Intro

OnePath Network (Schwester #1): Der Tod – er ist Teil unserer täglichen Gespräche. Nein, wirklich, wir sprechen ständig über den Tod und das Sterben. Glaubt ihr mir nicht?

OnePath Network (Schwester #2): „Ich sterbe1 buchstäblich für diese Sache“ oder „Nur über meine Leiche.“ „Was für ein langer Tag, ich bin ehrlich gesagt gerade so was von tot.“ Oder: „Ich würde lieber sterben, als das zu tun.“ Ihr habt diese Sätze schon einmal gehört. Warum ist der Tod also eine Realität, die man ignoriert?

OnePath Network (Schwester #1): Genau. Der Tod scheint uns so oft auf der Zunge zu liegen, aber warum denken wir nicht oft darüber nach, wie wir sterben werden?

OnePath Network (Schwester #2): Na ja, genau das ist das Problem. Wir alle brauchen einen Weckruf. Und in dieser Folge hatten wir die Ehre, eine Erinnerung von der Sterbebegleiterin und Bestatterin Schwester Mariam Ardati zu hören, die sich nicht nur auf die Sterbebegleitung spezialisiert hat, sondern ihre Zeit auch für die Aufklärungsarbeit über den Tod an Schulen sowie für die Beratung des Australian National Imam’s Council einsetzt.

OnePath Network (Schwester #1): Diesen Podcast dürft ihr euch nicht entgehen lassen. Also dreht die Lautstärke auf und hört bis zum Ende zu.

Was macht eine Sterbebegleiterin?

OnePath Network (Schwester #2): Assalamu’aleyykum wa rahmatullahi wa barakatuhu Schwester Mariam Ardati, wie geht es dir?

Mariam Ardati: Alhamdulillah, alhamdulillah. Es ist mir eine Ehre, heute bei eurem Podcast mit dabei zu sein. Ich freue mich sehr auf das Gespräch, das wir gleich führen werden.

OnePath Network (Schwester #1): Wir auch. Und wir fühlen uns wirklich geehrt, dich dabei zu haben.

Mariam ArdatiAlhamdulillah. Ich fühle mich geehrt, zur Show eingeladen worden zu sein.

OnePath Network (Schwester #1): Ich denke, wir sollten gleich damit beginnen, das Thema in der Luft anzusprechen, SubhanAllah: Wir werden über den Tod sprechen—eine so ernste Realität! Aber ich denke, viele von uns sind fasziniert, wenn wir zum Beispiel hören, dass du, Schwester Mariam, eine Sterbebegleiterin bist. Das ist sehr… fast schockierend zu hören. Aber dieser seltsamen Faszination muss man entgegentreten: Was genau macht eine Sterbebegleiterin?

Mariam Ardati: Eine Sterbebegleiterin ist sehr ähnlich zu dem, was eine Geburtsbegleiterin am Anfang des Lebens tut. Eine Geburtsbegleiterin unterstützt die Mutter bei der Vorbereitung auf die Geburt ihres Babys – sie lässt sie sozusagen wissen, wie der Prozess, die Reise aussehen würde, und unterstützt sie dann auf dem Weg dorthin. Eine Sterbebegleiterin macht etwas sehr Ähnliches, aber am anderen Ende des Spektrums, am anderen Ende des Lebens. Und was wir für die Menschen tun, die wir unterstützen, ist, dass wir ihnen praktische, emotionale und spirituelle Unterstützung auf ihrem Weg durch das Lebensende und den Übergang in das nächste Leben bieten.

Wie würdest du den Tod beschreiben?

OnePath Network (Schwester #1): SubhanAllah, ich kann mir vorstellen, dass das ein sehr lohnender Beruf ist, der aber auch viele Herausforderungen mit sich bringt. Wie würdest du den Tod beschreiben, so wie du ihn bei deinen Patienten erlebt hast?

Mariam Ardati: Ich denke für mich hat sich in den 18 Jahren, in denen ich im Bestattungswesen tätig bin, herausgestellt, dass das wichtigste Thema, mit dem wir uns als Gemeinschaft befassen müssen, darin besteht, dass wir die Sichtweise, aus der wir den Tod heraus betrachten, ändern müssen. Wir sollten uns mehr auf den metaphysischen Prozess dessen konzentrieren, was nach dem Tod mit der Seele geschieht, d. h. auf die Reise der Seele und auf das, was Allah uns nach dem Übergang von diesem Leben in das nächste versprochen hat. Dies im Gegensatz dazu, sich nur auf das zu konzentrieren, was wir vor uns sehen, nämlich das Verwelken und der Verfall des Körpers, der Schmerz, der mit einer herausfordernden Krankheit am Ende des Lebens einhergeht, der Prozess, durch den sich jemand von dieser Welt löst.

Wir verengen oft den Blick auf die physische Erfahrung allein. Wir schauen auf das Loch im Boden und denken: das ist al-Barzakh. Wir schauen uns an, was die Person hinterlässt, und trauern um diese Verluste. Aber wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir den Tod betrachten, und verstehen, dass er zwar das Ende dieses Lebens ist, aber der Beginn des ewigen Lebens. Und wenn man sich ansieht, was Allah einem versprochen hat, wenn man einmal hinübergegangen ist – was Er den Gläubigen versprochen hat, wenn sie einmal hinübergegangen sind –, dann sollte es nicht so beängstigend sein, wie es die Gesellschaft immer darstellt.

Bauschen wir den Tod auf?

OnePath Network (Schwester #2): Glaubst du, dass wir den Tod auch ein wenig mehr aufbauschen, als wir müssten?

Mariam Ardati: Ich denke, dass in den letzten 90 bis 100 Jahren die gesamte Diskussion über den Tod wirklich nur darauf beschränkt war, was mit jemandem passiert, wenn er in ein Krankenhaus kommt und die Diagnose „Tod“ erhält. Oder wenn jemand plötzlich stirbt, dann sprechen wir plötzlich über den Tod; wir interessieren uns für den Tod. Aber im Alltag denken wir nicht einmal darüber nach.

Natürlich leben wir jetzt in ganz anderen Zeiten, wenn man bedenkt, dass sich im Ausland ein Völkermord abspielt. Wir werden mit Bildern von Horror und Tod in einem Ausmaß überschwemmt, das wahrscheinlich das schlimmste ist, das wir je in unserem Leben gesehen haben. Aber wenn wir nur bis vor den Völkermord zurückgehen, dann beschränkt sich unsere Sicht auf den Tod sehr stark auf das, was in einem Krankenhaus, einem Hospiz oder einer Altenpflegeeinrichtung passiert. Es ist nichts, was in unserem Bewusstsein verankert ist. Und es gibt einen Grund, warum das so ist.

Wenn man ein Jahrhundert zurückblickt, war der Tod normal. Die Menschen wurden krank, starben in den Gemeinden, in denen sie gelebt, geheiratet und Kinder großgezogen hatten. Sie gingen zum Arzt und der Arzt sagte ihnen vielleicht: „Was auch immer Sie haben, wir können Ihnen nicht helfen, wir können es nicht behandeln“, denn man kann den Tod ja nicht behandeln, nicht wahr? Dann gingen sie eben nach Hause und verbrachten die letzten Tage und Wochen mit ihrer Familie.

Die Kinder kamen also rein und sahen ihre Großeltern oder Eltern sterben, und das war eine ganz normale Erfahrung. Sie waren Teil der Sterbebegleitung und der Rituale, die mit der Beerdigung einhergingen. Sie nahmen an der Beerdigung teil, und das war einfach ein natürlicher Teil des Lebens.

Jetzt, wo wir den Tod „versteckt“ haben, sehen wir ihn nicht mehr. Wir reden nicht darüber, wir verstehen ihn nicht, und unsere Vorstellung von der Erfahrung ist oft viel schrecklicher als das, was sie tatsächlich ist. Das ist also die Herausforderung, vor der wir stehen. Wir müssen die Ablenkungen durchbrechen, die uns glauben machen, dass wir ewig leben, dass wir ewig Schönheit, Reichtum und Gesundheit haben werden. Und wir müssen verstehen, dass jeder einen Ausreisepass aus dieser Welt bekommt. Und wenn du nicht darüber nachdenkst, nicht dafür planst und nicht darüber nachdenkst, dann bist du wirklich der Einzige, der verloren ist.

Hat sich die Wahrnehmung des Lebens verändert?

OnePath Network (Schwester #1): Das ist wirklich beeindruckend. Ich nehme an, du hast so viel Zeit damit verbracht, über den Tod nachzudenken – hat das denn deine Einstellung zum Leben und dessen Bedeutung verändert?

Mariam Ardati: Wenn es meine Einstellung zum Leben nicht verändert hat, dann habe ich 18 Jahre Arbeit verschwendet. Man kann dem Tod nicht so ins Auge blicken, wie es Menschen tun, die in diesem Bereich arbeiten, ohne seine Perspektive auf absolut alles zu verändern.

Ich bin der Typ Mensch, der sein Leben nach dem Motto „Ich habe keine Zeit zu verschwenden“ führt. Ich schaue kein Fernsehen. Ich beschränke meine Zeit am Tag auf Dinge, die mir oder meiner Ummah, meinen Kindern oder meiner Familie zugutekommen. Diese auf die Ummah ausgerichtete Sicht auf die Welt hat sich heute mehr denn je verfestigt. Denn man kann die beiden nicht voneinander trennen. Wenn du nicht darüber nachdenkst, wohin du gehst, dann hat dein Leben keinen Kompass – du hast keine Richtung, du hast keinen Sinn.

Menschen, die sich den Tod wünschen

OnePath Network (Schwester #2): SubhanAllah, beim Tod ist es tatsächlich für viele von uns die Angst vor dem Unbekannten. Aber du hast recht—es ist eine Realität, die uns allen garantiert ist. Und während ich das so ausspreche, kommt mir in den Sinn, dass man oft feststellt, dass Menschen die Hoffnung in diesem Leben verlieren und sterben wollen. Das kommt sehr häufig vor. Welchen Rat würdest du Menschen geben, die sich in Zeiten der Trauer den Tod wünschen?

Mariam Ardati: Das ist eine ziemlich große Frage, denn obwohl es menschlich ist, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und immensen Trauer über einen Verlust oder eine Erfahrung, die man durchgemacht hat, zu empfinden, sollten wir uns als Muslime niemals den Tod wünschen. Letztendlich ist die Seele, die diesen Körper antreibt, ein Geschenk, das Allah (az) gehört, von Ihm gelenkt und von Ihm erschaffen wurde, und nur Er bestimmt, wann diese Zeit endet.

Wenn man sich die Welt um uns herum ansieht, ist es jedoch nicht schwer zu verstehen, warum Menschen an diesen Punkt kommen. Es ist wichtig, anzuerkennen und zu verstehen, woher das rührt. Wichtig ist, dass jemand, der sich so fühlt, wirklich Hilfe benötigt. Es ist eine ziemlich ernste Gemütsverfassung, und es ist ein schmaler Grat, daher ist es wichtig, sich Hilfe zu holen.

Wie gehen wir mit der Angst vor dem Tod um?

OnePath Network (Schwester #1): Wie gehen wir mit der Angst vor dem Tod um? Denn es ist ja immer noch wichtig, dass wir [als Muslime] Angst vor dem Tod haben, oder? Es ist immer noch etwas, das uns Angst machen sollte. Wie gehen wir also damit in unserem Leben um?

Mariam Ardati: Die Angst vor dem Tod ist völlig normal. Ich denke, wenn man keine Angst vor dem Tod hätte, wäre etwas nicht in Ordnung. Der Tod bedeutet für uns – wenn wir ihn aus der Perspektive dieser dunya betrachten – das Ende von allem, was wir kennen, alles, was wir lieben und woran wir uns binden. So sehen wir ihn, wenn wir ihn aus einer sehr dunya-Perspektive betrachten.

Wenn wir ein wenig herauszoomen, ist der Tod für uns wie gesagt im Grunde ein Übergang in eine andere Welt. Die Seele hat dies schon einmal durchgemacht. Unsere Seele hat mehrere Übergänge durchlaufen, bevor sie in diese Welt kam, und sie wird weitergehen, nachdem sie diesen Körper abgelegt hat. Sie wird in ein anderes Reich weiterziehen und erneut einen Übergang erleben.

Woher die Angst vor dem Tod kommt, hängt sehr stark davon ab, wer du bist, welche Lebenserfahrungen du gemacht hast und wie sehr du an den Dingen in dieser Welt hängst. Zum Beispiel hängen diejenigen von uns, die Mütter sind, meistens sehr an ihren Kindern. Wir beschützen sie so sehr, machen uns Sorgen um ihre Zukunft und darum, wie sie ihr Leben leben werden. Wenn wir also sterben, während unsere Kinder noch jung sind, ist unsere größte Angst: „Was für ein Leben werden meine Kinder ohne mich führen?“

Wenn ich jemanden am Ende seines Lebens unterstütze, besteht ein Großteil meiner Arbeit darin, diese Angst zu entkräften. Es gibt tatsächlich etwas, das man „Todesangst“ nennt. Menschen leiden tatsächlich darunter, wenn sie über den Tod sprechen oder an einer Krankheit am Lebensende leiden. Wir müssen uns ansehen, was diese Angst bei dieser Person verursacht.

Um auf das Beispiel der Mutter zurückzukommen: Aus islamischer Sicht wissen wir, dass es nicht die Mutter ist, die für das Kind sorgt. Es ist nicht die Mutter, die das Kind beschützt. Es ist nicht die Mutter, die dem Kind das Leben geschenkt hat. Das liegt letztendlich in den Händen Allahs (az). Mit oder ohne dich wird dieses Kind sein rizq erhalten. Mit oder ohne dich wird dieses Kind ein Leben führen, das bereits für es vorherbestimmt ist. Mit oder ohne dich wird es den Schutz Allahs erhalten. Denn sobald dein Kind von deiner Seite weicht, sei es, dass du es zur Schule oder zur Arbeit bringst, steht es nicht mehr unter deinem Schutz, sondern unter dem Schutz Allahs, und das wird so bleiben, ob du nun hier bist oder nicht.

Und wenn wir diese Ängste erst einmal überwunden haben, beginnt die Person sich langsam von den Dingen zu lösen, die sie davon abgehalten haben, das anzunehmen, was Allah ihr gegeben hat. Ich habe so viele Fälle erlebt, in denen Frauen ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht haben, in denen sie ihren Sinn und ihr Ziel verstanden haben und dann bereit waren, loszulassen. Und dann, subhanAllah, ereilt sie der Tod innerhalb weniger Tage.

Aber solange sie an diesen Ängsten festhalten und solange sie nicht in der Lage sind, darüber zu sprechen und sie zu verarbeiten, bleiben sie in einem sehr ängstlichen Zustand. Man kann die Angst in ihren Augen sehen. Sobald man den Raum betritt, kann ich schon sagen, dass wir diese Art von Gespräch führen müssen.

Gespräche über Todesangst

OnePath Network (Schwester #2): Wie sieht dieses Gespräch normalerweise aus? Über welche Themen sprecht ihr, um die Angst vor dem Tod zu nehmen?

Mariam Ardati: Es geht wirklich darum, zu erforschen und tief in die Frage einzutauchen, warum sie dieses Gefühl der Angst verspüren. Worüber machen sie sich eigentlich Sorgen? Und subhanAllah, viele der Ängste im Zusammenhang mit dem Tod – wenn es nicht um Dinge geht, an denen wir hängen und die wir nicht loslassen wollen – dann geht es um Dinge, die wir in der Vergangenheit getan haben und die wir bereuen.

Fast die ganze Reue der Sterbenden steht im Zusammenhang mit den „Fünf vor Fünf“ – also dem berühmten Hadith über die „Fünf vor Fünf“: Was habe ich mit meiner Jugend gemacht, als ich noch jung war, Energie hatte, Eifer hatte, Kraft, eine Stimme. Was habe ich mit dieser Zeit gemacht? Was habe ich mit meinem Reichtum gemacht? Wie habe ich mein Leben verbracht, bevor der Tod mich überkam? Was habe ich mit der Zeit gemacht, die mir gegeben wurde?

Man kann nicht über Leben und Tod sprechen, ohne über die Bedeutung der Zeit zu sprechen. Viele der Dinge, die Sterbende bedauern, hängen mit den Segen zusammen, die Allah (az) uns gegeben hat—und auch mit der Warnung, dass sie uns irgendwann genommen werden. Und wenn du in einem Krankenhausbett oder zu Hause sitzt, außer Gefecht gesetzt, mit deinem Körper, der sich abschaltet, sind das die Dinge, die deinen Geist beschäftigen.

Aber was ist das Gegenmittel gegen diese Angst und Sorge? Es ist Hoffnung. Und uns wird gesagt, dass man im Islam, solange man noch Luft in den Lungen hat, Zeit hat, zu bereuen. Man hat Zeit, aufrichtige taubah zu machen, man hat Zeit für istighfar, man hat Zeit, Du’a zu machen. Also das sind die Dinge, auf die wir uns konzentrieren.

Wir alle leben zwischen zwei Zuständen: der Vergangenheit, also was in der Vergangenheit geschehen ist, und der Zukunft, und wir wissen nicht, was diese bereithält. Aber in der Gegenwart können wir das Beste aus der Zeit machen, die uns noch bleibt.

OnePath Network (Schwester #1): SubhanAllah, es ist eine Frage des Perspektivenwechsels.

Mariam Ardati: Genau. Es geht darum, die Perspektive zu wechseln und dann diese Hoffnung auf der Reise zum Lebensende zu finden. Und subhanAllah, Hoffnung ist ein so faszinierendes Konzept, besonders am Lebensende. Und sie verändert und entwickelt sich je nachdem, in welcher Phase des Sterbens sich die Person befindet.

Wenn zum Beispiel jemand zum ersten Mal mit einer tödlichen Krankheit diagnostiziert wird – wie ich es vor ein paar Jahren mit meiner eigenen Krebserkrankung erlebt habe – wenn dein Arzt dir sagt, dass du Krebs hast, ist dein erster Gedanke: Okay – abgesehen vom Schock und der Ungläubigkeit, diese Diagnose zu hören – es muss doch eine Heilung geben. Was ist die Behandlung? Wo sitzt also deine Hoffnung? Deine Hoffnung sitzt in einer Heilung.

Während die Tests weiterlaufen und du die Ergebnisse siehst und mit den Spezialisten sprichst, könnten sie dir Neuigkeiten bringen wie: „Schau, wir werden diese Behandlung versuchen und hoffentlich wird sie deinen Krebs besiegen.“ Du hast also Hoffnung in die Behandlung, nicht wahr? Dann durchläufst du die Protokolle, du machst die Chemotherapie, die Strahlentherapie, und dann, wenn du dich dem Zeitpunkt näherst, an dem du erneut gescannt werden, um zu sehen, ob sich der Krebs verändert hat, besteht die Hoffnung darin, dass die Scans unauffällig sind. Wenn sie nicht unauffällig sind und man dir mitteilt, dass du dich nun im Endstadium befindest und man nicht mehr viel für dich tun kann und es am besten ist, wenn du nach Hause zu deiner Familie gehst und die Zeit, die dir noch bleibt, in vollen Zügen mit ihnen genießt, dann muss deine Hoffnung wieder neu ausgerichtet werden. Jetzt hoffe ich also: Möge Allah meine Zeit verlängern, damit ich bei meiner Familie sein und ich in ihrer Gesellschaft sein und so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen kann. Und dann, wenn deine Symptome zunehmen und dein Leben sich verschlechtert, ist deine Hoffnung: InshaAllah komme ich morgen mit weniger Schmerzen durch, inshaAllah erlebe ich es, an einem Freitag zu sterben.

Tod an einem Jummah

Eine Patientin werde ich nie vergessen, subhanAllah. Sie hatte keine Familie hier, sie war alleinerziehend. Und ihre größte Angst war, dass niemand an ihrer Janazah teilnehmen würde. Und ich sagte nur zu ihr: „Schwester, mach immer Du’a, dass Allah (az) dir erlaubt, den Ramadan zu erreichen“, denn der Ramadan war buchstäblich nur noch eine Woche entfernt. Sie fiel ins Koma und verstarb vier Tage vor Beginn des Ramadans.

Aber nur um euch mal die Barmherzigkeit Allahs (az) zu zeigen und wie begrenzt unser Verständnis von der hikmah Allahs ist. Wir müssen das einfach akzeptieren und hier kommt tawakkul ins Spiel: Sie starb tatsächlich an einem Freitag. Sie starb an einem Freitag vor Ramadan. Die Moschee war randvoll. Wir passten nicht einmal in den Frauenbereich ihrer Janazah. Ich werde immer emotional, wenn ich diese Geschichte erzähle, weil Allah ihr etwas Besseres gegeben hat. Er gab ihr tatsächlich Reihen um Reihen von Menschen, die dort standen und Du’a für sie machten, während sie Angst hatte, dass niemand auftauchen würde.

Hoffnung ist also ein erstaunliches Konzept, subhanAllah, und sie entwickelt sich ständig weiter. Menschen, die jemanden an seinem Lebensende begleiten, müssen versuchen, diese Hoffnung auf Allahs (az) Barmherzigkeit aufrechtzuerhalten, insbesondere in dieser letzten Phase.

Sich um Familie und Freunde von Sterbenden kümmern

OnePath Network (Schwester #2): Ich habe eine Frage. Ich stelle mir vor, dass du oft sowohl mit der sterbenden Person als auch mit ihren Familienmitgliedern zu tun hast. Als Tochter macht es mir Angst, darüber nachzudenken, wie das für meine eigenen Eltern aussehen könnte. Welche Art von Trost oder welche Art von „Verarbeitung“ bietest du den Familienmitgliedern – den Söhnen, Töchtern, Schwestern und Brüdern der Person, die möglicherweise im Sterben liegt?

Mariam Ardati: Das ist eine wirklich gute Frage, denn der Tod eines geliebten Menschen wird unweigerlich jeden betreffen, der mit dieser Person in Verbindung steht – nicht nur die unmittelbare Familie, sondern auch entfernte Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen. Der Kreis der Auswirkungen, den der Verlust eines geliebten Menschen hat, ist immens. Jede einzelne Seele ist der Mittelpunkt im Universum eines anderen. Wenn ich also in diesen Raum eintrete, in dem ich Sterbende unterstütze, ist es unvermeidlich, dass ich auch die Familie unterstützen muss. 

Interessant ist jedoch, dass die sterbende Person in den meisten Fällen viel weiter ist, was die Akzeptanz ihres Schicksals betrifft, und die Familie damit oft hinterherhinkt. Sie stecken immer noch in der Phase der Verleugnung, sie stecken immer noch in der Phase des „Lass uns eine weitere Meinung einholen, einen anderen Chirurgen fragen, eine weitere Operation durchführen, eine weitere Runde Chemotherapie versuchen“. Und subhanAllah, das allein übt schon großen Druck auf die sterbende Person aus, die sich bereits der Tatsache ergeben hat, dass diese Krankheit sie holen wird. 

Und das soll nicht die Tatsache herabsetzen, dass wir Du’a für shifa machen und an die Wunder Allahs glauben. Aber wir müssen auch verstehen, dass man den Tod nicht heilen kann, richtig? Es gibt ein Heilmittel für jede Krankheit, außer für den Tod. Wenn man also an diesem Punkt im Leben angekommen ist, muss man ein gewisses Maß an Akzeptanz zeigen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Person, die man unterstützt. Denn der ständige Druck, nach einer Heilung zu suchen, kann zu Spannungen führen, wenn diese Person sich selbst dazu entschlossen hat, zu verstehen, dass dies eben ihr Schicksal ist.

Das andere Interessante ist, dass wir in einer Zeit leben, in der wir zwar vernetzter sind als je zuvor – denkt mal nur an eure Geräte. Ich habe in einer Zeit gelebt, in der man, wenn man nicht kontaktiert werden wollte, einfach den Hörer abnahm. Wenn man [heute] einen Anruf verpasst, bekommt man eine WhatsApp-Nachricht. Wenn man diese nicht beantwortet, bekommt man eine Nachricht auf Instagram oder Facebook. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, wie Menschen einen kontaktieren können, und doch sind wir auf zwischenmenschlicher Ebene sehr distanziert.

Manche Leute denken, dass ich meiner Mutter gegenüber meiner Pflicht genüge tue, wenn ich sie einmal pro Woche anrufe oder ihr eine Nachricht schicke, wann immer mir danach ist. Das führt dazu – und das ist, was ich allmählich zu sehen beginne und was ziemlich beunruhigend ist –, dass man, wenn man am Lebensende keine sehr enge Beziehung mehr hat, insbesondere nicht zu seinen Eltern, nicht weiß, was ihnen Trost spendet. Denn jeder Mensch ist anders wenn es darum geht, was einem Trost schenkt.

Vielleicht gibt es jemanden, der sich unwohl fühlt, wenn er hört, dass der Qur’an regelmäßig in seinem Zimmer abgespielt wird, sich aber sehr wohl fühlt, wenn jemand neben ihm sitzt und ihn aus dem mushaf rezitiert. Manche Menschen mögen es, wenn das Licht gedimmt ist, andere mögen es hell. Manche Menschen mögen es, wenn man sie massiert, weil sich besonders gegen Lebensende viel Flüssigkeit im Körper ansammelt. Andererseits gibt es Menschen, die gar nicht berührt werden wollen. Woher weißt du, was deiner Mutter oder deinem Vater oder deiner Schwester Trost spendet, wenn du keine enge Beziehung zu ihnen hast? Das ist etwas, worauf wir sehr achten müssen, denn es wird uns Probleme bereiten, weil wir diejenigen sind, denen die Unterstützung dieser Person am Lebensende anvertraut wird.

Die letzten Worte der Sterbenden

OnePath Network (Schwester #2): Wir reden ja über das Vermächtnis von Menschen. Und als Menschen sind wir fasziniert von den ersten Worten eines Kindes, den ersten Worten eines Babys, aber auch von den letzten Worten eines Sterbenden. Beides fasziniert einen Menschen, wir sind dazu geneigt. Gibt es irgendwelche letzten Worte, die du gehört hast und dich irgendwie beeindruckt haben?

Mariam Ardati: Ich versuche mein Bestes, um die Schönheit im Tod zu sehen – und das mag jetzt wirklich seltsam klingen. „Was meinst du damit? Was ist bitte so schön am Sterben, wenn es mit so viel Trauer und Schmerz verbunden ist!?” Aber es ist oft die Zeit im Leben eines Menschen, in der er Dinge hört, die er wahrscheinlich schon viel früher hätte hören sollen. Es gibt viele Beziehungen, die sich nach einer Trennung wieder fangen. Es gibt Kinder, die sich um ihre Eltern auf eine Weise sorgen, wie sie es noch nie zuvor getan haben. 

Und ich habe noch eine andere Geschichte in petto: Es gab da eine wunderschöne Schwester, die als Beraterin in einem Krankenhaus arbeitete. Sie war eine viel beschäftigte Frau. Sie hatte sich in den letzten zwei Jahren ihres Lebens auf ihre Karriere konzentriert und ihre Mutter lebte im Ausland. Also lud sie ihre Mutter ein, zu ihr zu kommen und bei ihr zu bleiben, weil sie sie wirklich vermisste. Sie hatte ihre Mutter [immerhin] seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen und hatte so viel Zeit für ihre Arbeit aufgebracht. Also holte sie ihre Mutter zu sich, und zwar unter der Woche an einem Feiertag. Sie versprach ihrer Mutter: „Mama, ich habe noch ein paar Schichten im Krankenhaus, aber ich verspreche dir, dass ich am Freitag, Samstag und Sonntag Zeit mit dir verbringen werde. Wir haben ein verlängertes Wochenende und ich werde etwas mit dir unternehmen. Wir werden eine schöne Zeit miteinander verbringen.“ Ihre Mutter verstarb am Freitagmorgen nach Fajr. Sie hatte also keine Zeit mehr, die sie mit ihrer Mutter verbringen konnte, und hatte es versäumt. Und subhanAllah, diese Frau wurde in sujood aufgefunden, also sie hatte ein schönes Ende.

Nicht, dass das den Schmerz des Verlustes lindern würde. Danach war diese Schwester natürlich durch den plötzlichen Tod ihrer Mutter wirklich traumatisiert. Aber sie wurde eingeladen – und ich hatte die Ehre, diejenige zu sein, die die Janazah und die Rituale am Lebensende für sie durchführte. Sie wurde eingeladen, mit in den Waschraum zu kommen und tatsächlich beim wudhu und ghusl-Vorgang mitzuhelfen. Am Anfang sagte sie: „Nein, auf keinen Fall werde ich das tun. Ich möchte mich an meine Mutter so erinnern, wie ich sie am besten in Erinnerung habe, und ich möchte nicht in diesem Raum sein“. Also sagte ich: „Das ist in Ordnung. Ich werde [einfach] einen Stuhl nahe der Tür stellen und ich möchte, dass du einfach hereinkommst und dich dorthin setzt und den Vorgang beobachtest, damit du deine Trauer verarbeiten und dich mit dem, was passiert ist, abfinden kannst.“ Sie stimmte zu und setzte sich.

Als ich ihre Mutter auf das Waschen vorbereitete, näherte sie sich immer mehr dem Waschplatz und dann sagte sie zu mir: „Was ist der erste Schritt?“ Ich sagte: „Der erste Schritt, den wir machen, nachdem wir den Schambereich gereinigt haben, ist, dass wir wudhu machen.“ Dann sagte sie: „Ich möchte das für meine Mutter tun.“ Ich sagte: „Das ist in Ordnung.“ Also wies ich sie an und führte sie durch diesen Prozess. Dann sagte sie: „Okay, was kommt als Nächstes?“ Ich sagte: „Jetzt müssen wir deine Mutter dreimal waschen, von Kopf bis Fuß, vorne und hinten, beginnend mit der rechten Seite ihres Körper“, und sie sagte: „Okay, das kann ich.“

Am Ende des Vorgangs konnte ich einen Schritt zurücktreten und sie führte fast alle Rituale für ihre Mutter [alleine] durch. Das war für sie eine so große Sache, denn sie schämte sich und fühlte sich schuldig, dass sie nicht so viel Zeit mit ihrer Mutter verbracht hatte. Aber all das war vergessen, weil sie ihre Mutter auf eine Weise ehren konnte, von der kein Kind je denkt, dass es sie in diesem Leben tun würde – dass ihre Mutter sie zum ersten Mal gebadet hat und dass sie ihre Mutter tatsächlich zum letzten Mal gebadet hat. Der gesamte Ablauf war also sehr heilend für sie. Sie rief mich danach an und dankte mir und sagte: „Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Du hast mir etwas gegeben, von dem ich dachte, dass ich es in dieser Welt nie erleben würde“, und das bleibt ihr bis heute erhalten. Das ist schon viele, viele Jahre her.

Bewusstsein für die Realität des Todes

OnePath Network (Schwester #1): Sehr, sehr beeindruckend – das kann man nicht mit Geld erkaufen. Es ist ein ganz besonderer Moment und wir bitten Allah wirklich aufrichtig, uns alle mit einem schönen Tod zu segnen. Es erinnert uns wirklich an die Realität, dass der Tod haqq ist. Wir wissen das aus dem Qur’an, und vor allem für den Gläubigen ist es eine glückselige Erfahrung. Aber ich denke, in unserer Gesellschaft gibt es so etwas wie ein „Tabu“, als hätten wir uns noch nicht damit abgefunden, dass es für den Gläubigen etwas Schönes ist, etwas, auf das man sich freuen kann. Würdest du also sagen, dass wir offener darüber sprechen müssen?

Mariam Ardati: Auf jeden Fall. Aber es geht über das bloße Reden darüber hinaus—wir müssen uns der Realität des Todes mehr bewusst sein. Und wie machen wir das in einer Welt, die darauf ausgelegt ist, dich von allem abzulenken, was das Ende deines Lebens verursachen könnte? Und damit meine ich unsere Institutionen, den Konsum, der uns als Menschen verzehrt hat, die Tatsache, dass wir davon besessen sind, miteinander um weltliche Dinge zu konkurrieren. Wir alle konkurrieren darum, Reichtümer anzuhäufen, wir wollen ein Immobilienportfolio, wir wollen schöner aussehen als die Person neben uns, wir wollen, dass wir hier das ewige Leben haben. Und das ist keine Überraschung, denn subhanAllah, wir sind spirituelle Wesen. Unsere Seele sehnt sich nach etwas Unvergänglichem. Aber hier wird sie es nie bekommen.

Womit auch immer wir programmiert wurden, mit dem wir uns beschäftigen sollen, wenn man sich darauf einlässt und sich nicht bewusst ist, dass ein Ende kommt, wird es einen auffressen und man wird in dieser Welt und in der nächsten verlieren. Und genau das ist die Angst hier. Und deshalb liebe ich es, vor jungen Menschen vorzutragen—subhanAllah. Ich habe in den letzten zwei Jahren in mehr Schulen Vorträge gehalten als in den 18 Jahren davor. Die Workshops, die ich in Schulen für junge Menschen durchführe, sollen den Ton für den Rest ihres Lebens angeben. 

Du hast [vorhin] ein wirklich wichtiges Wort verwendet, und zwar „Vermächtnis“. Wenn wir mit jungen Menschen sprechen, vermitteln wir ihnen den Eindruck, dass die Welt ihnen zu Füßen liegt, dass sie jede Menge Zeit haben, dies und jenes zu tun, und dass das Jenseits nie im Mittelpunkt steht bzw. nie in diesen Gesprächen erwähnt wird. Sie müssen eine Ummah-zentrierte Sichtweise haben. Sie müssen eine Sichtweise haben, dass es ein Jenseits gibt, dass es einen Tod gibt und dass es einen Tag gibt, an dem du dafür zur Rechenschaft gezogen wirst, wie du deine Zeit verbracht hast, wie du deine Jugend genutzt hast, wie du dein Leben verbracht hast, bevor du vom Tod überwältigt wurdest. Man muss diese Perspektive von klein auf haben. Es ist sehr schwer, diese Bindung an diese Welt in einem späteren Alter zu lösen. Es ist nicht unmöglich. Aber es ist wichtig, dass junge Menschen die Vergänglichkeit dieses Lebens verstehen und dass nichts garantiert ist. 

Die Sicht der neuen Generation auf den Tod

OnePath Network (Schwester #2): Welche Reaktionen gab es bei der neuen Generation? Wie hat sich [bei ihnen] die Einstellung zum Tod verändert, denn du hast ja gesagt, dass du in den letzten zwei Jahren in mehr Schulen vorgetragen hast als in den letzten 18 Jahren. Glaubst du, das liegt daran, dass die Gesellschaft sich verändert hat, oder liegt es daran, dass Kinder [generell] mehr Interesse daran haben?

Mariam Ardati: Ich denke, dass wir angesichts des Völkermords, der sich in den letzten 12 Monaten im Ausland ereignet hat, nicht die Tatsache ausblenden können, dass junge Menschen um 2 Uhr morgens auf ihren Handys scrollen und genauso in die Fülle des Grauens und des Gemetzels vertieft sind wie Erwachsene. Und das kann möglicherweise eine lang anhaltende verheerende Wirkung auf ihre psychische Gesundheit haben. Der Segen, den es hat, wenn man mit jungen Menschen über den Tod und das Lebensende spricht, ist, dass es die Welt in die richtige Perspektive rückt.

Wir haben von Natur aus eine sehr gerechte Sicht auf die Welt. Es muss [unserer Meinung nach einfach] Gerechtigkeit geben, wenn man überall um sich herum Ungerechtigkeit sieht. Wenn man durch seine sozialen Medien scrollt und den Körper eines verkohlten Babys sieht und dann in der nächsten Story sieht, wie jemand seinen nagelneuen Mercedes genießt, dann fängt man an zu denkst: Okay, WAS sehe ich mir da gerade [eigentlich] an? Wofür lebe ich? Worum geht es in dieser Welt, wenn sie von solchen Bildern begleitet wird? Du fängst an, sie in Frage zu stellen.

Die Gespräche über den Tod und die Tatsache, dass es einen Tag des Jüngsten Gerichts geben wird und dass darin die wahre Gerechtigkeit liegt, beginnen also, die Welt für diese jungen Menschen in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Und dann kommt wieder dieses Wort „Hoffnung“ auf. Aber auch, wenn wir anfangen, mit jungen Menschen darüber zu sprechen, warum sie sich das ansehen—selbst als Erwachsene: Warum? Was ist der Sinn dessen, was ihr euch da anschaut? Wenn es euer Leben nicht verändern wird? Wenn ihr jetzt nicht das Essen, das ihr esst, die Restaurants, in denen ihr esst, die Marken, die ihr unterstützt, in Frage stellt – dann hat dieser Völkermord euch überhaupt nicht verändert und ihr müsst euch selbst prüfen. 

Hoffnung durch das palästinensische Volk

OnePath Network (Schwester #2): Ich bin sicher, dass du nicht überrascht warst von den Perspektiven, die das palästinensische Volk angesichts der immensen Zahl an Todesfällen hat. Wir haben gesehen, wie Tode sich ereigneten und Menschen sagten: „Hasbunallahu wa ni’mal wakeel“. Wir haben gesehen, wie die Worte „alhamdulillah“ immer und immer wieder verwendet wurden. Was ist ein Tipp, den wir als Menschen außerhalb Palästinas vom palästinensischen Volk über ihre Perspektive auf den Tod mitnehmen können?

Mariam Ardati: Dies ist eine große Prüfung für uns. Wenn wir nicht erkennen, dass das, was in Palästina geschieht, tatsächlich eine Prüfung für die gesamte Ummah ist, dann haben wir bereits versagt. Wenn sie also alles verloren haben, von ihren Kindern über ihre Häuser bis hin zu ihrem Gefühl der Sicherheit, ihrem Gefühl der Geborgenheit, wenn sie hungern müssen, wenn sie von der ganzen Welt im Stich gelassen wurden, wenn sie alles verloren haben—und ihre Hoffnung auf Allah [trotzdem] weiterbesteht, was tun wir bitte dann?

Wir haben jeden Luxus, den wir uns leisten können, und wir bleiben immer noch undankbar. Wie oft sagen wir im Laufe des Tages „alhamdulillah“? Wenn dein Kind gesund ist, wenn du befördert wirst, wenn sich dir eine unerwartete Chance eröffnet, die du nicht erwartet hast – wie viele von uns machen tatsächlich wudhu und machen sajdah, um Allah unsere Dankbarkeit zu zeigen, wenn diese Menschen ALLES verloren haben und „alhamdulillah“ von ihren Lippen gleitet? Und es gleitet von ihren Lippen mit reiner Überzeugung. Das ist eine Prüfung für uns, es ist eine Prüfung für unseren iman, für unseren tawakkul. Wenn es also unsere Perspektive auf unsere Beziehung zu Allah (az) nicht verändert hat, dann hat es uns überhaupt nicht beeinflusst.

Es gibt auch ein schönes Zitat, auf das ich online gestoßen bin und das mir im Gedächtnis geblieben ist. Das war vor vielen Monaten, als wir darüber sprachen den Fokus weg vom physischen Tod zu verlagern und uns mehr damit befassten, was Allah uns versprochen hat, was die Seele auf metaphysischer Ebene erlebt. Hier, inmitten des Gemetzels und der Zerstörung, können wir beginnen, die Hoffnung in der Barmherzigkeit Allahs zu sehen. In diesem speziellen Zitat wurden die Menschen aufgefordert, darüber nachzudenken, was sie sehen würden, wenn der Schleier des Unsichtbaren für sie gelüftet würde; wie der Himmel von Gaza DANN aussehen würde—das macht mich wirklich sehr emotional.

Du würdest Engel sehen, die du nicht einmal zählen könntest, wie sie herbeieilen, um die Seelen der Märtyrer zu empfangen und die frohe Botschaft Jannahs zu überbringen. Denn wo auch immer du in Gaza hinschaust, fällt jemand in die Kategorie des Märtyrertums, entweder weil er sein Zuhause verteidigt oder unter einem eingestürzten Gebäude begraben wird oder bei lebendigem Leibe verbrennt. Es ist sehr schwer, diese Dinge mitanzusehen, ohne zu verstehen, dass es Allah (az) war, der das Feuer für Ibrahim kühl werden ließ, und dass es Allah (az) war, der Asiyah ihren Platz in Jannah zeigte, bevor der Tod sie ereilte. Das ist, woran wir uns angesichts des Grauens, das wir miterleben, festhalten müssen. 

Wie kann man ein Leben führen, für das es sich zu sterben lohnt?

OnePath Network (Schwester #1): Möge Allah uns zu Menschen machen, die es lieben, Ihm zu begegnen, denn wenn man selbst liebt, Allah (swt) zu begegnen, liebt Allah auch, dir zu begegnen. Und das [was du gesagt hast] ist sehr stark. Ich habe neulich einen Vortrag von Ustadh Abdurahman Murphy angehört, und er sagte, dass wir den Tod fast fürchten, weil das Leben das Ende dessen ist, was wir kennen, und der Tod ist dann der Anfang von dem, was wir nicht kennen. Aber ich meine, wenn man zu Allah (swt) geht, was hat man dann zu befürchten? Meine Frage ist also: Wie können wir im Westen ein Leben führen, in dem wir gerne sterben würden? 

Mariam Ardati: Wow, das ist eine große Frage! Also nur zum Zitat, das du erwähnt hast, würde ich die Perspektive hinzufügen wollen, dass der Islam eine „offene Buch“-Prüfung ist. Es gibt nichts, was wir nicht wissen. Eigentlich wissen wir es. Allah (az) hat uns gesagt, dass es eine Reise gibt, die diese Seele unternehmen wird, wenn du ein Gläubiger bist, und es gibt einen sehr langen Hadith, der jeden einzelnen Schritt dieses Prozesses detailliert beschreibt. Also es ist gar nicht so, dass wir es NICHT wissen—wir wissen es. Unsere Angst rührt daher, dass wir uns fragen: Haben wir genug getan, um dorthin zu gelangen? Wird das meine Reise sein? Habe ich genug istighfar gemacht? Habe ich eine schlechte Tat durch eine gute ersetzt? Habe ich meinen Tag damit begonnen, Allah für eine weitere Gelegenheit zu danken, das wiedergutzumachen, was ich falsch gemacht habe? Hast du dein Leben mit einem Sinn gelebt? Hast du deine Rechte und die Rechte anderer erfüllt? Wir kehren zurück zur Sunnah, der Plan ist da. Du musst ihn nicht erst selbst entwerfen. Die Beispiele wurden bereits für dich gegeben. Und das Verständnis, dass Allah diejenigen liebt, die bereuen, gibt dir die Hoffnung, dass Allah dir heute die Möglichkeit gibt, es wiedergutzumachen, auch wenn du gestern keine gute Arbeit geleistet und Mist gebaut hast. 

Und wenn du deine Absicht täglich erneuerst und ein Leben mit Sinn führst – ich [zum Beispiel] sehe mir online die Bilder [aus Gaza] an, denn das ist, was mich antreibt, diese Woche an der Demonstration teilzunehmen, was mich dazu antreibt, für tahajjud aufzustehen und Du’a zu machen. Es ermutigt mich, eine Spende zu tätigen, und es gibt mir das Selbstvertrauen, über das zu sprechen, was im Ausland passiert – dann hat es einen Sinn. Also finde deinen Sinn.

Das andere Essenzielle ist, sich nicht zu sehr an etwas oder jemanden zu binden. Jeder wird dich irgendwann verlassen. Was bleibt, ist deine Beziehung zu Allah (az). Ich sage immer in meinen Workshops, weil ich das selbst schon mehrfach im Leben erlebt habe: Jeder Mensch wird an einem Punkt in seinem Leben kommen, an dem er in die Knie gezwungen wird und erkennt, dass es nur Allah gibt. Nichts und niemand wird ihn aus dieser Situation oder dem Unglück, das über ihn hereingebrochen ist, herausholen, außer der tawakkul in Allah. Warte nicht, bis du erst in die Knie gezwungen wirst. Wisse [stattdessen], dass diese Zeit kommen wird, und bereite dich darauf vor.

Es gab vor ein paar Jahren diese Bewegung, wo jeder ein Minimalist sein wollte. Man hat seinen Kleiderschrank verkleinert. Wenn du schon einmal umgezogen bist, weißt du, wie viel Zeug wir ansammeln, Dinge, die unnötig sind, mehrere gleiche Dinge. Entrümpele deinen Kleiderschrank. Nach deinem Tod wird sich jemand darum kümmern müssen. Jemand wird deine Kleidung durchgehen, die Spenden abgeben, deine Sachen ausräumen und deine Sachen wegpacken müssen. Warum also nicht seine Arbeit erleichtern und es jetzt tun, solange du noch lebst?

Wenn du dir bewusst bist, wohin dich deine Gedanken führen, wenn du allein bist, wenn du verstehst, womit du dich beschäftigst, dann stelle sicher, dass das, was auch immer es ist, dich zu Allah (az) führt und nicht von Ihm weg. Sei dir also immer deiner eigenen Gedanken bewusst und wie du deine Zeit verbringst, denn wenn sie dich nicht auf den Weg des Erfolgs führt, dann wird sie dich zum Scheitern führen. 

Und es ist nie zu spät, sich neu zu orientieren [umzukehren]. Überprüfe einfach deine Absicht, schau dir dein Leben an, bewerte es neu und dann nimm dir vor, es besser zu machen. 

Wie bist du Sterbebegleiterin geworden?

OnePath Network (Schwester #2): Eine schöne Botschaft, ein schöner Ratschlag! Ich denke, eine letzte Frage ist: Wie bist du Sterbebegleiterin geworden?

Mariam Ardati: Oh ja, das ist nichts, wo man eines Tages aufwacht und sagt: „Ich glaube, ich werde das als Lebensweg wählen.“ Nein, subhanAllah. Die meisten Menschen, die in diesem Bereich des Lebensendes arbeiten und mit denen ich zu tun hatte, haben sich diesen Beruf nicht ausgesucht, sondern er hat sie ausgesucht. Irgendetwas ist in ihrem Leben passiert, das sie dazu veranlasst hat, sich zu fragen, wohin sie gehen und was nach dem Tod passiert, und das hat sie [schließlich] dazu veranlasst, sich in diesem Bereich der Hilfe zu engagieren. Bei mir war es ein schwerer Autounfall.

Ich war 23 und befand mich an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben, wahrscheinlich nicht am besten Punkt oder auf dem Weg in die richtige Richtung. Ich war mit mir selbst beschäftigt [egozentrisch] und arbeitete in der Fitnessbranche. Ich hatte gerade meinen Laden abgeschlossen und war auf dem Heimweg, als ich mit einem Lastwagen zusammenstieß. Es war ein schwerer Autounfall. Das Auto fing Feuer, die Straßen wurden in beide Richtungen gesperrt. Die Feuerwehr kam, hunderte Menschen traten heraus, um zu sehen, was mit dieser Person passiert war, und ich kroch tatsächlich völlig unversehrt aus der Beifahrerseite des Autos. Mir ist nichts passiert, und das hat mich dazu veranlasst, darüber nachzudenken, dass ich in Sekundenbruchteilen hätte sterben können. Allah gab mir eine weitere Chance und ich war fasziniert davon, was mit meinem Körper passiert wäre, wenn ich gestorben wäre.

Ich bin in einer Generation aufgewachsen, die Hollywood-Filme gesehen hat, in denen wir dachten, wir würden in einen Sarg gelegt und der Sarg würde in die Erde gesenkt und so würde man begraben werden. Ich wusste nicht, dass wir [als Muslime] in Leichentüchern begraben werden. Ich hatte keine Ahnung, dass wir direkt auf der Erde in einer sehr natürlichen Bestattung beigesetzt wurden. Das wurde mir erst klar, als ich ein paar Wochen nach dem Unfall zu einer örtlichen Bestattungsfirma ging und sagte: „Bringt mir bei, was passiert, erklärt mir den Ablauf.“ Seitdem habe ich der Branche nie wieder den Rücken gekehrt. 

OnePath Network (Schwester #1): In diesem Zusammenhang ist mir jetzt klar geworden, dass der Tod etwas ist, das wir kennen und mit dem wir vertraut sein sollten, anstatt ihn wegen seiner unbekannten Natur zu fürchten. Ich bin wirklich sehr fasziniert von diesem Thema. Ich denke, viele unserer Zuhörer hatten vielleicht viele Zweifel zu diesem Thema, aber sie haben diese Dinge zum ersten Mal gehört und ja, es ist in gewisser Weise sehr aufweckend.

Ich denke, damit sagen wir jazakallahu khayr, Schwester Mariam, für deine Zeit, wir fühlen uns unglaublich geehrt, dich dabei zu haben. Und inshaAllah auf weitere Podcasts, bis zum nächsten Mal. Assalamualeyykum wa rahmatullahi wa barakatuhu.

  1. Anmerkung ITV: Im Deutschen würde man wohl eher „für etwas brennen“ sagen. Gemeint ist, dass man eine Leidenschaft hat bzw. etwas unbedingt haben will.

Tags: , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.