädchen, wenn es beginnt, sich diese Fragen zu stellen und sich in dieser Phase befindet, sich nicht damit zufriedengibt, einfach ein Mädchen zu sein, das Fußball spielt, Sport treibt und sehr aktiv ist – vielleicht sogar besser als die meisten Jungen. Stattdessen beantwortet sie für sich die Frage: „Will ich ein Mädchen sein?“ oder „Will ich so sein wie die anderen Frauen in meinem Leben?“ Wenn die Antwort auf diese Fragen „Nein“ lautet, beginnt sie, das Konzept des Mädchenseins insgesamt abzulehnen. Sollte sie zu dem Schluss kommen, dass es in jeder Hinsicht besser ist, ein Junge zu sein, folgt daraus zwangsläufig der Gedanke: „Ich wünschte, ich wäre ein Junge.“
Wenn ein junges Mädchen regelmäßig in der Fantasie schwelgt, ein Junge zu sein, kann dies sich in einen zwanghaften Wunsch entwickeln. An diesem Punkt entsteht ein tieferliegendes Problem. Es geht nicht nur darum, dass sie aufgrund ihrer angeborenen Begabung oder sportlichen Fähigkeiten stereotype männliche Interessen bevorzugt oder verfolgt. Stattdessen könnte sie bewusst beginnen, diese männlichen Einstellungen und Verhaltensweisen zu entwickeln und zu verstärken, um der gefürchteten Weiblichkeit oder den weiblichen Rollen, die sie als einschränkend oder sogar abstoßend empfindet, zu entkommen.
Während andere burschikose Mädchen, die vielleicht nicht einmal SSA haben, sich gelegentlich lässig maskulin kleiden, beginnen Mädchen mit SSA, auf Jungenkleidung zu bestehen und sich konsequent wie ein Junge zu verhalten. Sie nehmen bestimmte Verhaltensweisen und Manieren an, die bis hin zu extremen Beispielen wie dem Stehen beim Urinieren reichen können. Zudem entwickeln sie eine starke Abneigung dagegen, wie ein Mädchen auszusehen oder sich wie ein Mädchen zu verhalten.
Viele dieser Mädchen identifizieren sich auch mit einem männlichen Aggressor. Sie sind zunehmend von Fantasien über Macht, Aggression und Schutz vereinnahmt. Zu diesem Zeitpunkt leiden sie höchstwahrscheinlich unter einer tief verwurzelten Geschlechtsidentitätsverwirrung.
Viele Frauen mit SSA berichten, dass es ihnen nicht gelungen sei, eine feste Geschlechtsidentität zu entwickeln. Wie einige Mädchen, die die Kriterien für eine Geschlechtsidentitätsstörung erfüllen, fanden manche Frauen mit SSA Sicherheit oder Erleichterung ihrer Ängste, indem sie sich mit männlichen Rollen identifizierten und diese vollständig annahmen. Aber mit wem identifizierten sich diese Frauen tatsächlich? Historische und aktuelle Literatur sowie Forschung über weibliche Homosexualität legen nahe, dass sich viele Frauen mit SSA eher mit ihren Vätern als mit ihren Müttern identifizierten.
Diese Frauen orientierten sich zwar an Jungen und Männern, aber Janelle Hallman hinterfragt, inwieweit sie sich tatsächlich emotional mit ihnen identifizierten. Der Prozess der Identifikation – das Spiegeln eines Vorbilds – basiert auf einer sicheren Bindung, Bewunderung und gegenseitigem Respekt. Selbst wenn diese Mädchen eine Nähe zu ihren Vätern hatten, erlebten sie selten deren Wärme oder Respekt, der auf ihrem wahren Selbst basierte.
In vielen Fällen, in denen ein Mädchen sagt: „Ich habe mich mehr mit meinem Vater identifiziert“, geschah dies aus einer Notlage heraus – möglicherweise, weil sie in der Beziehung zur Mutter ein Gefühl von Machtlosigkeit oder Angst empfand. Diese Identifikation mit dem Vater oder dem Männlichen stellt daher oft einen Abwehrmechanismus dar, einen verzweifelten Versuch zu überleben, und kann nicht als authentische Identifikation interpretiert werden.
Wenn ein Mädchen sich defensiv mit dem Vater oder dem Männlichen identifiziert, um zu überleben und ihre Identität zu schützen, wird der Prozess der sexuellen Differenzierung gestört. Es ist allgemein bekannt, dass Väter eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Geschlechtsidentität und der Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen spielen.
Wir erinnern uns: In Folge 7 wurde erwähnt, dass die sichere Bindung eines Jungen zu seinem Vater die Unterstützung bietet, die er benötigt, um sich von der Mutter sexuell zu differenzieren. Ebenso bietet die sichere Bindung eines Mädchens zum Vater die notwendige Unterstützung, um sich von ihm zu differenzieren.
Unabhängig davon, ob ein Mädchen aktiv versucht, sich von ihrer Weiblichkeit abzugrenzen, kann der Mangel an sexueller Differenzierung mit dem Vater dazu führen, dass sie Schwierigkeiten hat, ihren Körper und ihre Geschlechtsidentität als weiblich anzunehmen.
Viele Frauen mit SSA entwickelten bereits im Alter von drei oder vier Jahren ein tiefes Gefühl der Minderwertigkeit und den Glauben, dass mit ihrer Weiblichkeit etwas nicht stimme. Einige Studien haben gezeigt, dass es im Leben und in den Familien von Mädchen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung mehrere gemeinsame Faktoren gibt, die auch im Leben und in den Familien vieler Frauen mit gleichgeschlechtlichen Anziehungen vorkommen. Dazu gehören unsichere Bindungsmuster, Schwierigkeiten der Eltern bei der Regulation von Emotionen (Affektregulierung), mütterliche Depression oder eine mangelnde Verfügbarkeit der Mutter. Ebenso können starre Geschlechterrollen und elterliche Konflikte eine Rolle spielen.
Darüber hinaus gibt es oft eine erhöhte Sensibilität für die emotionalen Zustände der Eltern und das Bedürfnis, ihnen zu helfen. Viele dieser Mädchen haben Schwierigkeiten, eine emotionale Bindung zu ihrer Mutter aufzubauen, und zeigen geschlechtsuntypische Interessen. Ebenso identifizieren sie sich oft mit dem „Aggressor“, der in vielen Fällen der Vater ist.
Es ist wichtig zu betonen, dass nicht alle Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung unter tiefgreifender Geschlechtsverwirrung leiden. Dennoch verspüren sie häufig ein grundlegendes Unbehagen, Unsicherheit oder eine verzerrte Wahrnehmung von Weiblichkeit.
In den heutigen kulturellen Kontexten gibt es zudem einen zunehmenden Trend, die Realität des Geschlechts zu minimieren oder sogar zu ignorieren, als ob wir geschlechtslose oder androgyne Wesen wären. Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit werden durch geschlechtsübergreifende Darstellungen und Persönlichkeiten zunehmend verschwommen.
Diese kulturelle Vermischung führt dazu, dass junge Frauen – insbesondere solche, die bereits Schwierigkeiten haben, sich mit der Mutter zu identifizieren und sich vom Vater zu unterscheiden – dazu ermutigt werden, diese geschlechtsspezifischen und nicht-geschlechtsspezifischen Bilder als etwas Legitimes und Attraktives zu betrachten.
Mit anderen Worten: Wenn eine Frau mit ihrer Geschlechtsidentität kämpft und all diese widersprüchlichen Botschaften sowie die Verwischung der Geschlechtergrenzen wahrnimmt, könnte sie beginnen, sich mit der Idee des Geschlechtsuntypischen zu identifizieren. Diese Idee wird dann zu einem zentralen Teil ihrer Identität, die sie schließlich vollständig annimmt.
Es ist entscheidend, die Rolle der Kultur in diesem Prozess zu verstehen. Diese kulturelle Mehrdeutigkeit verursacht viele Probleme und stiftet Verwirrung bei jungen Frauen und Männern, die sich sexuell und geschlechtlich entwickeln.
Über Trauma und sexuellen Missbrauch
Waheed: Lasst uns jetzt über Trauma und sexuellen Missbrauch sprechen. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass Trauma und sexueller Missbrauch keine direkte Ursache für SSA bei Frauen sind. Einige Frauen mit SSA haben eine Vergangenheit von sexuellem Missbrauch in der Kindheit, während andere diese Erfahrung nicht gemacht haben. Dennoch kämpfen viele Frauen mit Problemen wie mangelndem Vertrauen, geringem Selbstwertgefühl, Scham, Stimmungsschwankungen, Identitäts- und Intimitätsproblemen. All diese Symptome sind häufige Anzeichen für sexuellen Missbrauch – und das gilt ebenso für Männer mit SSA. Wie wir bereits in Folge 8 besprochen haben, entwickelt nicht jeder, der in der Kindheit sexuell missbraucht wurde, gleichgeschlechtliche Anziehung. Es gibt jedoch einen hohen Prozentsatz von Männern und Frauen mit SSA, die in ihrer persönlichen Geschichte sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlebt haben.
Dr. Colin Ross, ein renommierter Traumaspezialist, weist darauf hin, dass es möglich ist, in einer durchschnittlichen Familie aufzuwachsen – ohne körperliche Vernachlässigung, körperlichen oder sexuellen Missbrauch – und dennoch die Symptome eines Traumas zu zeigen, wie Depressionen, Angstzustände, posttraumatische Belastungsstörung, somatische Beschwerden, Beziehungsschwierigkeiten oder Störungen des Selbst. Ross hinterfragt die traditionelle Definition von Trauma im diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen (DSM) und erklärt, dass Trauma subtil sein oder die Grenzen des Begriffs erweitern kann. Beispielsweise können harsche Kritik, emotionale Abwesenheit, strafender Perfektionismus und andere elterliche Zwänge traumatisch wirken und sich traumatisch auf die Entwicklung auswirken, obwohl sie nicht typischerweise als Trauma anerkannt werden.
Ross betont, dass bei vielen Patienten mit mehreren klinischen Diagnosen die „Fehler des Unterlassens“ (fehlende Fürsorge, Liebe oder Aufmerksamkeit) oft bedeutender sind als die „Fehler des Handelns“ (wie etwa körperlicher Missbrauch). Mit anderen Worten: Das tiefere Trauma liegt oft nicht in dem, was zugefügt wurde, sondern in dem, was gefehlt hat – wie Liebe, Zuneigung, Schutz oder einfach die Gewissheit, für die Eltern besonders zu sein. Ross kommt zu dem Schluss, dass das wahre Trauma in der Störung des Bindungssystems eines Kindes liegt.
Es ist verständlich, warum viele Frauen mit SSA unter den Auswirkungen eines schweren Traumas leiden: Sie haben oft Erfahrungen von unsicheren Bindungen und dysfunktionalen Familienrollen gemacht. Dies trifft ebenso auf Männer mit SSA zu. Viele Frauen mit SSA berichten zudem von klassischen Kindheitstraumata und sexuellem Missbrauch. Studien zeigen, dass Frauen mit SSA häufiger sexuellen Missbrauch erlebt haben als die allgemeine weibliche Bevölkerung. Die Prävalenzraten sexuellen Missbrauchs in lesbischen Bevölkerungsgruppen reichen von 30 bis 56 %, während die allgemeinen Bevölkerungsraten bei 15 bis 32 % liegen.
Viele Studien haben gezeigt, dass Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, im Erwachsenenalter häufiger homosexuelle Erfahrungen machen als Frauen ohne sexuellen Missbrauch in der Kindheit. Frauen mit SSA, die Opfer sexuellen Missbrauchs wurden, berichten von verschiedenen Erfahrungen – von Vergewaltigung, Inzest durch Vater oder Mutter, Missbrauch durch andere Familienmitglieder (Männer oder Frauen) bis hin zu wenigen Übergriffen von Jungen im gleichen Alter. Aufgrund ihrer tiefen Sensibilität und unsicheren Geschlechtsidentität kann bereits ein einziger Übergriff den Selbsthass eines Mädchens festigen und ihr negatives Bild von Männern und Jungen verstärken. Für einige Frauen wird die Überzeugung, dass „alle Männer widerlich und aggressiv“ seien, durch diese Erlebnisse verfestigt.
Die negativen Auswirkungen des Missbrauchs hängen jedoch von mehreren Faktoren ab: von der Verarbeitung des Traumas durch das Mädchen, von der Präsenz unterstützender Eltern oder anderer Mediationsmaßnahmen sowie vom Kontext des Missbrauchs. Mädchen, die häufig mit Jungen spielten, wurden oft Ziel ihrer „kindlichen Neugier“ oder sexueller Experimente. Berichte sprechen davon, dass Jungen Mädchen, die oft mit ihnen spielten, zu unangemessenen Handlungen zwangen, wie etwa sich auszuziehen oder in sexuelle Spielereien verwickelt zu werden. Manche Mädchen durften ihre Schlaf- oder Badezimmertüren nicht abschließen, wurden mit männlicher Nacktheit konfrontiert oder mussten körperliche Nähe zu ihren Eltern zulassen, wie Umarmungen oder Massagen, auch wenn sie es nicht wollten.
Viele Frauen mit SSA gaben offen zu, dass sie Frauen Männern vorziehen, weil sie „genug von der überwältigenden und widerlichen Natur der Männer“ hätten. Sie litten oft auch unter verbalen, emotionalen oder körperlichen Missbrauch. Solche Erlebnisse führten bei diesen Mädchen häufig zu einem tiefen Gefühl der Scham und des „Schlechtseins“. In chaotischen oder gewalttätigen Familien fühlten sie sich oft allein gelassen und als die Einzigen, die „den Wahnsinn“ stoppen wollten.
Unabhängig von der Art des Missbrauchs wird das Leben eines Mädchens nach einer solchen Erfahrung nie wieder dasselbe sein. Wie viele andere Kinder, die Missbrauch oder Trauma erlebt haben, waren diese Mädchen mit den physischen, emotionalen und psychischen Folgen allein gelassen. Dies führte häufig dazu, dass sie unabhängige Persönlichkeiten entwickelten, um sich selbst zu schützen. Schließlich begannen viele von ihnen, Gott zu hinterfragen, Ihm zu misstrauen und falsche Vorstellungen über Sein Wesen und Seine Fürsorge zu entwickeln.
Über Beziehungen zu Gleichaltrigen
Waheed: Lasst uns ein wenig über die Beziehungen zu Gleichaltrigen sprechen. Frauen mit SSA berichten oft, dass sie während ihrer Schulzeit weniger soziale Kontakte hatten und weniger enge Freundschaften zu anderen Mädchen aufbauen konnten als andere Frauen. Viele von ihnen wussten, dass sie nicht zu den anderen Mädchen passten. Einige behaupteten, dass das völlig in Ordnung für sie war, weil sie ohnehin kein Interesse an den “dummen Mädchenkram” hatten. Doch diese Abwehrhaltung verrät oft einen tieferen Schmerz und das Gefühl eines Verlustes. Viele fühlten sich hilflos, weil sie nicht nachvollziehen konnten, warum sie anders waren oder warum es ihnen schwerfiel, Freundschaften zu knüpfen oder aufrechtzuerhalten.
berichten von wiederholten Erfahrungen, bei denen sie absichtlich ausgegrenzt, verraten oder gehänselt wurden. Solche Erlebnisse führten häufig zu Depressionen, einem Gefühl der Unsicherheit und dem Eindruck, in Beziehungen völlig ineffektiv zu sein. Dies verstärkte ihr negatives Selbstbild und ihren Mangel an Selbstwertgefühl – ein Zustand, der besonders tragisch ist, wenn man bedenkt, wie sehr die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, zur Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls bei Mädchen beiträgt. Die wenigen Selbstwertgefühle, die diese Mädchen entwickelten, stammten oft aus äußeren Leistungen oder Erfolgen, anstatt aus gelungenen sozialen oder emotionalen Beziehungen.
Auch wenn viele dieser Mädchen von den Gesprächsthemen oder typischen Aktivitäten ihrer Altersgenossinnen gelangweilt waren, verspürten sie dennoch einen Verlust, weil sie nie wirklich zugehörig waren. Ein Gefühl der Zugehörigkeit ist jedoch entscheidend, damit ein Mädchen ihre eigene weibliche Identität entwickeln und integrieren kann. Als sie älter wurden und in die Pubertät kamen, lehnten viele dieser Mädchen das Tragen von Make-up, High Heels oder andere typische Merkmale weiblicher Identifikation ab. Dennoch fühlten sie sich immer wie Außenstehende, die von außen nach innen schauten, und ihnen fehlte die Möglichkeit, diese wichtige Phase der Geschlechtersozialisation mitzuerleben – das Verständnis dafür, wie Mädchen miteinander umgehen, kommunizieren oder spielen.
Die Sehnsucht nach weiblicher Freundschaft, insbesondere in der Kindheit und Jugend, ist ein wichtiger Teil der Entwicklung. Ebenso bedeutend ist das Gefühl eines “Zuhause seins” bei der Mutter oder innerhalb der eigenen Identität. Fehlen diese entscheidenden Elemente, fühlen sich Mädchen oft verzweifelt. Viele begnügten sich daher mit Freundschaften zu Menschen, die gerade verfügbar waren. Doch in der Jugend entwickelten diese Beziehungen oft Anzeichen von Besitzdenken und wachsender Abhängigkeit, was wir später in dieser Folge näher betrachten werden.
Wenn man diese Situation betrachtet – die fehlende Bindung zur Mutter, die mangelnde Verbindung zum Vater, das Fehlen weiblicher Freundschaften und die Verwirrung über die eigene Identität und Weiblichkeit, gepaart mit einer Angst vor Männern – wird verständlich, warum diese Mädchen eine tiefe Sehnsucht nach dem empfinden, was ihnen fehlt. Viele von ihnen lenkten diese Sehnsucht auf ältere Frauen, Lehrerinnen, den beliebten und hübschen Mädchen in der Schule oder die Mütter ihrer Freundinnen. Diese Frauen wurden zu Objekten ihrer Aufmerksamkeit und Zuneigung, scheinbar in der Lage, die inneren und zwischenmenschlichen Defizite und Verwirrungen zu füllen, die sie empfanden.
Viele Frauen mit SSA berichten, dass sie schon im Alter von vier oder fünf Jahren eine bestimmte Frau oder ein Mädchen bewunderten oder von ihnen träumten. Sie wollten Zeit mit diesen Personen verbringen, von ihnen wahrgenommen, gemocht und geliebt werden. Solche Tagträume waren oft unbewusste Versuche, eine weibliche Identität zu spiegeln und sich damit zu identifizieren. Einige Mädchen begannen sogar, sich auf eine maskulinisierte Identität zu verlassen, um die Zuneigung eines anderen Mädchens zu gewinnen, dem sie nahe sein wollten.
Forscher weisen darauf hin, dass viele jugendliche Mädchen ihre Mutter auch später in der Pubertät weiterhin als die wichtigste Person in ihrem Leben betrachten. Das Bedürfnis nach einer Verbindung zur Mutter bleibt stark, während auch die Beziehung zum Vater eine Schlüsselrolle spielt. Eine kontinuierliche, enge Beziehung zum Vater trägt maßgeblich zum Wohlbefinden und zur Selbstsicherheit heranwachsender Töchter bei.
Das Problem liegt jedoch darin, dass viele Frauen mit SSA auch in ihrer Jugend weiterhin emotionale Distanz zu ihren Eltern – sowohl zur Mutter als auch zum Vater – erfahren. Dies bedeutet nicht zwingend, dass die Eltern lieblos oder abwesend waren, sondern vielmehr, dass das Mädchen sich defensiv, distanziert und desidentifiziert verhielt, was es ihr erschwerte, sich der elterlichen Liebe zu öffnen. Einige Eltern, die von Janelle Hallman befragt wurden, berichteten, dass sie aktiv versucht hatten, eine gesunde Beziehung zu ihren Töchtern mit SSA aufzubauen, vor allem, als sie noch in der Pubertät waren, jedoch das Gefühl hatten, ständig zu scheitern. Sie beschrieben, dass ihre Töchter oft ein extremes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Zeit oder Energie zeigten, oder sie reagierten überempfindlich auf jede vermeintliche Fehlhandlung der Eltern und werteten das als einen Angriff.
In vielen Fällen waren die Mädchen in einem Moment extrem anhänglich, liebten ihre Mütter und suchten körperliche Nähe, nur um sie im nächsten Moment anzuschreien und ihnen vorzuwerfen, sie nicht zu lieben oder zu verstehen. Viele Eltern sagten, sie fühlten sich, als müssten sie “wie auf Eierschalen gehen” – es sei alles sehr unbeständig, unberechenbar, sehr entmutigend und demoralisierend.
Viele Frauen mit SSA berichten, dass sie vor allem in ihrer Jugend und im frühen Erwachsenenalter den Wunsch hegten, von einem Mann wahrgenommen, gemocht und wirklich geschätzt zu werden. Doch ihr Interesse galt nicht irgendeinem Mann. Sie beobachteten, wie viele ihrer Freundinnen Typen hinterherliefen, die in ihren Augen egozentrisch, unreif oder lediglich an oberflächlichen Dingen wie Sex interessiert waren. Frauen mit SSA hingegen sehnten sich nach einer tiefen emotionalen Verbindung zu einem intelligenten, fürsorglichen und respektvollen jungen Mann. Sie wünschten sich eine Beziehung, in der sie auf einer tieferen Ebene verstanden und geschätzt wurden.
Aber viele von ihnen wurden schwer enttäuscht, verraten oder sogar verletzt. Zahlreiche Frauen berichten von Erfahrungen, in denen sie von Männern verraten, schwer enttäuscht oder sogar verletzt wurden. Besonders prägend war für einige die erste Liebe, die ihnen das Herz brach – so sehr, dass sie untröstlich waren und in Depressionen verfielen, oft mit einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit gegenüber dem Leben. Manche Frauen berichten auch, dass sie von einem Freund missbraucht wurden, was ihr Misstrauen gegenüber Männern weiter verstärkte.
Neben ihren eigenen negativen Erfahrungen hörten diese Frauen immer wieder Geschichten über das Verhalten von Männern – sei es von Freundinnen, aus den Medien oder ihrer Umgebung. Dies trug dazu bei, dass sie sich zunehmend von Männern distanzierten. Sie verloren das Interesse an romantischen Beziehungen mit Männern und zogen sich zurück, um Enttäuschungen oder Verletzungen zu vermeiden. Dennoch blieb bei vielen eine gewisse Ambivalenz bestehen: Einerseits wünschten sie sich eine aufrichtige, emotionale Verbindung zu einem Mann, andererseits wurden sie durch ihre bisherigen Erfahrungen und die wahrgenommene Dynamik in ihrem Umfeld abgeschreckt.
Über den Körper und das Körperbild
Waheed: Was ist nun mit dem Körper und dem Körperbild? Als sie in die Pubertät kamen, waren viele dieser Mädchen weder darauf vorbereitet noch erwarteten sie die Veränderungen, die mit ihrem Körper geschehen würden. Sie hingen möglicherweise noch mit Jungen zusammen, versuchten, sich in ihrem Verhalten an ihrem Vater zu orientieren, und zeigten keinerlei Interesse an Weiblichkeit oder damit verbundenen Themen. Wenn sie unbewusst Angst vor ihrem Vater oder vor Männern im Allgemeinen hatten, entwickelten sie oft auch eine Furcht vor Sexualität und ihrer eigenen sexuellen Entwicklung.
Mit dem Einsetzen der Pubertät erlebten viele dieser Mädchen einen Schock oder fühlten sich sogar am Boden zerstört, als sie ihre Periode bekamen oder ihre Brüste zu wachsen begannen. Einige berichten, dass sie sich während der Pubertät – und manchmal sogar noch im Erwachsenenalter – von der Vorstellung, mit Jungen intim zu sein, völlig abgestoßen fühlten. Sie empfanden sexuelle Gespräche oder offenkundig sexuelles Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht als peinlich und beschämend. Stattdessen richteten sie ihr Interesse auf Sport oder akademische Leistungen, anstatt auf Romantik oder Beziehungen – ganz im Gegensatz zu ihren weiblichen Altersgenossinnen, die begannen, das andere Geschlecht zu erkunden, Beziehungen einzugehen, sich zu verloben oder zu heiraten. Für Frauen mit SSA schien diese Welt der Romantik fremd und unverständlich.
In dieser Phase wurde vielen Mädchen mit SSA klar, dass sie anders waren – falls sie dieses Gefühl nicht bereits zuvor hatten. Gleichzeitig wird es in unserer Gesellschaft durch Medien und Kultur verstärkt, dass ein ideales Bild von Weiblichkeit propagiert wird: groß, schlank, schön, attraktiv. Dieses Idealbild ließ viele Frauen mit SSA das Gefühl entwickeln, unzulänglich zu sein, weil sie glaubten, dass sie diesem Bild niemals entsprechen könnten. Sie fühlten sich von diesem Vergleich besiegt, nicht nur, weil sie nicht die körperlichen Merkmale oder genetischen Eigenschaften hatten, um diesem Bild zu entsprechen, sondern auch, weil sie sich ihres Körpers zu sehr bewusst und oft beschämt über ihn waren.
Viele dieser Frauen entschieden sich, ihre weiblichen Körpermerkmale zu verbergen. Sie trugen weiterhin burschikose oder androgyne Kleidung, insbesondere in der Pubertät, um ihre sich entwickelnde weibliche Form zu kaschieren. Diese Entscheidung wurde oft durch ihre Werte motiviert: Sie schätzten menschliche Würde, Gerechtigkeit und Gleichheit und erkannten, dass die sexuelle Objektivierung von Frauen nicht nur Frauen selbst, sondern auch der Gesellschaft insgesamt schadete. Gleichzeitig neigten sie dazu, Frauen, die den Modetrends folgten oder die kulturellen Ideale von Attraktivität verkörperten, mit einer gewissen Verachtung zu betrachten – auch wenn sie insgeheim glaubten, dass mit ihnen selbst etwas nicht stimmte.
Auch jene Frauen, die in ihrer Jugend äußerlich einen weiblichen Stil annahmen, disqualifizierten sich innerlich oft selbst. Sie hielten sich für hässlich und glaubten, dass sie niemals wie ein „richtiges“ Mädchen aussehen oder sich so verhalten könnten, geschweige denn, dass ein netter Mann sie jemals attraktiv finden würde. Dieses Gefühl der Selbstdisqualifikation nahmen viele von ihnen mit ins Erwachsenenalter.
Abgesehen davon, dass sie sich hässlich fühlten, bewegten sich viele dieser Frauen mit versteckten Überzeugungen durch ihre sozialen Netzwerke: Sie sahen sich selbst als peinlich, als Ausgestoßene, als Außenseiterinnen. Sie hielten sich für dumm, wertlos oder sogar für grundsätzlich schlecht.
Über Beziehungen zu anderen Frauen
Waheed: Wie sieht es jetzt mit ihren Beziehungen zu Frauen in der späten Jugend oder im jungen Erwachsenenalter aus? Viele Frauen mit SSA trafen in dieser Phase eine andere Frau, mit der sie sich sofort verbunden fühlten. In der Regel hatten beide Frauen ähnliche Erfahrungen und Lebensauffassungen. Beide waren intellektuell oder sportlich stark, selbstbewusst in Bezug auf ihre Leistungen und Erfolge, aber dennoch unsicher über ihren eigenen Wert. Keine von beiden hatte ein gefestigtes Selbstverständnis. Doch wenn sie sich begegneten, gab es oft einen sofortigen und überwältigenden Moment des Wiedererkennens. Jede sah sich selbst in der anderen und fühlte sich auf eine Weise gekannt und verstanden, wie sie es zuvor nie erlebt hatte. Fast augenblicklich empfanden sie Liebe und fühlten sich geliebt. Sie akzeptierten sich gegenseitig und fühlten sich angenommen – möglicherweise zum ersten Mal in ihrem Leben.
Dieses Gefühl der Akzeptanz und Vertrautheit löste in beiden Frauen eine innere Entspannung aus, als sie dachten: „Sie ist wie ich – also bin ich in Ordnung.“ Für diese jungen Frauen bedeutete dies, endlich das gefunden zu haben, was sie als „Zuhause“ empfanden. Nicht alle gleichgeschlechtlichen Beziehungen entstehen so explosiv oder unmittelbar, doch die meisten basieren auf einem tief empfundenen Vertrauen, einem Gefühl der Sicherheit, gegenseitigem Respekt und Bewunderung. Diese Basis vermittelt das Gefühl, besonders und geschätzt zu sein.
Die tief empfundene Zuneigung zwischen zwei jungen Frauen, die sich in ihrer Einsamkeit begegnen, entfacht oft ein starkes menschliches Bedürfnis nach Nähe – einschließlich körperlicher Nähe. Während es vor Jahrzehnten lange dauern konnte, bis zwei Frauen vielleicht den nächsten Schritt zur körperlichen Nähe gemacht hätten, ermutigt die heutige Gesellschaft Kinder und junge Erwachsene dazu, körperliche Zuneigung und sexuelle Intimität in all ihren Formen zu erkunden. Sinnliche und sogar sexuelle Berührungen zwischen Freunden desselben oder des anderen Geschlechts sind heute entstigmatisiert, auch wenn sie immer noch psychologische und emotionale Auswirkungen haben können.
Und das ist sehr wichtig zu betonen, denn wir wissen, dass zärtliche Berührungen, unabhängig von sexueller Erregung, ein entscheidendes Mittel sind, um Bindung, Bestätigung und ein positives Körpergefühl zu fördern. Zwischen zwei Frauen mit ähnlichen Erfahrungen und Eigenschaften kann diese Art von Nähe ein starkes Gefühl von Wohlbefinden und Geborgenheit erzeugen. Diese Verbindungen können so erfüllend sein, dass es den Frauen sinnlos erscheint, sich die ersehnte Nähe zu verweigern.
Wenn eine Frau diese intensive emotionale Verbindung zu einer anderen Frau in einer Phase erlebt, in der sie Schwierigkeiten in ihren Beziehungen zu Männern hat oder Männer als abstoßend oder fremd empfindet, kann es passieren, dass sie sexuelles Vergnügen mit einer Frau stärker als eine Beziehungserfahrung wahrnimmt. Wenn diese Nähe oder Sinnlichkeit wiederholt Freude bereitet, kann sich ein Muster entwickeln, das die gleichgeschlechtliche Vorliebe und Orientierung weiter verstärkt. Die erste gleichgeschlechtliche Erfahrung kann somit einer der Faktoren sein, die dazu führen, dass eine Frau eine gleichgeschlechtliche Identität annimmt. Es ist sogar möglich, dass eine einzige Erfahrung ausreicht, um diese „lesbische“ Identität vollständig zu akzeptieren und öffentlich anzunehmen – insbesondere in einer Zeit, in der Identitäten wie Homosexualität oder Bisexualität zunehmend gesellschaftlich akzeptiert und gefördert werden, besonders bei der jüngeren Generation.
Für junge Frauen, die sich bewusst oder unbewusst von den Werten ihrer Eltern abgrenzen oder ihre eigene Identität suchen, kann eine „lesbische“ Identität als Möglichkeit erscheinen, all diese Ziele zu erreichen. Doch für viele dieser Frauen, insbesondere für jene, die ihren religiösen Werten treu bleiben möchten, sind solche frühen Erfahrungen oft unerwünscht. Sie bringen in einer ohnehin verwirrenden Phase der sexuellen Entwicklung und Identitätsfindung zusätzliche Unruhe. Viele dieser Frauen sind schockiert über ihr Verhalten, fühlen sich zutiefst verunsichert und schämen sich, da sie Angst vor Verurteilung und Ablehnung haben. Oft verbergen sie ihre Erfahrungen und Gefühle, was ihr Gefühl der Isolation verstärkt.
Trotz der Scham und Verwirrung kann ihre erste Erfahrung so prägend sein, dass sie bereit sind, alles zu tun, um diese Beziehung aufrechtzuerhalten – selbst wenn sie lügen, ihre Bedürfnisse verleugnen oder moralische Kompromisse eingehen müssen. Solche Beziehungen sind unglaublich stark und tiefgreifend. Wenn man den Kern von SSA bei Frauen als eine unbewusste oder symbolische Suche nach der Mutter betrachtet – nach einer sicheren Bindung, Selbstwertgefühl, einem Gefühl von Besonderheit und Weiblichkeit – dann fühlen sich Frauen mit SSA oft von anderen Frauen angezogen, die sie für ihre Schönheit, Stärke oder andere positive Eigenschaften bewundern. Durch die Nähe zu und Identifikation mit dieser Frau gewinnt sie ein Gefühl von Eigenwert und Weiblichkeit.
Das Problem dabei ist, dass viele dieser legitimen Bedürfnisse auf verwirrende Weise mit romantischen oder sexuellen Sehnsüchten vermischt werden. Um ihr Verhalten oder ihre gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu ändern, müsste eine Frau diese Sehnsüchte und Entwicklungsprobleme klar vom sexuellen Verlangen trennen. Das ist jedoch nicht einfach. Sexuelles Verlangen ist eine legitime und kraftvolle Komponente im Leben einer Frau, wird jedoch fehlgeleitet, wenn es aus einem tiefen, ungeklärten Bedürfnis nach einer Mutterfigur oder der Suche nach dem eigenen Selbst entspringt.
Viele Frauen mit SSA haben unter Fachleuten gelitten, die davon ausgehen, dass aus homosexuellen Beziehungen nichts Gutes entstehen könne. Doch wenn man diese Beziehungen genauer betrachtet, finden Frauen mit SSA darin oft echte Freundschaft, Zuneigung und sogar ein Gefühl von Familie. Solche Beziehungen können Intimität, Akzeptanz, Zärtlichkeit und Liebe bieten – möglicherweise auf eine Art, die sie zuvor nie erlebt haben.
In solchen Beziehungen ist es wichtig zu erkennen, dass eine Frau vielleicht ihre erste echte beste Freundin gefunden hat. Sie fühlt sich vielleicht zum ersten Mal wirklich geschätzt, genossen und akzeptiert, so wie sie ist. Sie könnte erstmals in ihrem Leben auf zwischenmenschlicher Ebene wachsen und ein tieferes Verständnis für sich selbst entwickeln. Gleichzeitig erlebt sie möglicherweise ein neues Gefühl von Zugehörigkeit und Selbstwert. Einige Frauen lernen von ihrer Freundin mehr über weibliche Aspekte, andere erleben zum ersten Mal ein Gefühl von Familie. Sie könnten bedeutungsvolle Beziehungen zu Menschen im Umfeld ihrer Freundin aufbauen, beispielsweise zu deren Geschwistern oder Kindern, und sogar eine Gemeinschaft von gemeinsamen Freunden schaffen. Manche berichten, dass sie durch diese Beziehung eine tiefere Verbindung zu Gott entwickeln konnten.
Leider besteht die Gefahr, dass Frauen mit SSA, die solche Beziehungen suchen, um ungelöste Defizite und Traumata aus der Kindheit zu kompensieren, unbewusst in eine extreme emotionale Abhängigkeit von ihrer Freundin geraten. Dies kann ihren eigenen Wachstums- und Heilungsprozess blockieren oder gar verhindern. Emotionale Abhängigkeit zeigt sich auf viele Arten. Eine davon ist das konstante Bedürfnis, für die andere Person da zu sein und sie zu versorgen, weil dies als essenziell für die eigene Sicherheit empfunden wird. Gedanken wie „Ich muss immer präsent sein und mich um diese Person kümmern, nur dann fühle ich mich sicher“ sind typisch für diese Dynamik.
Diese Fürsorge kann sich in Formen wie ständiger Aufmerksamkeit, Bewunderung, Beratung oder Zuspruch zeigen. Es kann bedeuten, viel Zeit miteinander zu verbringen oder sich auf die andere Person zu konzentrieren, während eigene Bedürfnisse in den Hintergrund treten. In extremen Fällen wird die eigene Existenz an die Nähe zur anderen Person gekoppelt, sodass der Verlust dieser Beziehung als existenzielle Bedrohung empfunden wird, wie es von einigen Fachleuten beschrieben wurde.
In einer gesunden Beziehung können beide Partner sich gegenseitig stützen und helfen, wenn ihre eigenen Ressourcen nicht ausreichen, um eine Herausforderung zu bewältigen. In solchen Beziehungen fühlt sich eine Frau sicher und gefestigt. Sie ist in der Lage, zu geben und zu empfangen, ohne dass die Beziehung von Übermaß oder Abhängigkeit geprägt ist. Emotionale Abhängigkeit hingegen hat oft den Charakter einer kindlichen Bindung. Hier wird die Anwesenheit der anderen Person als entscheidend für das eigene Wohlbefinden und die Sicherheit empfunden: „Ich brauche diese Person, um mich zufrieden zu fühlen.“
Während ein gewisses Maß an Bindung/das Gefühl von Geborgenheit lebenslang wichtig bleibt, ist es für Erwachsene entscheidend, dass diese Bindungen nicht von den ungelösten Bedürfnissen der Kindheit bestimmt werden. Viele Frauen mit SSA tun sich schwer damit, diese gesunde Balance zu finden. Stattdessen stehen sie unter dem Einfluss ungelöster Bindungs- und Abhängigkeitsbedürfnisse sowie einer unklaren Differenzierung von ihrer eigenen Identität.
Es ist wichtig zu verstehen, dass diese beiden Kräfte – das Bedürfnis nach Bindung und das entgegengesetzte Bedürfnis nach Abgrenzung und Unabhängigkeit – oft in einem Spannungsverhältnis stehen. Dieses Spannungsverhältnis führt häufig zu innerem Chaos und Verwirrung, was durch tief verwurzelte Instabilitäten in den Beziehungen der Betroffenen noch verstärkt wird.
inige fragen sich vielleicht: „Wie passt es zusammen, dass eine Frau nach außen hin stark, kompetent und erfolgreich wirkt, sich innerlich jedoch zerbrechlich oder unsicher fühlt?“ Diese Frauen scheinen zwei „Ichs“ zu haben: ein äußeres und ein inneres Selbst. Das äußere Selbst präsentiert sich selbstsicher, unabhängig, leistungsorientiert und produktiv. Doch das innere Selbst ist von Unsicherheit, Bedürftigkeit, Scham, Einsamkeit und Angst geprägt. Es fühlt sich schwach, unzulänglich und wertlos.
Diese innere Spaltung – dokumentiert in der Literatur über weibliche Homosexualität – macht die Betroffenen besonders verletzlich. Das innere Selbst, oft als das „kleine Mädchen“ beschrieben, sehnt sich verzweifelt danach, wahrgenommen, anerkannt und geliebt zu werden. Diese Sehnsucht wird oft von einer anderen Frau erkannt, die Stärke zeigt und die Zärtlichkeit dieses inneren Selbstes wahrnimmt und schätzt.
Wenn eine Frau schließlich das Gefühl hat: „Ich werde in meiner Ganzheit gesehen und verstanden“, entsteht ein überwältigendes Gefühl von Wohlbefinden, Selbstwert und Selbstachtung. In diesem Moment scheinen negative Selbstbilder und Zweifel zu verschwinden. Sie fühlt sich ganzheitlich und integriert – doch nur durch die Anerkennung und Zuwendung dieser anderen Frau.
Leider löst diese Erfahrung nicht die zugrundeliegenden negativen Selbstbilder und Gefühle auf. Stattdessen bleibt die Frau abhängig von der Verbindung zu ihrer Partnerin und der Aufmerksamkeit, die sie von ihr erhält. Ohne diese andere Person würde sie in ihr altes Muster aus Selbsthass und Unsicherheit zurückfallen.
Diese Dynamik führt dazu, dass viele Frauen mit SSA in Beziehungen abrutschen, die von einer intensiven emotionalen Abhängigkeit geprägt sind. Diese Verbindungen werden oft als eine „zerfallene Einheit“ beschrieben, in der sich die Identitäten der beiden Frauen zu einer einzigen verstrickten und gegenseitig abhängigen Einheit vermischen. Es handelt sich um eine Verschmelzung zweier „kleiner Mädchen“-Identitäten, die weniger von gegenseitiger Unterstützung als vielmehr von einem gemeinsamen Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung geprägt ist.
12 Merkmale der emotionalen Abhängigkeit
Waheed: Es gibt 12 Merkmale der emotionalen Abhängigkeit, die Janelle Hallman beschreibt. In den Beziehungen lesbischer Paare ist eine Art „Verschmelzung“ zu beobachten, die in den Beziehungen schwuler Männer oder heterosexueller Paare seltener vorkommt. Diese Dynamik ist in lesbischen Beziehungen sehr häufig. Was sind also die 12 häufigsten Merkmale von emotional abhängigen gleichgeschlechtlichen Beziehungen?
- Die Beziehung entsteht sehr schnell oder sehr intensiv und basiert oft auf Idealisierung.
Manchmal genügt ein Blick des Erkennens, um eine Beziehung zu beginnen. Doch leider geht es dabei weniger um die Anerkennung der einzigartigen Identität der anderen Person. Vielmehr handelt es sich um die Wahrnehmung eines „inneren Schreis“ oder eines Identitätskampfes, den man in der anderen Frau erkennt. Trotzdem erlebt eine Frau dies oft als das Finden ihres wahren Selbst. - In der Beziehung geht es um eine Verbindung, nicht um Sex.
Das ist sehr wichtig zu verstehen. Selten steht Sex im Mittelpunkt oder wird zum Hauptfokus dieser Frauen. Im Gegensatz dazu sind Beziehungen von Männern mit gleichgeschlechtlicher Anziehung oft stark von sexuellen Trieben geprägt. Was die körperliche Nähe betrifft, so sehnen sich viele Frauen eher danach, gehalten oder umarmt zu werden, als tatsächlich einen Orgasmus zu erreichen. Berührung ist ein zentrales Bindungsverhalten. Wenn Berührungen in einer solchen Beziehung vorkommen, stärken sie nicht nur die Beziehung, sondern zementieren auch die Bindung und die emotionale Abhängigkeit zwischen den beiden Frauen. - Die Beziehung erfordert eine ständige Verbindung.
Solange die Partnerin emotional involviert und verbunden ist, weiß die Frau, dass sie existiert und dass sie einen Wert hat. Bricht diese Verbindung jedoch ab, kann sie in eine Spirale der Trennungsangst geraten, die ihr inneres Gefühl von Nichtigkeit und Wertlosigkeit offenbart. Viele Frauen fürchten in solchen Momenten regelrecht das „Ausgelöschtwerden“ oder sogar den Tod. - Die Beziehung fördert Verstrickung und den Verlust des Selbst.
Traurigerweise entwickelt sich innerhalb dieser Bindung oft eine widersprüchliche Dynamik. Eine Frau sucht bei ihrer Partnerin nach einem Gefühl von Selbst oder Wohlbefinden. Doch in dem Moment, in dem sie dies tut, verliert sie genau das, was sie sich zu gewinnen erhofft: ihr eigenes Selbstgefühl. - Die Beziehung erfordert Exklusivität.
Eine Beziehung ist nicht ausgewogen oder gesund, wenn sie die einzige Verbindung ist, die eine Frau hat. Eine gesunde Freundschaft entsteht im Kontext einer größeren, unterstützenden Gemeinschaft mit vielen Menschen. Leider sind viele „lesbische“ Beziehungen jedoch so exklusiv, dass sie andere soziale Kontakte abschneiden. - Die Beziehung ist geprägt von Fürsorge.
Sich um eine bedürftige Partnerin zu kümmern, kann für viele Frauen, die historisch die Rolle der Fürsorgerin übernommen haben, stark emotional aufgeladen sein. Oft reicht dies in die Kindheit zurück, in der sie vielleicht die Rolle der Pflegerin oder Beschützerin für ihre Mutter einnahmen. Diese Dynamik setzt sich in solchen Beziehungen häufig fort. - Die Beziehung ist ambivalent.
Irgendwann kann eine Frau spüren, dass die enge Verschmelzung in der Beziehung eine Bedrohung für ihre eigene Existenz oder Individualität darstellt. Sie fühlt sich von der Partnerin erdrückt oder erstickt: „Das ist einfach zu viel. Ich fühle mich gefangen.“ Viele Frauen gehen schon früh in der Beziehung davon aus, dass sie nicht stabil sein wird, was dazu führt, dass sie alte Überlebensmuster und Abwehrmechanismen reaktivieren. - Die Beziehung führt zu Eifersucht und Besitzgier.
Die Unsicherheiten und Ängste nehmen oft immer weiter zu, bis sie panische Ausmaße erreichen. Es entsteht eine starke Besessenheit in der Beziehung. - Die Beziehung ist dramatisch.
Wenn eine Frau das Objekt von Beobachtung und Kontrolle durch ihre Partnerin wird, beginnt sie oft, Distanzierungstaktiken anzuwenden, da sie Raum zum Atmen braucht. Diese Distanz kann die Partnerin jedoch in Panik oder Trennungsangst versetzen. Dies führt zu extremen Maßnahmen: Verführung, Manipulation, Täuschung, Misstrauen oder sogar Drohungen. Eine Frau kann gleichzeitig Nähe suchen und dennoch Wutanfälle bekommen oder ihre Partnerin mit emotionalen Ausbrüchen einschüchtern. In extremen Fällen können solche Dynamiken verbal beleidigend, kontrollierend oder sogar physisch gewalttätig werden. - Die Beziehung ist trennungsresistent.
Selbst wenn beide Frauen sich missbraucht oder benutzt fühlen, fällt es ihnen oft schwer, die Beziehung zu beenden. Dies liegt daran, dass sie ihre eigenen Ängste vor Verlassenwerden oder innerer Schwäche auf die Partnerin projizieren. Sie geloben oft erneut, sich gegenseitig zu unterstützen, obwohl sie in Wahrheit versuchen, sich selbst zu stabilisieren. - Die Beziehung hat ein tragisches Ende.
Beide Frauen spüren häufig, dass das Ende der Beziehung naht. In dieser Phase können Schlaf- und Essgewohnheiten gestört sein. Viele erleben Panikattacken, depressive Episoden oder sogar Selbstmordgedanken. Eine Frau fühlt sich, als würde sie ihr „Zuhause“ verlieren, und kehrt in einen Zustand von „Obdachlosigkeit“ zurück, den sie zuvor erlebt hat. - Die Beziehung ist Teil eines endlosen Kreislaufs.
Jedes Mal, wenn eine Beziehung endet, neigt eine Frau mit SSA dazu, den Verlust auf sich selbst zu beziehen. Sie glaubt, dass sie unzulänglich oder nicht liebenswert ist. Ihr Vertrauen in sich selbst und andere zerbricht. Viele Frauen können die Last von Scham und Enttäuschung nicht tragen. Daher suchen sie erneut Trost, Liebe und Sicherheit in einer neuen Beziehung mit einer anderen Frau. Und so wiederholt sich der Kreislauf.
Hallman schreibt:
Wenn ich eine Frau begleite, die versucht, eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu beenden oder neu zu definieren, muss ich sensibel für die Schwierigkeiten dieser Entscheidung und ihre Fähigkeit, diese durchzuziehen, sein. Sie wird Geduld und Mitgefühl von mir brauchen. Sie braucht auch die Gewissheit, dass Gott da ist und für sie arbeitet. Es ist selten, dass eine Frau eine solche Beziehung über Nacht beenden kann. Vielmehr ist dies ein langwieriger Prozess, in dem sie Stück für Stück ihr Herz und ihre Seele zurückerobert, die sie in der anderen Frau verloren hat. Sie muss die Fragmente ihres wahren Selbst bergen und sie in neue Wahrnehmungen, Eindrücke und Überzeugungen einweben, die aus einer korrigierenden Erfahrung von Liebe, Unterstützung und Akzeptanz entstehen.
Vier Profile von Frauen mit SSA
Waheed: Janelle Hallman beschreibt in ihrem Buch vier Profile von Frauen. Dabei betont sie, dass jede Frau einzigartig und besonders ist. Dennoch hat sie im Laufe der Jahre bestimmte diagnostische, verhaltensbezogene und persönliche Muster bei Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung beobachtet. Auf dieser Grundlage konzipierte sie vier Profile, um die Frauen besser zu verstehen und Behandlungsrichtlinien sowie Ziele zu entwickeln.
Die vier Profile unterscheiden sich deutlich in ihrer Präsentation, ihren diagnostischen Kategorien, Bindungsstilen, Abwehrmechanismen und Persönlichkeitsmerkmalen. Viele Frauen fühlen sich möglicherweise einem Profil näher, können sich aber auch in Aspekten der anderen Profile wiedererkennen. Diese Profile können sich überschneiden, und die Bedürfnisse sowie die vorgeschlagenen Behandlungsmethoden für jedes Profil kommen längerfristig allen Frauen zugute.
Hallman betont, dass die Profile keine starren Kategorien sind, denn Frauen sind dynamische Wesen, was stets berücksichtigt werden muss. Für jedes Profil beschreibt sie die zugrunde liegenden Entwicklungsprobleme, klinischen Symptome, Verhaltensmuster sowie geeignete therapeutische Techniken und Ziele. Da viele dieser Konzepte jedoch fachspezifisch sind und über den Rahmen dieser Folge hinausgehen, werden die vier Profile hier nur kurz vorgestellt.
- Leer, depressiv, zurückgezogen und isoliert
Dieses Profil beschreibt Frauen, die unter tiefgreifenden Entwicklungsdefiziten leiden, die aus wahrgenommenem oder tatsächlichem emotionalem Fehlen oder Vernachlässigung resultieren. Während ihre grundlegenden physischen Bedürfnisse erfüllt wurden, haben sie die Botschaft verinnerlicht, dass ihre Existenz eine Belastung und Unannehmlichkeit sei. Ihr Leben ist von Leere und Einsamkeit geprägt. Sie haben nur wenige Freunde, und diese Freundschaften sind oft einseitig. Sie fühlen sich stärker zu Objekten oder Tieren hingezogen als zu Menschen. In sozialen Situationen fühlen sie sich unwohl und haben das Gefühl, „nicht normal“ zu sein. Es fällt ihnen schwer, soziale Signale zu verstehen oder ihre inneren emotionalen oder psychologischen Dynamiken zu begreifen, geschweige denn auszudrücken. Oft sind sie übergewichtig und äußerlich unauffällig. Ihr Leben verläuft mechanisch, ohne tieferen Sinn oder Zweck, häufig ohne echte emotionale Verbindungen.
Dennoch sind diese Frauen oft talentierte Schriftstellerinnen, Dichterinnen oder Künstlerinnen mit einer gut entwickelten Fantasiewelt. Therapeut*innen sind oft die ersten, die ihr wahres Selbst und ihre außergewöhnlichen Begabungen erkennen und sie in eine echte menschliche Verbindung begleiten. - Hart, wütend, sarkastisch und verbarrikadiert
Frauen dieses Profils haben oft die schlimmsten Traumata oder Missbrauchserfahrungen erlebt, häufig verbunden mit schwerem emotionalen oder körperlichen Verlassenwerden. In einigen Fällen waren ihre Familienumgebungen nicht feindselig, aber die Frauen nahmen unterschwellige Dysfunktionen innerhalb der Familie wahr, die sie negativ beeinflussten. Diese Frauen tragen eine tiefe Überzeugung in sich, dass die Welt ein unsicherer Ort ist. Um sich zu schützen, haben sie eine harte, defensive Haltung eingenommen. Im Gegensatz zum Gefühl von innerer Leere bei Frauen des ersten Profils spüren sie ihre innere Qual deutlich und versuchen, ihre Verletzlichkeit aggressiv zu verdrängen.
Diese Frauen sind oft sind hart arbeitend, fordernd und ungeduldig, aber gleichzeitig zutiefst loyal und fürsorglich, wenn sie jemanden als „sicher“ einstufen. Trotz ihrer Härte haben sie eine immense Fähigkeit, sich um andere zu kümmern, während sie ihre eigenen Bedürfnisse ignorieren. Sie tendieren dazu, die Welt in Schwarz und Weiß zu sehen: Menschen sind entweder „gut“ oder „schlecht“. Sie sind hyperwachsam, erkennen schnell, wer „es verstanden hat“ und wer nicht, und verachten jene, die es nicht tun. Sie sind brutal ehrlich, direkt und hochintelligent, oft jedoch explosiv und schwierig, was sich in lauten und konfliktreichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen zeigt. Häufig sind sie maskulinisiert in ihrer Erscheinung, Gestik und Haltung. - Energisch, fürsorglich, dramaorientiert und „nie zu Hause“
Diese Frauen haben im Vergleich zu den ersten beiden Profilen selten traditionelle Traumata oder Vernachlässigungen erlebt. Dennoch litten sie unter subtilen, negativen Beziehungsdynamiken wie familiärer Verstrickung oder starren Geschlechterrollen in ihren Herkunftsfamilien. Obwohl ihre Grundbedürfnisse erfüllt wurden, fühlten sie sich nie als etwas Besonderes oder wirklich als Mädchen anerkannt. Oft übernahmen sie die Rolle der Versorgerin innerhalb der Familie, manchmal auch für ihre Eltern. Trotz dieser Dynamik waren ihre Grundbedürfnisse meist erfüllt, und sie erlebten die größte Stabilität der vier Profile.
Frauen dieses Profils sind oft aktiv, sportlich und überdurchschnittlich erfolgreich. Ihre auffälligsten Merkmale sind ihre Rastlosigkeit und die scheinbare Abhängigkeit von Beziehungsdramen. Sie sind selten „zu Hause“ – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Sie vermeiden es, zur Ruhe zu kommen oder ihre Gefühle zu reflektieren und ignorieren häufig körperliche oder emotionale Anzeichen von Erschöpfung, Krankheit oder beginnender Depression. Wenn sie überwältigt werden, wird das Leben zu einem Ereignis, anstatt ein ruhiger Ort der Erholung zu sein. Dennoch sind sie offen, herzlich und demonstrativer in ihrer Zuneigung als die Frauen der anderen Profile. - Pragmatikerin, perfektionistisch, distanziert und selbstsicher-arrogant
Frauen dieses Profils haben unterschiedliche Hintergründe, kompensieren jedoch ihre Verluste und schützen sich vor Schmerz durch Exzellenz und Erfolg. Sie sind häufig führende Persönlichkeiten in ihrem Fachgebiet, ziehen ihr Selbstwertgefühl aus ihren Errungenschaften und sind oft intelligent und talentiert. Ihr Bedürfnis nach Anerkennung führt jedoch zu Arroganz und Verachtung gegenüber anderen, insbesondere Männern.
Sie sind ausgezeichnete Kommunikatorinnen, debattierfreudig und standhaft in ihren Überzeugungen. Dennoch verbirgt sich hinter ihrer harten Fassade ein Mangel an tatsächlicher Erfahrung in Liebe und Leben. Sie geben ungern zu, dass sie Bedürfnisse haben, und kontrollieren ihre sozialen Umgebungen, um die Illusion der Kontrolle aufrechtzuerhalten. In der Öffentlichkeit sind sie kompetent und stark, privat hingegen fühlen sie sich leer und einsam. Innerhalb emotional abhängiger Beziehungen agieren sie aus der Not und Verzweiflung ihres „inneren kleinen Mädchens“ heraus und zeigen oft borderline-ähnliche Tendenzen. Sie fühlen sich nur in diesen Abhängigkeiten wahrgenommen und geliebt.
Vier Stadien der Therapie
Waheed: Im letzten Teil dieser Folge möchte ich die vier Therapiephasen vorstellen, die Janelle Hallman in ihrem Buch beschreibt. Hallman erklärt, dass die Therapie für Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung (SSA) in vier Phasen unterteilt werden kann: Formung, Transformation, Integration sowie Konsolidierung und Reife. Jede Phase wird in ihrem Buch detailliert beschrieben, sowohl aus persönlicher als auch professioneller Perspektive. Viele dieser Inhalte sind jedoch sehr umfangreich und professionell und sprengen den Rahmen dieser Folge. Ich ermutige alle, die sich für dieses Thema interessieren, das Buch zu lesen, um ein tieferes Verständnis zu gewinnen. Hier werde ich die vier Phasen kurz umreißen, um einen Überblick darüber zu geben, wie der therapeutische Prozess aussieht. In den nächsten beiden Folgen, inshaAllah, werden viele dieser Konzepte noch genauer behandelt.
- Phase 1: Formung
Wie bereits erwähnt, haben viele Frauen mit SSA ein instabiles, unterentwickeltes und negatives Kern-Selbstgefühl. Sie fühlen sich leer, unsicher und von Schamgefühlen überwältigt. Sie sehnen sich danach, von einer anderen Frau berührt und umarmt zu werden, um Bestätigung und ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln. Frauen mit SSA stehen vor einem Dilemma: Ohne ein stabiles und definiertes Selbst können sie keine gesunden Verbindungen zu anderen aufbauen. Gleichzeitig brauchen sie eine gesunde Bindung, um ein stabiles Selbst zu entwickeln. Ohne eine Lösung für dieses Problem überleben Frauen mit SSA in einer Welt der Leere und suchen „Zuhause“ in einer anderen Person. Daraus entstehen emotional abhängige Beziehungen, bei denen sie sich in der Bindung an die andere Person selbst zu entdecken und zu festigen versuchen.
In der ersten Phase zielt die Therapie darauf ab, ein sicheres emotionales Umfeld zu schaffen, das von bedingungsloser Akzeptanz, echtem Mitgefühl und emotionaler Resonanz geprägt ist. Hier kann sie beginnen zu heilen und das innere Fundament aufzubauen, das ihr fehlt. Eine weibliche Therapeutin spielt dabei eine Schlüsselrolle, da sie der Frau die Möglichkeit gibt, Vertrauen zu entwickeln, sich geliebt zu fühlen und ihre Einzigartigkeit zu kultivieren. Durch diese therapeutische Beziehung lernt die Frau neue Wege des Lebens und der Beziehung zu anderen Menschen kennen, während sie gesündere Glaubenssätze und emotionale Muster integriert. Wie in den frühen Kindheitsjahren braucht sie ein externes „Zuhause“, in dem sie sich sicher fühlt und wachsen kann. - Phase 2: Transformation
In dieser Phase lernt die Frau, ihre defensiven und selbstschützenden Haltungen zu überwinden und Fähigkeiten zu entwickeln, die gesunde Beziehungen ermöglichen. Sie entdeckt ihr wahres Selbst und beginnt, authentische und gegenseitige Verbindungen zu anderen aufzubauen.
Hier kommen kognitive Verhaltenstherapie, Kommunikations- und Lebenskompetenztraining sowie Techniken zur Verhaltensmodifikation ins Spiel, um den Umgang mit Verlangen und sexueller Anziehung zu erlernen. - Phase 3: Integration
In dieser Phase geht die Frau tiefer in ihr unbewusstes Selbst, was für viele eine herausfordernde und beängstigende Reise ist. Ziel ist es, die inneren Realitäten – einschließlich widersprüchlicher oder abgelehnter Aspekte – anzuerkennen, zu akzeptieren und zu integrieren.
Diese Phase erfordert intensive Verarbeitungsarbeit: Abwehrmechanismen werden durchbrochen, Projektionen erkannt, und tiefliegende Trauer wird verarbeitet. Gleichzeitig wird die Frau ermutigt, ihre Weiblichkeit anzunehmen, das eigene „Frausein“ zu finden und neu zu definieren. Frauen, die sich auf diese tiefere Arbeit einlassen, erleben oft die tiefgreifendsten und erfüllendsten Veränderungen. - Phase 4: Konsolidierung und Reife
In der letzten Phase wird das Erarbeitete gefestigt. Die Frau beginnt, ihre neuen Identitäten und Beziehungsfähigkeiten zu integrieren und ein neues Verständnis von Beziehungen, insbesondere zu Männern, zu entwickeln. Gruppentherapie oder die Zusammenarbeit mit einem männlichen Therapeuten können in dieser Phase hilfreich sein.
Eine sichere, liebevolle Gemeinschaft aus Männern und Frauen dient als Brücke zwischen der Einzeltherapie und einem breiteren sozialen Kontext. Sobald sich die Frau in solchen Gemeinschaften etabliert hat, benötigt sie möglicherweise keine professionelle Unterstützung mehr.
Dennoch ist dies nicht das Ende ihrer Reise. Mit mehr Selbstvertrauen kann sie neue Kapitel in ihrem Leben beginnen – sei es in einer Ehe, in einem zölibatären Leben oder in der Verwirklichung persönlicher Träume. Diese Phase markiert den Übergang in ein Leben, das von mehr innerer Stabilität und äußerer Freiheit geprägt ist.
Viele dieser Techniken und Themen aus den vier Therapiephasen mögen tiefgehend und sehr professionell wirken, aber in den nächsten beiden Folgen werden wir inshaAllah viele dieser Konzepte behandeln. Die Inhalte der kommenden Folgen gelten sowohl für Männer als auch für Frauen, da diese Phasen für beide gleichermaßen relevant sind.
Schlussbemerkungen
Waheed: Und damit sind wir am Ende der heutigen Folge angekommen. Ich weiß, dass diese Folge inhaltlich ziemlich dicht war, aber wie ihr gesehen habt, sind viele der Konzepte sowohl für Männer als auch für Frauen, die mit gleichgeschlechtlicher Anziehung zu tun haben, relevant. Natürlich gibt es auch einzigartige und spezifische Merkmale, die speziell auf Frauen zutreffen, die mit gleichgeschlechtlicher Anziehung kämpfen.
In der nächsten Folge wird inshaAllah Michael Gasparro aus Kalifornien zu Gast sein. Michael ist ein lizenzierter Therapeut und klinischer Psychologe, der auch mit Dr. Joseph Nicolosi Jr. zusammenarbeitet. Gemeinsam werden wir über das Konzept der reparativen Therapie und der reintegrativen Therapie sprechen und wie sich diese Ansätze von dem unterscheiden, was allgemein als „Konversionstherapie“ bekannt ist. Wir werden darüber sprechen, welche Methoden typischerweise in diesen Therapien verwendet werden, darunter kognitive Verhaltenstherapie, Trauerarbeit, affektfokussierte Therapie sowie der Umgang mit Scham und Trauma im klinischen Kontext.
Zum Abschluss dieser Folge möchte ich ein wunderschönes Zitat von Helen Keller teilen, die sagte:
Einst kannte ich nur Dunkelheit und Stille, mein Leben war ohne Vergangenheit und Zukunft. Doch ein kleines Wort von den Fingern eines anderen fiel in meine Hand, die sich nach Leere klammerte, und mein Herz sprang vor Freude über das Leben.
Vielen Dank, dass ihr heute dabei wart. Ich freue mich darauf, nächste Woche inshaAllah wieder mit euch zu sprechen. Bis dahin wünsche ich euch eine wunderbare Woche, und ich freue mich auf unser nächstes Gespräch am kommenden Freitag, inshaAllah.
Das war Waheed Jensen mit „A Way Beyond the Rainbow“.
Assalamu ’alaikum wa rahmatullahi wa barakatuh.
- Anmerkung ITV: Das ist eigentlich ein wesentlicher Bestandteil der Fitrah im Allgemeinen.
- innerhalb der Gebärmutter liegende
Tags: Homosexualität, LGBT