Anmerkung zum Transkript

Das vorliegende Transkript wurde auf das Wesentliche gekürzt. Stellen, die den Lesefluss stören könnten – wie längere Denkpausen, Füllwörter („Ähm’s“), Versprecher, Wiederholungen sowie Interaktionen mit dem Publikum, die nicht unbedingt zum Kern des Vortrags beitragen – wurden entfernt. Zudem wurden einige Sätze umgestellt oder leicht angepasst und ergänzt, um den Text flüssiger und verständlicher zu gestalten und den beabsichtigten Kontext klarer zu vermitteln. Darüber hinaus haben wir das Transkript in mehrere in sich abgeschlossene Abschnitte unterteilt, um den Lesefluss zu verbessern und die Bedeutung und Schwere der Worte besser hervorzuheben. Diese Anpassungen wurden vorgenommen, ohne den Inhalt oder die beabsichtigte Botschaft zu verändern. Alle wesentlichen Informationen und Bedeutungen bleiben unverändert.

Kurseinführung und Zielsetzung

Imran Hussein: Wir beginnen heute einen neuen Kurs inshaAllah. Der Kurs heißt „Grounded: Being Muslim in a Godless World“ [Geerdet/Verankert/Auf dem Boden der Tatsachen geblieben: Muslim sein in einer gottlosen Welt]. Es ist ein brandneuer Kurs, den wir bisher noch nicht offiziell gestartet haben. Das hier ist also eine Version davon, sozusagen ein erster Durchlauf dieses Kurses. Der endgültige Kurs wird möglicherweise einen anderen Titel tragen, doch für diesen Kurs behalten wir diesen Namen bei, inshaAllah.

Wie bei den vorherigen Sitzungen werden wir das Ganze interaktiv gestalten. Denkt daran, dass euer Mitwirken besonders in diesem Kurs von großem Nutzen sein können, weil die Interaktionen und der Input, den ich von euch bekomme, möglicherweise in die Weiterentwicklung der Inhalte einfließen, inshaAllah. Das bedeutet, dass dies eine großartige Gelegenheit für alle Beteiligten ist, Lohn zu erlangen. Nutzt also diese Möglichkeit, beteiligt euch an Diskussionen, teilt eure Ideen, und denkt daran: Es gibt keine falschen Antworten. Gemeinsam werden wir ein besseres Verständnis für die Themen entwickeln, die wir besprechen, inshaAllah.

Zielgruppe und Intention des Kurses

Wie bereits erwähnt, trägt der Kurs den Titel „Grounded: Being Muslim in a Godless World“. Ihr habt vielleicht schon eine grobe Vorstellung davon, worum es geht, aber ich möchte euch dennoch etwas Kontext geben. Die Zielgruppe dieses Kurses ist ein jüngeres muslimisches Publikum. Und wenn ich jüngeres muslimisches Publikum sage, dann meinen wir vor allem Muslime, die sich im Übergang zum Studium befinden, d. h. im Uni-Alter oder ersten Studienjahr.

Die Idee hinter diesem Kurs ist es, junge Muslime so zu schulen und auszubilden, dass sie „immun“ werden gegen die Ideologien, die heute in der Welt kursieren. Denn aktuell gibt es in der Dawa-Arbeit eine Lücke: Wir haben zwar großartige Inhalte, die sich an Menschen richten, die bereits Zweifel haben, und ebenso hervorragende Ressourcen zur Methodik der Dawa. Wir haben die Grundlagen eines Dawa-Schulungskurses am Sapience Institute behandelt.

Doch was fehlt, ist ein Ansatz, der jungen Muslimen präventiv hilft, damit sie gar nicht erst in den Strudel von Zweifeln und shubuhat und ideologischen Fallen geraten und sich infolgedessen vom Islam abwenden.

Das ist also Ziel dieses Kurses. Er ist für ein jüngeres Publikum konzipiert inshaAllah, doch ich bin sicher, dass ihr die Inhalte auch für jüngere Verwandte nutzen könnt, die sich dem Universitätsalter nähern oder gerade mit dem Studium begonnen haben. Vielleicht findet ihr darin auch Ansätze, die euch selbst helfen, bestimmte Gedanken oder Konzepte klarer zu formulieren.

Gliederung des Kurses

Der Kurs besteht aus drei Hauptteilen:

1. Die Entstehung der modernen Weltanschauung

Im ersten Teil werfen wir einen Blick darauf, wie wir zu der Welt gekommen sind, in der wir heute leben – einer Welt, die von einer bestimmten Ideologie und Weltanschauung beherrscht wird. Wir werden uns eingehend mit verschiedenen Weltanschauungen befassen und untersuchen, wie es dazu kam, dass Naturalismus, Atheismus, Feminismus und andere „-ismen“ und Spaltungen so dominant wurden. Wir werden herausfinden, woher diese Strömungen stammen und warum sie sich durchgesetzt haben.

2. Die Krise der modernen Weltanschauung

Dann werden wir uns auch mit den Mängeln und Fehlern dieser Ideologien befassen. Diese Themen finden bisher in der Dawa wenig Beachtung, und genau hier setzt dieser Kurs an. Während sich die Dawa häufig darauf konzentriert, den Islam zu verteidigen oder Beweise für ihn zu liefern und andere Ideologien zu widerlegen, eröffnet uns dieser Ansatz eine neue Perspektive: eine existenzielle Dimension der Dawa.

Die Weltanschauungen, die wir hinterfragen, weisen einige grundlegende Mängel und Probleme auf, über die niemand spricht. Niemand spricht sie an. Dieser Kurs wird uns befähigen, diese Schwächen zu identifizieren, zu verstehen und anzugehen.  Indem wir diese Herangehensweise nutzen, nehmen wir eine starke, dominante Position ein. Anstatt uns in einer Verteidigungshaltung wiederzufinden – metaphorisch gesprochen „vor Gericht“ gezwungen werden, den Islam zu rechtfertigen –, drehen wir die Perspektive. Wenn überhaupt, können wir die Fehler der Ideologien, die es dort draußen gibt, aufdecken, sie ins Spiel bringen und mit den Menschen darüber diskutieren. Wir können ihnen zeigen, wie der Islam diese Fehler angeht und dass die islamische Weltanschauung frei von diesen Schwächen ist.

3. Der Islam als Weltanschauung

Im dritten Teil des Kurses werden wir uns intensiv mit dem Islam als Weltanschauung auseinandersetzen. Dies ist ein Aspekt, der von Muslimen seit langer Zeit nicht mehr in den Vordergrund gerückt wurde. Wenn wir über den Islam sprechen, wird er oft im Allgemeinen als Religion verstanden. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff „Religion“ von verschiedenen Menschen unterschiedlich definiert wird. Die meisten Muslime betrachten den Islam nämlich im Grunde als eine Art Regelwerk. Vor allem junge Menschen neigen dazu, ihn auf diese Weise zu sehen.

Unser Ziel ist es jedoch, ein neues Konzept und einen erweiterten Rahmen zu präsentieren: den Islam als eine Weltanschauung. Sobald wir ein klares Verständnis davon entwickelt haben, was eine Weltanschauung ist, werden wir auch nachvollziehen können, was mit dem Begriff „Islam als Weltanschauung” gemeint ist, inshaAllah. Es geht dabei nicht darum, etwas Neues in den din einzuführen, sondern darum, die bereits bestehenden und zentralen Lehren des Islam hervorzuheben. Diese Aspekte haben bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient hätten, gerade in Verbindung mit den Praktiken und Prinzipien des Islam. 

Das Konzept und die Bedeutung von Weltanschauungen

Das ist also ein allgemeiner Überblick über den Kurs. In dieser Sitzung möchte ich mit euch das grundlegende Konzept einer Weltanschauung behandeln, da es der zentrale Dreh- und Angelpunkt dieses gesamten Kurses ist. Ein klares Verständnis davon, was eine Weltanschauung ist, bildet die Grundlage für alles Weitere, was wir hier besprechen werden.

Aber bevor wir uns dem widmen, wollen wir auf eine bestimmte aya aus dem Qur’an eingehen, die für den gesamten Kurs von zentraler Bedeutung sein wird. Es handelt sich um Kapitel 59, Vers 19. Kann mir jemand sagen, wie die aya lautet?

Und seid nicht wie diejenigen, die Allah vergessen haben und die Er dann sich selbst hat vergessen lassen. Das sind die Frevler.

Sure al-Hasr, Vers 19.

Das ist also die Aya, auf der dieser Kurs aufbaut. Nehmen wir uns einige Minuten Zeit, um sie eingehend zu betrachten. Wir werden auf diese aya noch viel detaillierter eingehen und sie im Laufe des Kurses immer wieder aufgreifen. Daher ist es gut, jetzt wirklich ein klares Verständnis für diese aya zu bekommen, denn im Laufe des Kurses werdet ihr sehen, wie relevant sie für all das ist, was wir besprechen werden.

Was sagt Allah in diesem speziellen Vers?

Allah sagt: „Und seid nicht wie jene, die Allah vergessen haben, so dass Er sie sich selbst vergessen ließ. Sie sind es, die wirklich rebellisch sind.“

Dies ist eine Übersetzung des Verses.

Was bedeutet das eurer Meinung nach?

Ein Student: Ich denke, wir können versuchen, diese Aya in Verbindung mit einem anderen Vers zu betrachten, der lautet:

Wer sich aber von Meiner Ermahnung abwendet, für den wird es ein beengtes Leben geben, und Wir werden ihn am Tag der Auferstehung blind auferwecken.

Sure Ta-Ha, Vers 124.

Ich denke, dass dieser Vers helfen kann, die Bedeutung zu verstehen.

Imran Hussein: Das ist ein hervorragender Punkt, jazakallahu khayr. Also in einem anderen Vers im Qur’an sagt Allah sinngemäß:

Diejenigen, die sich von der Erinnerung an Allah abwenden, werden ein eingeschränktes und schwieriges Leben haben.

Und hier, in der zuvor besprochenen aya, sagt Allah sinngemäß:

„Diejenigen, die Allah vergessen bzw. sich von der Erinnerung an Allah abwenden, werden nicht wissen, wer sie sind.“

Hier informiert uns Allah über den Zustand eines Menschen, der sich von seinem Schöpfer abwendet: Er wird nicht mehr wissen, wer er selbst ist.

Ein Student: Es scheint mehr ein spiritueller Verlust zu sein. Selbst wenn man viele weltliche Besitztümer besitzt, kann das Leben dennoch eingeschränkt und schwierig sein. Man kann in die Irre gehen und den Sinn des Lebens nicht erkennen.

Imran Hussein: Was genau ist dieser Verlust? Allah sagt im Wesentlichen: „Sie werden nicht wissen, wer sie sind. Sie werden das Gefühl für sich selbst verlieren.“ Doch lasst uns tiefer darüber nachdenken. Dr. ??? spricht dieses Thema auf eine sehr eindringliche Weise an. Was genau wird vergessen? Wenn wir uns den modernen Menschen ansehen – den säkularen Mann oder die säkulare Frau von heute –, die nicht an den Schöpfer glauben oder Ihn anerkennen, kann man wirklich sagen, dass sie sich selbst aus physischer Sicht vergessen haben? Nein. Im Gegenteil: Die Menschen legen heute großen Wert auf ihr körperliches Wohlbefinden. Sie gehen ins Fitnessstudio, ernähren sich gesund, machen Yoga, besuchen Therapiesitzungen und tun vieles, um sich um ihren Körper zu kümmern. Das alles geschieht oft, ohne an Gott zu glauben.

Worauf bezieht sich Allah also in diesem Vers? Was genau ist es, was sie vergessen haben?

Aus dem Studentenkreis: Verwirrung im Leben. Kein Sinn im Leben. Kein Ziel.

Imran Hussein: Ja, das hängt damit zusammen.

Ein Student: Nur Allah (swt) kennt dich, weil Er dich erschaffen hat. Und wenn du Allah vergisst, wer kann dir dann sagen, wer du wirklich bist? Woher bekommst du diese Informationen? Normalerweise kommt so etwas vom Shaytan. Er beginnt, dir Dinge über dich selbst einzuflüstern, die nicht unbedingt wahr oder gut für dich sind.

Imran Hussein: Ja, das ist ein sehr starker Punkt. Denn Allah kennt dich am besten, da Er dich erschaffen hat.

Ein Student: Um das noch einmal zu betonen: Wenn es heißt: „Du hast Mich vergessen, also hast du dich selbst vergessen“, dann bedeutet das vielleicht, dass du deine Hauptaufgabe vergessen hast. Deine Hauptaufgabe als Mensch ist, wie Allah im Qur’an sagt:

Und Ich habe die Dschinn und die Menschen nur darum erschaffen, damit sie Mir dienen.

Sure Ad-Dariyat, Vers 56.

Wenn du also Allah (swt) vergessen hast, dann dienst du Ihm nicht. Und wenn du Ihm nicht dienst, erfüllst du nicht deine Hauptaufgabe, den eigentlichen Sinn deiner Existenz. Du verlierst damit deinen Wert und wirst letztendlich nutzlos, wenn man es so ausdrücken will.

Imran Hussein: Okay, du vergisst also – du sagst also, du vergisst deinen Sinn. Warum du erschaffen wurdest. Den letztendlichen Sinn deiner Existenz wirst du nicht kennen. Denn wenn du Allah nicht kennst, dich von Ihm abwendest, dann weißt du nicht, was du hier tust, wer du bist. – Was wird noch vergessen?

Aus dem Studentenkreis: Die Quelle der Unterstützung wird vergessen. Wenn du dich vom Weg abwendest und nicht zu Allah zurückkehrst, überlässt Allah (swt) dich dir selbst.

Imran Hussein: Also die Richtung geht verloren.

Aus dem Studentenkreis: Ja. Und dann bist du abhängig – abhängig von Menschen. Aber eigentlich brauchst du ständig Unterstützung, jede Sekunde. Deshalb pflegte der Prophet ﷺ zu sagen: „Überlass mich nicht einen Augenblick lang mir selbst.“ Das zeigt, dass wir als Menschen Allah (swt) in jedem Moment unseres Lebens brauchen. Und wenn Allah (swt) uns verlässt, bleibt uns nichts mehr.

Imran Hussein: Richtig. Sonst noch etwas?

Ein Student: Du kappst die Aspekte des Menschen, die ihn mit dem Schöpfer verbinden, diese vertikale Verbindung zu Allah. Was passiert dann? Dieses Konzept wird durch etwas anderes ersetzt, oder es entsteht eine Annahme, die an dessen Stelle tritt. Das ist das Problem. Wie du schon erwähnt hast, wird der Mensch nur noch als etwas Physisches, etwas Materielles betrachtet, als wäre das alles, was ihn ausmacht. Dadurch vergisst man wesentliche Aspekte des Menschseins, weil diese Verbindung nicht gepflegt wird. Letztlich glaubt man nicht einmal mehr daran, dass sie überhaupt existiert.

Imran Hussein: Das ist ein guter Punkt, ja. Es geht also das wahre Wesen des Menschen verloren. Die Ruh, die Seele, die Allah erschaffen hat, wird vollständig übersehen. Alles, was man zu wissen glaubt, ist das, was man sehen kann – der physische Aspekt des Menschen. Doch wenn jemand wirklich darüber nachdenkt, wird ihm klar, dass der Mensch mehr ist als nur sein physischer Körper. Aber was ist diese zusätzliche Essenz, dieses Selbst? Diese Frage können viele Menschen nicht beantworten. Besonders jene, die aus einer materialistischen Perspektive denken, können die Natur dieser Essenz nicht erfassen. Und, um ehrlich zu sein, die meisten Menschen stellen sich solche Fragen gar nicht.

Das „Ich“, eure wahre Essenz – in der Philosophie wird dies als „das Selbst“ oder „Ich“ bezeichnet. Muhammad Iqbal nannte es „hudi“, ein Begriff, den er aus dem Persischen übernommen hat. Diese Essenz – eure Seele, euer Selbst, das „Ich“ – wird verloren. Ihr wisst nicht, was diese Essenz ist oder in welchem Zustand sie sich befindet.

Was geht noch verloren?

Ein Student: Man kann noch hinzufügen, dass es im Grunde zum Nihilismus führt, wenn man nicht in Allah verankert ist. Man verliert sich irgendwann im Nihilismus, weil man dann keinen Halt mehr hat. Man denkt: Was bringt es denn überhaupt, irgendetwas zu tun? Es gibt keinen wirklichen Anker.

Imran Hussein: Genau, es handelt sich um Nihilismus in verschiedenen Formen: einen Mangel an Bedeutung – existenzieller Nihilismus. Außerdem gibt es den ethischen oder moralischen Nihilismus. Es ist eine Leere. Du weißt nicht, wer du bist, welchen Platz du im Universum einnimmst, was deine Identität ist oder was dein letztendliches Ziel im Leben sein könnte. Du hast keine Antworten auf all diese grundlegenden Fragen.

Was besonders interessant ist: Allah verwendet im Arabischen das Wort nasiya, und was bedeutet das? Dieses Wort hat einige sehr interessante Bedeutungen. Allah sagt: „Seid nicht wie diejenigen, die Allah vergessen haben.“ Dieses nasiya beschreibt eine ganz bestimmte Art des Vergessens. Ein Aspekt oder eine Nuance der Bedeutung dieses Wortes ist, dass es eine bewusste, absichtliche Abkehr ist. Das ist entscheidend, weil wir wissen, dass die fitra – die natürliche Veranlagung des Menschen – eigentlich ja da ist. Eine gesunde fitra, ein klarer Verstand, veranlasst den Menschen, sich der ultimativen Quelle zuzuwenden – Allah. Aber hier geht es um eine bewusste Abkehr von Allah. Diejenigen, die sich abwenden, strengen sich an, um sich abzuwenden und Allah zu vergessen. Und das sind die Menschen, die sich letztendlich selbst vergessen.

Wir werden zu diesem Punkt später noch einmal zurückkehren. Gibt es jetzt noch etwas, das jemand zu dieser aya hinzufügen möchte? Ja, Bruder?

Ein Student:  Ich denke, diese aya deutet in gewisser Weise darauf hin, dass Allah (swt) einen im Jenseits vergisst, wenn man Ihn in dieser Welt vergisst. Das bedeutet, dass man dann bestraft wird und nicht ins Paradies gelangt.

Imran Hussein: Ja, genau das ist es, was auch die Gelehrten in den Tafaseer zu dieser aya erwähnen… Ja?

Ein Student: Ich wollte etwas anmerken, bin mir aber nicht sicher, ob es wirklich relevant ist. Ich habe einen Podcast eines Stand-up-Comedians gehört, in dem er darüber sprach, wie er eines Nachts allein in einem Auto saß. Es war dunkel, und niemand war bei ihm. Plötzlich verspürte er eine starke Einsamkeit und eine Art überwältigende Traurigkeit. Er erzählte, dass seine Hand automatisch zum Handy griff. Und wenn ich daran denke, was du vorhin über das „Ich“ oder „Selbst“ gesagt hast, wird deutlich, wie unangenehm dieses Gefühl sein kann.

Dann erzählte er weiter: „Ich entschied mich, das Telefon nicht zu nehmen. Ich wollte einfach nur in diesem Gefühl sitzen und sehen, was passiert.“ Er sagte, dass er plötzlich anfing zu weinen, mitten im Auto, ohne erkennbaren Grund. Er schluchzte regelrecht und meinte, er habe nie wirklich verstanden, warum das geschah.

Es scheint mir irgendwie relevant, weil er, als dieses Gefühl in ihm aufkam, sich selbst vergessen wollte, indem er das Telefon zur Ablenkung nahm. Doch indem er das Telefon nicht benutzte und sich stattdessen der Situation stellte, hatte er eine sehr aufwühlende Erfahrung. Das zeigt, wie man sich durch Ablenkungen selbst vergisst, anstatt wirklich in sich hineinzuschauen.

Imran Hussein: Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn die heutige Welt scheint regelrecht darauf ausgelegt zu sein, uns abzulenken. Wir sind ständig mit dem System verbunden. Entweder sind wir bei der Arbeit oder versuchen, beruflich und privat voranzukommen, oder wir verbringen unsere Zeit in den sozialen Medien. Manche flüchten in Videospiele, Drogen oder schauen sich Pornografie an. Es ist, als würde jeder versuchen, vor etwas zu fliehen. Wir sind ständig „eingestöpselt“ in dieses System von Ablenkungen.

Besonders interessant war zu beobachten, wie viele Menschen während der Covid-Pandemie in Depressionen verfielen – und man machte natürlich keine große Sache daraus – weil sie plötzlich von all den Aktivitäten, die sie sonst in Anspruch nahmen, abgeschnitten waren. Plötzlich mussten sie Zeit mit sich selbst verbringen und hatten Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Und genau da, wie es der Bruder in seinem Beispiel erwähnt hat, brachen viele Menschen zusammen. Denn sie waren gezwungen, sich mit den großen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen, die sie so lange verdrängt und unter den Teppich gekehrt hatten.

Ein Student: Wir reden hier tatsächlich von einem sehr erfolgreichen Stand-up-Comedian. Er ist etwa 50 Jahre alt, sein Name ist Louis C. K. – vielleicht kennen einige ihn. Aber ja, er erzählte, wie er buchstäblich angefangen hat zu weinen, nur wegen dieses überwältigenden Gefühls.

Imran Hussein: Und in der heutigen Gesellschaft geraten viele Menschen in diese Situation, während andere durch Ablenkungen davor bewahrt werden. Dieses Muster ist keineswegs neu. Wenn wir ins 18. und frühe 19. Jahrhundert zurückblicken, begegnen wir den existenzialistischen Philosophen, die sich genau mit solchen Fragen auseinandersetzten. Darauf werden wir im Verlauf des Kurses noch detaillierter eingehen. Ihre Popularität resultierte aus der Tatsache, dass viele Menschen, die sich von Gott oder dem Christentum als Religion abgewandt hatten, ihre existenzielle Grundlage verloren und sich orientierungslos fühlten.

Hinzu kamen dann Ereignisse wie der Erste und Zweite Weltkrieg – Verwüstung, Mord, das schiere Böse in der Welt. Die Menschen konnten keinen Sinn in all dem erkennen und gerieten in eine tiefe Dunkelheit. Die existenzialistischen Philosophen traten in dieser Zeit fast wie Propheten auf, die Antworten oder zumindest Erklärungsansätze boten. Wir werden untersuchen, was sie sagten, und auch analysieren, inwieweit ihre Ideen solide waren oder versagten. Das alles werden wir noch durchgehen.

Aber es ist wirklich bemerkenswert, wenn man über diese Aya nachdenkt. Es gibt so vieles, das man allein aus diesem Vers herauslesen kann. Wie gesagt, wir werden immer wieder darauf zurückkommen, und mit der Zeit wird es zunehmend klarer werden, wie relevant sie für all das ist, was wir hier besprechen. Wenn wir die letzten paar hundert Jahre betrachten, eine Art „Screenshot“ machen, um zu sehen, wie sich die Dinge verändert haben und wo wir heute stehen, wird das alles mehr und mehr Sinn ergeben, inshaAllah.

Nun wollen wir zur Bedeutung von Weltanschauungen übergehen.

Der Islam ist eine Weltanschauung. Ich behaupte, dass der Islam eine Weltanschauung darstellt. Es ist eine der Perspektiven, den Islam zu betrachten. Warum ich das so sehe, wird deutlich werden, sobald wir verstehen, was genau eine Weltanschauung ist.

Doch bevor wir uns dieser Definition zuwenden, möchte ich mit euch ein kurzes Gedankenexperiment durchführen. Ich werde euch meinen Bildschirm zeigen, und ihr werdet etwas sehen. Anschließend stelle ich euch eine kurze Frage zu dem, was ihr beobachtet habt. Seid ihr bereit?

Aus dem Studentenkreis: Ja.

Imran Hussein: Wenn ihr das schon einmal gesehen habt, dann beteiligt euch bitte nicht an diesem Experiment und bleibt ruhig. 

*dreht den Laptop zum Publikum

Einer dieser Kreise ist größer als der andere. Der rote Kreis ist Kreis A, und der blaue Kreis ist Kreis B. Wer von euch glaubt, dass der rote Kreis A größer ist?

*Einige melden sich*

Imran Hussein: Wer glaubt, dass der blaue Kreis B größer ist?

*Einige melden sich*

Ein Student: Gibt es eine weitere Möglichkeit?

Imran Hussein: Nein. Ich habe gesagt, dass einer von beiden größer ist als der andere. Schaut genau hin… Okay, diejenigen, die Rot sagen, hebt eure Hände. Lasst sie oben. Diejenigen, die Blau sagen, hebt eure Hände auch hoch.

Ich schaue gerade auf die Rebellen. Bei einigen ist die Nachricht wohl nicht angekommen: Einer der Kreise ist größer.

Gut, jetzt schaut euch um. Wir können sagen, dass vielleicht 80 % der Gruppe die eine oder andere Meinung vertritt, während 20 % verwirrt waren.

Wer war verwirrt? Wer konnte nicht mitmachen? Wer hatte nicht genug Zeit, auf den Bildschirm oder die Kreise zu schauen?

*Niemand meldet sich*

Wer hat es sich oft genug angesehen und dann gedacht: „Äh, nein, ich glaube nicht, dass einer größer ist als der andere“?

*Einige melden sich*

Der Punkt ist, dass keiner der Kreise größer ist als der andere. Sie sind beide gleich groß.

80 % von euch hatten zumindest eine Meinung oder einen Glauben, auch wenn einige von euch vielleicht versucht haben, besonders klug zu sein und dachten: „Nein, ich glaube, beide sind gleich groß. Das ist eine Fangfrage.“ Aber am Ende hatten 80 Prozent tatsächlich eine Überzeugung, richtig?

Eure Überzeugungen, also die von 80 % von euch, basierten auf meinem ursprünglichen Vorschlag – einer Überzeugung, die ich euch vermittelt habe.

 Ich habe euch einen Glauben vorgegeben, nämlich die Annahme, dass einer der Kreise größer ist als der andere.

Ein Student: Ja, weil du das gesagt hast, musste ich es auf diese Weise wahrnehmen.

Imran Hussein: Aber als du es so betrachtet hast, erschien dir einer der Kreise tatsächlich größer als der andere?

Ein Student: Ich denke, weil ich auf dieser Seite saß, wirkte der blaue Kreis auf mich größer.

Imran Hussein: Genau, aber es sah für dich so aus, was dich dazu brachte, dich für A oder B zu entscheiden. Der Zweck dieser Übung ist es, euch zu verdeutlichen, wie Weltanschauungen funktionieren: Sie basieren auf einer Reihe grundlegender Überzeugungen, einem System von Annahmen, die dann alle weiteren Überzeugungen formen und beeinflussen.

Ein Student: Außerdem vertraue ich dir. Und weil ich dir vertraue, hat das meine Entscheidung stark beeinflusst.

Imran Hussein: Genau, das ist der Punkt. Eine Weltanschauung existiert, weil man ihr in gewissem Maße Vertrauen schenkt. Man vertraut den Menschen, die sie einem vermitteln. Man hat sie aus einem bestimmten Grund.

Ein Student: Das ist ein riesiger Faktor.

Imran Hussein: Der entscheidende Punkt hier ist, dass eine Weltanschauung beeinflusst, wie man die Realität wahrnimmt und versteht. Hätte ich euch zu Beginn nicht suggeriert, dass einer der Kreise größer ist, hätten die meisten von euch wahrscheinlich gesagt: „Nein, beide sind gleich groß.“ Sicher, der rote Kreis könnte aufgrund seiner helleren Farbe etwas größer wirken, aber der von mir gegebene anfängliche Glaubenssatz hat eure Wahrnehmung beeinflusst. Das ist ein grundlegendes Konzept: Eine Weltanschauung prägt die Überzeugungen, die ihr von der Realität habt.

Lasst uns das jetzt genauer betrachten. Was meint ihr, was eine Weltanschauung sonst noch sein könnte?

Ein Student: Eine Lebensweise.

Imran Hussein: Okay, eine Lebensweise.

Ein Student: Ich denke, es betrifft speziell den intellektuellen Aspekt. „Lebensweise“ könnte zu weit gefasst sein, weil es auch Handlungen einschließt.

Imran Hussein: Eine Lebensweise kann sich aus einer Weltanschauung ergeben.

Ein Student: Ja, ich würde sagen, es geht darum, wie du dein Wertesystem aufbaust.

Weiterer Student: Deine Moral.

Imran Hussein: Ja, das hängt definitiv auch damit zusammen.

Ein Student: Es geht darum, woher du deine Beweise nimmst, um die Welt um dich herum zu verstehen.

Imran Hussein: Ja, das stimmt ebenfalls. Aber was ist eine Weltanschauung in ihrem grundlegenden Wesen?

Ein Student: Es ist die Art und Weise, wie du die Welt siehst.

Imran Hussein: Okay, es ist die Art und Weise, wie du die Welt siehst.

*Studenten schmeißen Verschiedenes in den Raum*

Ein Student: Psychologische Kategorien von Richtig und Falsch.

Weiterer Student: Es ist das, was man dir glauben machen wollte.

Imran Hussein: Es könnte das sein, was man dir glauben machen wollte, ja.

Ein Student: Es ist der psychologische Zustand, der durch dein Wissen, deine Erfahrungen und die Menschen um dich herum geformt wird.

Imran Hussein: Gut, ja, nah dran. Es handelt sich also um eine strukturierte Reihe von Überzeugungen – eine grundlegende, zusammenhängende Reihe von Annahmen über die Realität. Das sind einige gute Ansätze. Eine formale Definition dazu findet man in der Oxford Reference: ‚Eine weitgehend unbewusste, aber im Allgemeinen kohärente Reihe von Annahmen und Überzeugungen, die jeder Mensch hat und die die Art und Weise prägt, wie wir die Welt und alles in ihr verstehen.‘ Ich denke, das ist eine treffende und einfache Erklärung. Eine Weltanschauung ist also eine Reihe grundlegender Überzeugungen und Ideen, die unsere Wahrnehmung und unser Verständnis der Welt um uns herum prägen. Ist das allen klar?

Man könnte es auch anders formulieren, um es noch deutlicher zu machen: Eine Weltanschauung ist wie eine Linse. Wir haben dieses Konzept bereits im letzten Kurs erwähnt. Es ist eine Linse, durch die man die Realität sieht und interpretiert. Oder auch eine Sphäre von Überzeugungen, durch die alles, was man erlebt, gefiltert wird. Es ist wie ein Prisma: Wenn Licht durch ein Prisma fällt – was passiert mit dem Licht?

Du bekommst weißes Licht, das sich dann in die Regenbogenfarben aufspaltet und auf eine andere Weise wieder austritt. Das ist eine weitere schöne Metapher, um zu verstehen, wie eine Weltanschauung funktioniert.

Jetzt ist es so, dass wir zwar nicht viel darüber nachdenken, aber jeder Mensch hat tatsächlich eine Weltanschauung. Ohne eine Weltanschauung könnte man nicht funktionieren. Sie ist wie eine Grundstruktur, die das Verständnis und die Wahrnehmung der Realität formt. Wie sich diese Weltanschauung entwickelt, ist von Person zu Person unterschiedlich. Manche Menschen übernehmen ihre Weltanschauung direkt von anderen, sei es durch Erziehung, Kultur oder Gemeinschaft. Andere wiederum formen ihre Weltanschauung selbst, basierend auf ihren frühen Erfahrungen und Interaktionen mit der Welt um sie herum. Aber eines ist sicher: Jeder hat eine Weltanschauung, und sie prägt grundlegend, wie man die Realität wahrnimmt und interpretiert.

Ich möchte euch nun ein kurzes Beispiel geben, damit wir uns das wirklich einprägen können. Ein klares Verständnis dieses Konzepts wird vieles von dem, worüber wir sprechen, beeinflussen.

Eine Weltanschauung ist etwas sehr Grundlegendes. Atheisten haben eine Weltanschauung, ebenso wie Feministinnen, Christen, Muslime, Buddhisten, Sikhs und Hindus. Jeder Mensch besitzt eine Weltanschauung. Dabei ist es manchmal nicht nur eine klar definierte, sondern bei den meisten Menschen eine Mischung, ein „Brei“ aus verschiedenen Ideen und Überzeugungen.

Nehmen wir ein kurzes Beispiel: Wer hat etwas über das UFO-Thema mitbekommen, das derzeit online die Runde macht? Einige von uns, oder? Man hat einiges dazu in den sozialen Medien gesehen. Joe Rogan hat darüber gesprochen, Tucker Carlson ebenfalls, und viele dieser bekannten YouTube-Persönlichkeiten. In Amerika gab es dazu sogar Kongressanhörungen. Das Thema hat sich inzwischen über die sogenannte „Aluhut-Bubble“ hinaus ausgebreitet, und die Leute nehmen es zunehmend ernst. Es wurden bereits wissenschaftliche Arbeiten dazu verfasst. Auf Plattformen wie ResearchGate gibt es einige sehr interessante Veröffentlichungen. Kürzlich erschien sogar eine Arbeit über Plasma-Lebensformen und unbekannte Flugobjekte. Das Thema wird also inzwischen auf einer ganz neuen Ebene behandelt. Und jetzt wird es spannend:

Es gibt einerseits das, was die Menschen tatsächlich sehen und beobachten. Manchmal sind es Lichter oder leuchtende Kugeln am Himmel. Hin und wieder berichten sie von kryptidenartigen Kreaturen, die plötzlich auftauchen. Einige sprechen sogar von direkten Interaktionen mit diesen Wesen. Manche behaupten, entführt und an einen anderen Ort gebracht worden zu sein. Andere erzählen, dass diese Wesen sie täuschen oder mit ihnen spielen – all das wird diesen sogenannten Aliens zugeschrieben.

Die vorherrschende Meinung unter den Säkularisten, insbesondere unter denen, die keinen Glauben an eine höhere Macht haben, ist, dass es sich bei solchen Phänomenen um Außerirdische handelt – Wesen aus einer anderen Welt. Wenn sie Lichter am Himmel sehen, interpretieren sie diese als Raumschiffe, physische Flugobjekte, die aus dem All stammen. Doch das sind lediglich Vermutungen. Die Frage ist: Warum neigen sie zu diesen Annahmen? Warum sehen sie ein Licht, das sich seltsam bewegt, die Gesetze der Physik scheinbar bricht, und kommen zu dem Schluss: „Das ist ein physisches Flugobjekt, das erstaunliche Leistungen vollbringt und unser Verständnis von Physik auf den Kopf stellt“?

Ebenso bei den Menschen, die behaupten, entführt worden zu sein – besonders aus säkularen Umfeldern. Warum sagen sie, „Das sind Außerirdische, die mich entführt haben“? Was denkt ihr, weshalb sie zu solchen Schlüssen kommen?

Ein Student: Ich denke, es liegt daran, dass ihre physisch geprägte Weltanschauung sie zu der Annahme führt, dass es keine andere Erklärung geben kann als die, dass es sich um Außerirdische handelt.

Imran Hussein: Genau, das liegt an ihrer Weltanschauung. Wir können hier beobachten, wie sie funktioniert. Es gibt ein Phänomen, das geschieht, und in gewisser Weise ähnelt es einer religiösen Erfahrung. Wenn man religiöse Erfahrungen akademisch untersucht, stellt man fest, dass sie aus verschiedenen Aspekten bestehen. Es gibt das Phänomen selbst, das stattfindet, und dann die Interpretation dieses Phänomens durch die Person, die es erlebt.

Wie erfolgt diese Interpretation? Man könnte sagen, sie geschieht durch den Verstand der Person, die das Erlebnis hat, oder, je nach Perspektive, durch das Gehirn. Das hängt davon ab, aus welcher Weltanschauung man dies betrachtet. Die Person sieht also etwas in der Welt, es wird durch ihre Sinnesorgane aufgenommen und gelangt in ihren Verstand, wo es verarbeitet wird. Dabei wird das Wahrgenommene jedoch auch durch das Prisma ihrer Weltanschauung gefiltert. Diese Weltanschauung hilft, die Informationen zu interpretieren und eine Schlussfolgerung zu ziehen. Könnt ihr mir bis hierher folgen?

Sie sehen also dieses Objekt, zum Beispiel eine Kugel am Himmel, die sich auf außergewöhnliche Weise bewegt – und sie interpretieren es sofort als „ein außerirdisches Raumschiff!“. Wenn sie dann entführt werden oder eine ähnliche Erfahrung machen, sagen sie: „Außerirdische haben mich entführt!“. Warum kommen sie zu diesen Schlussfolgerungen? Weil ihre Weltanschauung keine anderen Interpretationen zulässt.

Betrachtet dies aus einer säkularen Perspektive: Wir leben in einem technologischen Zeitalter, in dem die Menschen an Technologie gewöhnt sind. Sie sehen die fortschrittlichsten Technologien, wie Kampfjets oder militärische Ausrüstung, und deuten daher alles Ungewöhnliche in diesem Rahmen.

Das ist also das Prisma, durch das sie die Welt betrachten. Sie sehen diese Lichter und nehmen an: „Ein Raumschiff!“ Oder: „Es ist ein Raumschiff, das außergewöhnliche Manöver ausführt, aber es bleibt ein physisches Raumschiff!“ Diese Schlussfolgerung ist eine Annahme, die auf ihrer Wahrnehmung basiert. Wenn sie dann eine Entführungserfahrung machen, interpretieren sie dies als: „Außerirdische haben uns entführt!“. Diese Interpretation basiert vollständig auf ihrer Weltanschauung, da diese die Existenz außerirdischen Lebens zulässt und solche Phänomene in diesem Rahmen einordnet.

Ein Student: Seit den 1950er Jahren wurden sie quasi darauf programmiert, so zu denken, als all diese UFO-Filme nach dem Roswell-Zwischenfall veröffentlicht wurden.

Imran Hussein: Ja, das spielt definitiv eine große Rolle.

Ein Student: Sie wurden also über 50 Jahre hinweg durch Propaganda, Filme und Erklärungen geprägt, die solche Vorstellungen wie „Wenn du etwas Glänzendes am Himmel siehst, ist es ein UFO“ oder „Wenn du ein Wesen mit einem großen Kopf siehst, ist es ein Außerirdischer“ gefördert haben. Das hat erheblich dazu beigetragen.

Imran Hussein: Genau! Und wenn man in der Geschichte zurückblickt, wird es besonders interessant. Einige Akademiker haben dazu geforscht und kamen zu dem Schluss, dass dieses Phänomen – und wenn ich von Phänomen spreche, meine ich all das, was Menschen erleben – bereits seit Jahrhunderten existiert. Es ist kein neues Phänomen. Einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, Dr. Jacques Vallée, ein französischer Akademiker, betont, dass solche Erfahrungen schon seit Jahrhunderten gemacht werden. Damals jedoch interpretierten die Menschen sie nicht als Begegnungen mit Außerirdischen von einem anderen Planeten. Stattdessen sahen sie darin eine religiöse oder spirituelle Erfahrung. Heutzutage hingegen wird es ohne Beweise als Kontakt mit außerirdischem Leben interpretiert. Die Wahrnehmung hat sich also grundlegend verändert.

Wenn du den Aufsatz über die Dschinn von Ibn Taymiyya liest – der genaue Titel fällt mir gerade nicht ein, aber es ist ein faszinierendes Werk –, wirst du feststellen, dass er darin davon spricht, dass Dschinn Menschen entführen. Es steht dort schwarz auf weiß. Ihr könnt es nachlesen: Dschinn entführen Menschen. Es gibt auch eine Überlieferung des Propheten ﷺ, in der er dazu rät, Kinder nach Einbruch der Dunkelheit von der Straße fernzuhalten, damit sie nicht entführt werden.

Es gab einen Vorfall, der sich während der Kalifatszeit von, wenn ich mich recht erinnere, Umar (ra) ereignete. Eine Frau kam zu ihm und bat um Scheidung von ihrem Ehemann, da dieser spurlos verschwunden war. In seiner Abwesenheit heiratete sie erneut. Nach einigen Jahren kehrte ihr erster Ehemann überraschend zurück – und dies ist, wie erwähnt, eine authentische Überlieferung. Als er wieder auftauchte und seine Frau suchte, fragte man ihn: „Was ist geschehen? Wo warst du? Niemand wusste, wohin du gegangen bist!“ Er antwortete: „Ich wurde entführt. Die Dschinn haben mich verschleppt.“ Er berichtete, dass sie ihn all die Jahre gefangen hielten, bis eine andere Gruppe von gläubigen Dschinn die erste Gruppe besiegte. Diese gläubigen Dschinn boten ihm schließlich an, zu seiner Familie zurückzukehren, und brachten ihn zurück.

Ein Student: Es gibt eine Überlieferung über den Anführer des Stammes Al-Khazraj, ich glaube, es war Saad ibn Ubadah, dass er von Dschinn getötet wurde. Das fand ich krass.

Imran Hussein: Wir wollen das Thema jetzt nicht zu sehr auf Dschinn fokussieren, aber der Punkt ist, dass aus unserer Weltanschauung, aus unserer Perspektive heraus, ähnliche Phänomene schon seit langem existieren. Entführungen haben stattgefunden, und das betrügerische Element der Dschinn, dass sie Streiche spielen oder Menschen täuschen, ist uns bekannt. Es gibt heutzutage einen Begriff dafür, der „Mitfahrereffekt“ genannt wird. Wenn Menschen solche Erfahrungen mit vermeintlichen Außerirdischen machen, bleibt oft etwas an ihnen haften. Es verfolgt und beeinflusst sie sowie ihre Familien. Dieses Phänomen des „Mitfahrereffekts“ ähnelt dem, was wir als Bindung oder Besessenheit durch Dschinn kennen. Der entscheidende Punkt ist, dass ein und dieselben Ereignisse oder Daten je nach Weltanschauung unterschiedlich interpretiert werden.

Ein Student: Ich habe eine Frage. Was ist der Unterschied zwischen Weltanschauung und Erkenntnistheorie? Was ist der Hauptunterschied zwischen den beiden?

Imran Hussein: Wie würdest du Erkenntnistheorie definieren?

Ein Student: Wissen. Woher du weißt, was du weißt. Die Wissensquellen.

Imran Hussein: Ja, das gehört dazu. Wir werden das gleich genauer betrachten. Eine Weltanschauung ist eher ein allgemeines Verständnis der grundlegenden Überzeugungen, die wir haben und die uns dabei helfen, die Realität zu erfassen. Sie beeinflusst auch unsere Erkenntnistheorie und andere Bereiche. Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Doch zunächst: Haben wir jetzt ein klares Verständnis davon, was eine Weltanschauung ist und welchen Einfluss sie hat? Sie prägt buchstäblich deine Wahrnehmung und Interpretation der Realität.

Ein weiteres Beispiel: Allah spricht im Qur’an über Seine Zeichen. Für uns Muslime sollte es so sein, dass wir, wenn wir die Welt betrachten und die physischen Zeichen des Universums sehen, uns an Allah und Seine schöpferische Kraft erinnert fühlen. Allah ist das „Warum“ hinter dem „Wie“. Er ist der Grund, der hinter allem steht.

Aber wenn ein säkularer, gottloser Wissenschaftler dieselbe Welt betrachtet, erkennt er dies nicht. Wie viele Professoren gibt es, die den Kosmos seit Jahrzehnten erforschen? Sie haben die Feinheiten des Universums studiert. Ebenso gibt es Professoren, die den menschlichen Körper und die Biologie bis ins Detail untersucht haben. Subboor erwähnte dazu etwas Interessantes – wie hieß es noch gleich? Gibt es jemanden hier, der Biologie studiert?

Ein Student: *zeigt auf jemanden* Er macht seinen Doktor.

Imran Hussein: Wo ist der Arzt unter uns? (…) Du studierst Medizin? Wie heißt das nochmal – Fla..? Da gibt es etwas, eine Art Motor in der Zelle oder so. Wie heißt das?

Ein Student: Flagellum.

Imran Hussein: Ja, genau darüber hat er gesprochen. Es ist wirklich erstaunlich, wenn man es betrachtet. Man denkt sich nur: „SubhanAllah, wie kann so etwas in einer Zelle existieren!?” Doch trotz jahrzehntelanger Forschung von Wissenschaftlern und Ärzten erkennen sie dies nicht. Warum? Noch einmal: Es ist ihre Weltanschauung, die bestimmt, was sie wahrnehmen. Genau hier wird die Bedeutung einer Weltanschauung deutlich. Doch das Erstaunliche ist, dass die meisten Menschen nicht einmal wissen, was der Begriff „Weltanschauung“ bedeutet, obwohl jeder von uns eine hat. Deshalb ist es wichtig, dies zu verstehen, inshaAllah.

Schauen wir uns nun eine grundlegende Taxonomie einer Weltanschauung an. Wir können „Weltanschauung“ in drei zentrale Elemente aufteilen: das ontologische, das erkenntnistheoretische und das moralisch-ethische Element.

Das ontologische Element beschäftigt sich mit der Existenz. Es stellt die Frage: Was existiert und was ist die Quelle dieser Existenz? Das erkenntnistheoretische Element bezieht sich auf Wissen und darauf, wie wir es erlangen. Welche sind die gültigen Quellen des Wissens? Schließlich gibt es den moralischen und ethischen Aspekt, der bestimmt, was richtig und falsch ist, welche Werte und Prinzipien wir vertreten und wie wir handeln sollen.

All diese Elemente werden durch die Weltanschauung eines Menschen geformt. Im Buch „No Doubt“ von Sheikh Fahad findet ihr eine noch detailliertere Aufschlüsselung dieser Taxonomie. Wir haben Exemplare hier, ihr könnt euch welche nehmen. Sheikh Fahad geht in seinem Werk auf viele weitere Aspekte ein. Doch für den Zweck dieses Workshops möchte ich die Informationen so präsentieren, dass sie besonders für ein jüngeres Publikum zugänglich bleiben. Daher geben wir euch hier eine grundlegende Einführung, ohne dabei zu tief ins Detail zu gehen.

Das ist also eine grundlegende Aufschlüsselung der Taxonomie einer Weltanschauung. Sie beeinflusst maßgeblich, wie wir die Realität wahrnehmen, verstehen und untersuchen. Eine Weltanschauung bestimmt unsere Erkenntnistheorie, also die Methoden, mit denen wir Wissen erlangen, und die Quellen, aus denen dieses Wissen stammt. Sie beantwortet die Fragen: Was existiert? Was ist die wahre Natur der Existenz? All diese grundlegenden Perspektiven und Konzepte werden durch die jeweilige Weltanschauung geformt.

Die Weltanschauung der Moderne

Was also ist die moderne Weltanschauung? Lasst uns das gemeinsam erarbeiten. Welche Weltanschauung dominiert in unserer heutigen Zeit?

Ein Student: Säkularismus.

Imran Hussein: Okay, man kann also sagen, dass sie säkular geprägt ist, ja.

Ein Student: Liberalismus.

Imran Hussein: Liberalismus, genau. Diese beiden sind wahrscheinlich die wichtigsten.

Ein Student: Materialismus.

Imran Hussein: Materialismus. Man könnte also sagen: ein säkularer, materialistischer Liberalismus.

Ein Student: Atheismus.

Imran Hussein: Das sind eher die Ableger, sozusagen die Nebenprodukte dieser Weltanschauung. Aber die vorherrschende Weltanschauung, so könnte man sagen, ist eine Art säkularer Liberalismus. Wie würdet ihr diese Dinge jetzt definieren? Wie würdet ihr Säkularismus definieren?

Ein Student: Trennung von Kirche und Staat.

Imran Hussein: Ja, das kann man so sagen. So kann man es auch ausdrücken.

Ein Student: Spaltung von Religion und modernem Leben, insbesondere in Bereichen wie Politik.

Imran Hussein: Ja, und Liberalismus?

Ein Student: Deine Begierden erfüllen.

Anderer Student: Freiheit, Individualismus.

Imran Hussein: Okay, ja, das gehört dazu. Individualismus spielt eine zentrale Rolle im Liberalismus. Individualität, Atomismus.

Ein Student: Eine Vielzahl von Ansichten, bei denen im Grunde alles akzeptabel ist, solange man dabei anderen keinen Schaden zufügt.

Imran Hussein: Ja, das ist der ethische Aspekt dessen, die ethische Dimension, die du da ansprichst: Mach, was du willst, solange du dabei niemandem schadest. 

Ein Student: Nutzenmaximierung.

Imran Hussein: Nützlichkeit spielt eine zentrale Rolle in der heutigen modernen, säkularen, liberalen Weltanschauung. Alles dreht sich darum, wie nützlich etwas ist.

Ein Student: Materialismus.

Imran Hussein: Man kann sagen, dass der Materialismus Teil davon ist. Naturalismus oder Materialismus.

Ein Student: Ich würde sagen, es geht auch darum, die Entscheidungsfreiheit des Individuums zu maximieren.

Imran Hussein: Ja, das fällt also ein bisschen in den ethischen Bereich. Gut, schauen wir uns das jetzt systematisch anhand der Taxonomie an. Beginnen wir mit der ontologischen Perspektive – der Existenz. Was ist gemäß der säkularen, liberalen, naturalistischen Weltanschauung die Natur der Existenz und was ist ihre Quelle? Bzw. auch gemäß der postmodernen Weltanschauung?

Ein Student: Im Grunde basiert alles auf chemischen Reaktionen.

Weiterer Student: Sie versuchen, alles mit Hilfe der Wissenschaft zu erklären.

Imran Hussein: Das gehört also eher zur Erkenntnistheorie, zur Frage nach den Quellen des Wissens. Bleiben wir jedoch zunächst bei der Ontologie. Was ist die grundlegende Realität der Existenz? Was macht die Existenz aus?

Ein Student: Zufälligkeit.

Weiterer Student: Materie.

Imran Hussein: Imran Hussein: Richtig. Es gibt also keinen Gott. Es gibt nichts Übernatürliches. Es gibt nichts Göttliches. Alles ist Zufall. Im Wesentlichen sagen sie das. Das ist die beste Art, es auszudrücken, ja. Sie könnten es noch etwas aufblähen, indem sie es auf eine akademischere Art und Weise sagen, aber es ist Zufall. Alles ist nur durch Zufall entstanden. Es gibt also nichts Übernatürliches. Es ist alles Zufall. Und es ist alles physisch. Das ist die vorherrschende Ansicht. Jetzt kommen zwar die Idealisten ins Spiel, populäre idealistische Akademiker, die sagen: Nein, es ist im Grunde keine Materie, es ist eigentlich Bewusstsein. Und es ist das Bewusstsein, das die materielle physische Welt hervorbringt, die wir um uns herum sehen. Diese Ansicht wird immer beliebter, je mehr wir uns dem postmodernen Zeitalter nähern. Das ist die vorherrschende Ansicht.

Jetzt kommen zwar die Idealisten ins Spiel, populäre idealistische Akademiker, die argumentieren, dass die Grundlage der Realität nicht Materie ist, sondern Bewusstsein. Sie behaupten, dass das Bewusstsein die materielle physische Welt hervorbringt, die wir wahrnehmen. Diese Perspektive wird vor allem im Übergang zum postmodernen Zeitalter immer beliebter.

Wir werden bald auf Modernismus und Postmodernismus eingehen, um die Unterschiede zwischen ihnen zu verdeutlichen. Aber im Kern betrachtet man aus einer materialistischen oder naturalistischen Perspektive alles als reine Materie in Bewegung. Die physische Welt besteht aus Dingen, die durch Zufall hier sind – ein Produkt von reinem Zufall.

Der Urknall ereignete sich, Moleküle und Atome bewegten sich zufällig im Weltraum und kollidierten miteinander. Diese zufälligen Kollisionen führten zur Bildung komplexerer Materiestrukturen, die schließlich Sonnensysteme innerhalb unserer Galaxie entstehen ließen. Innerhalb dieses Prozesses fand die Erde zufällig ihren Platz in der sogenannten „habitablen Zone“, in der Leben entstehen konnte. Gibt es noch etwas, das ihr hinzufügen könnt?

*Im Studentenkreis herrscht Stille*

Ich denke, das bietet eine solide Grundlage für die ontologische Sichtweise aus einer materialistischen Perspektive: Alles ist nur zufällige Materie in Bewegung. Diese Annahme bildet den Kern dieser Sichtweise. Wenn man hingegen die idealistische Perspektive betrachtet, argumentieren ihre Vertreter: „Nein, das Bewusstsein steht an erster Stelle.“ In diesem Zusammenhang treten dann Theorien wie die holographische Theorie und ähnliche Konzepte in den Vordergrund. Es gibt hierbei unterschiedliche Ansichten.

Wie sieht es nun aus erkenntnistheoretischer Sicht aus—was sind die Wurzeln des Wissens für die moderne säkulare liberale Weltanschauung?

Ein Student: Fangen wir bei den fünf Sinnen an.

Imran Hussein: Okay – und was ergibt sich daraus? Welche Wissensmethode entsteht daraus, die vorherrschend ist? (…) Die Wissenschaft.

Lasst mich das mit einem Vorwort einleiten: Wissenschaft ist keine schlechte Methode – sie ist eine brillante Methode. Aber wir wollen uns anschauen, welche Methode die vorherrschende Wissensquelle in dieser säkularen liberalen Weltanschauung darstellt. Es ist die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist im Grunde die Hauptquelle.

Wir werden uns das genauer ansehen – vielleicht gehen wir auch darauf ein –, aber hat jemand die Geschichte der Wissenschaft, des Szientismus oder des Empirismus untersucht? Nicht nur, wo alles begann, sondern vor allem, warum es populär wurde?

*Im Studentenkreis herrscht Stille*

Okay, hier sind ein paar Hausaufgaben für euch: Beschäftigt euch mit der Arbeit der Positivisten und der logischen Positivisten. Ich glaube, die Positivisten kamen zuerst, gefolgt von den logischen Positivisten, die hauptsächlich in Wien ansässig waren.

Diese Gruppe von Denkern trieb die Idee voran, dass wissenschaftliches Wissen der einzige Weg sei, um Fortschritt zu erzielen. Alle anderen Formen des Wissens oder Methoden zur Erkenntnis wurden von ihnen abgelehnt und ignoriert.

Später verfeinerten einige diese Ansicht, als sie erkannten, dass die Aussage „Wissenschaft ist der einzige Weg zur Erkenntnis“ in sich widersprüchlich ist. Aber die frühen Positivisten – falls ich sie nicht verwechsle – vertraten die Haltung: „Wissenschaft ist der einzige Weg zur Wahrheit.“

Was ist das Problem mit dieser Haltung? Warum ist sie in sich widersprüchlich?

Ein Student: Das ist eine unwissenschaftliche Aussage.

Die Grenzen der Wissenschaft

Imran Hussein: Ja, genau. Es gibt keine Möglichkeit, diese Aussage zu validieren. Man kann sie nicht in ein Reagenzglas stecken und messen – das funktioniert nicht. Sie erkannten also die Schwächen und verfeinerten ihre Ideen ein wenig, behielten aber die Wissenschaft weiterhin an der Spitze, an der Spitze der Wissenskette.

Manche Menschen – selbst auf Universitätscampus hört man das – sagen auch heute noch: „Die Wissenschaft ist der einzige Weg zur Wahrheit.“ Manche gehen sogar so weit zu behaupten, dass die Wissenschaft wie eine Religion sei, die Gott in gewisser Weise ersetzt habe.

Andere wiederum sagen: Nein, die Wissenschaft ist lediglich der sicherste Weg, Wissen zu erlangen. Sie gestehen ein, dass es auch andere Wege zum Wissen gibt. Und das müssen sie auch, denn die Wissenschaft selbst basiert auf anderen Formen des Wissens.

Wenn man sich die Grundlagen der Wissenschaft ansieht, wird deutlich, dass sie auf einigen Dingen aufbaut, die sie selbst nicht validieren oder rechtfertigen kann. Was denkt ihr, worum es sich bei diesen Dingen handelt?

Ein Student: Zeugniswissen.

Imran Hussein: Zeugniswissen ist ein wichtiger Punkt. Denn wie funktioniert Wissenschaft?

Ein Student: Durch Experimente.

Imran Hussein: Ja, genau. Nehmen wir zum Beispiel einen Bereich der Wissenschaft wie die Kosmologie. Ist die Sichtweise, die Wissenschaftler heute von der Kosmologie und dem Verständnis des Universums haben, innerhalb einer Generation entstanden? Natürlich nicht. Sie hat eine lange Geschichte. Man kann sie bis zu Newton, Einstein und vielen anderen zurückverfolgen, die entscheidend zur Entwicklung dieser Ideen und zum Verständnis des Universums und seiner Grundlagen beigetragen haben.

Können die Wissenschaftler, die heute arbeiten, an Einsteins Grab klopfen und mit ihm sprechen? Nein. Woher wissen sie also von seiner Arbeit=

Ein Student: Durch seine Schriften.

Imran Hussein: Durch seine Schriften – sein Zeugnis, im Wesentlichen.

Ein Student: Aber sie sagen, sie können seine Tests wiederholen, um dies zu überprüfen.

Imran Hussein: Ja, sie könnten sie wiederholen, sie könnten sie ausprobieren. Aber es kommt vor, dass Wissenschaftler genau das tun und zu anderen Schlussfolgerungen gelangen. Deshalb wenden sie sich inzwischen teilweise von der allgemeinen Relativitätstheorie ab und hin zu anderen Modellen.

Im Kern basiert jedoch vieles auf Zeugniswissen, das man unbesehen akzeptiert. Zum Beispiel stützen sich Menschen, die sich mit der Evolution beschäftigen, auf Darwins frühe Werke und bauen darauf auf.

Kann ein Wissenschaftler jedes einzelne mögliche Experiment selbst durchführen? Natürlich nicht. Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten basieren auf der Arbeit anderer. Wenn ihr beispielsweise akademische Arbeiten schreibt: Führt ihr jedes einzelne Experiment durch, das die Wissenschaftler, auf die ihr euch bezieht, zuvor gemacht haben, bevor ihr sie zitiert? Natürlich nicht. Das wäre unmöglich – ihr würdet euer ganzes Leben mit einer einzigen Arbeit verbringen.

Ihr stützt euch also auf deren Arbeit, auf deren Zeugnis. Zeugnis ist somit ein wesentlicher Weg zu Wissen.

Wenn also jemand zu euch kommt und sagt: „Wissenschaft ist der einzige Weg zu Wissen“, dann macht ihm klar, dass die Wissenschaft selbst auf anderen Wegen zu Wissen angewiesen ist, wie zum Beispiel dem Zeugnis.

Ein weiteres Beispiel ist die Mathematik. Sie ist ein eigenständiger Wissenszweig, auf den die Wissenschaft angewiesen ist.

Wenn man sich mit der Philosophie der Wissenschaft auseinandersetzt, stößt man außerdem auf grundlegende Annahmen, die der Wissenschaft zugrunde liegen. Welche sind das?

Student: Dass die Zukunft sich genauso verhalten wird wie die Gegenwart.

Imran Hussein: Gut. Eine grundlegende Annahme der Wissenschaft lautet, dass die Zukunft sich genauso verhalten wird wie die Gegenwart. Oder auch die Vergangenheit. Das ist ein Axiom der Wissenschaft. Doch dieses Axiom kann wissenschaftlich nicht validiert werden.

Was noch?

Ein Student: Du hast einen bestimmten Datensatz und leitest daraus allgemeine Aussagen ab. Zum Beispiel beobachtest du tausend weiße Schwäne und schlussfolgerst daraus: „Alle Schwäne sind weiß.“

Imran Hussein: Wie nennt man das? Wie lautet der Fachbegriff dafür?

Ein Student: Verallgemeinern.

Imran Hussein: Ja, das Wort ist „verallgemeinern“, aber es gibt einen spezifischen Fachbegriff dafür.

Ein Student: Induktion.

Imran Hussein: Ja, genau – Induktion. Induktives Denken, im Grunde. Denn denkt daran, jeder Wissenschaftler hat nur eine begrenzte Anzahl von Beobachtungen. Es ist unmöglich, alle möglichen Beobachtungen zu erfassen. Also analysieren sie einen bestimmten Datensatz und verallgemeinern auf dieser Grundlage. Sie ziehen daraus eine Schlussfolgerung, was durchaus vernünftig ist.

Ein Wissenschaftler, der beispielsweise auf einem Feld arbeitet, könnte den Auftrag haben, die Vögel zu beobachten, die dort vorbeifliegen. Er macht sich Notizen und stellt fest, dass jeder Vogel, den er über einen Monat hinweg sieht, braun ist. Auf dieser Grundlage kommt er zu der Schlussfolgerung: „Jeder Vogel, der in England über dieses Feld fliegt, ist braun.“

Das ist eine vernünftige Schlussfolgerung. Aber ist sie absolut? Nein.

Ein Student: Genau so sind wir von der Newtonschen Physik zur Einsteinschen Physik übergegangen. Die Newtonsche Physik hat etwa 200 Jahre lang ziemlich gut funktioniert. Aber dann stießen Wissenschaftler auf eine Beobachtung, die nicht ins Modell passte – sie konnten Merkur zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort nicht finden. Das führte dazu, dass sie das gesamte Modell überarbeiten mussten. Am Ende entstand das Einstein’sche Modell, und jetzt bewegen wir uns in Richtung Quantenphysik. Es ist also ein ständiger Prozess des Wandels.

Imran Hussein: Ja, es ist ein ständiger Wechsel. Und der Quantenbereich macht es noch herausfordernder, weil die Phänomene in diesem Bereich nicht – oder zumindest nicht so, wie es scheint – den normalen Gesetzen der Physik gehorchen, wie sie in anderen Theorien beschrieben werden.

Nehmen wir das Beispiel mit den Vögeln: Mit einer begrenzten Datenmenge ist es eine vernünftige Schlussfolgerung zu sagen, dass die Vögel, die über dieses Feld fliegen, braun sind. Aber wenn weitere Beobachtungen hinzukommen, könnte es durchaus sein, dass plötzlich ein schwarzer oder weißer Vogel über das Feld fliegt.

Daher kann man nicht behaupten, dass wissenschaftliche Schlussfolgerungen absolute, hundertprozentige Tatsachen sind. Kein ernstzunehmender Wissenschaftsphilosoph würde das sagen. Sind sie vernünftig? Stimmen sie zu 80%, 90%, 95%? Sicher, das ist möglich. Aber sie erreichen nie die 100%.

Die Wissenschaft liefert daher keine 100%igen Wahrheiten. Aus dieser Perspektive sind wissenschaftliche Ergebnisse keine „unumstößlichen Wahrheiten“, wie man es in anderen Kontexten ausdrücken könnte.

Noch einmal: Es geht nicht darum, die Wissenschaft zu untergraben. Wir versuchen nicht, sie schlechtzumachen. Wir sagen lediglich, dass wir einen Schritt zurücktreten und sie realistisch betrachten sollten. Die Wissenschaft ist nicht „der Heilige Gral der Wahrheit“. Selbst innerhalb ihres eigenen Bereichs nicht.

Denn denkt daran, die Wissenschaft ist auf einen bestimmten Bereich der Realität beschränkt. Und welcher ist das? Die beobachtbare Realität. Jemand hat vorhin die Sinne erwähnt. Wissenschaft erfordert den Einsatz der physischen Sinne. Man braucht sie, um Wissenschaft zu betreiben, um zu beobachten. Alles beginnt mit Beobachtungen.

Aber es gibt Dinge, die über das hinausgehen, was wir mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen können. Das bedeutet nicht, dass diese Dinge nicht existieren, nur weil wir sie nicht direkt beobachten oder untersuchen können.

Ein vernünftiger Wissenschaftler sollte sagen: „Das liegt außerhalb des Bereichs der Wissenschaft“, nicht: „Das existiert nicht.“ Die letztere Aussage ist eher eine dogmatische, religiöse Art von extremer Aussage, wenn man so will. Die erstere hingegen ist rational und angemessen.

Nehmen wir ein Beispiel: Die Wissenschaft ist amoralisch. Sie kann uns nichts über Moral sagen. Einige haben zwar versucht, Moral in die Wissenschaft zu zwängen – wie etwa mit Konzepten wie der „moralischen Landschaft“. Aber das funktioniert nicht. Das ist einfach nicht der Bereich der Wissenschaft. Moral gehört nicht dazu, also bleibt sie außen vor.

Das Entscheidende ist, dass die Wissenschaft – selbst innerhalb ihres eigenen Bereichs, der physischen, materiellen Welt – keine 100-prozentige Gewissheit liefern kann. Sie hat ihre Grenzen.

Nochmals: Das soll die Wissenschaft nicht untergraben. Sie ist die beste Methode, die wir haben, um die physische Welt zu erforschen. Aber sie hat ihre Grenzen. Und genau darum geht es hier.

Was noch? Wo liegen die Grenzen der Wissenschaft? Da wir schon darüber sprechen, lasst uns ein paar dieser Grenzen aufzeigen.

Ein Student: Du hast die Positivisten erwähnt, und was war die andere Gruppe?

Imran Hussein: Logische Positivisten.

Ein Student: Logische Positivisten! Und die waren es, die – wie du sagtest – die Wissenschaft als Hauptweg zum Wissen—

Imran Hussein: Genau, sie haben diese Idee vorangetrieben und den Fokus auf die Wissenschaft als die dominierende Kraft gelenkt.

Student: Ja, ich würde sagen – vielleicht ist das in der akademischen Welt anders. Aber für normale Leute auf der Straße liegt der Grund, warum sie die Wissenschaft so sehr schätzen oder hoch bewerten, in den jüngsten technologischen Fortschritten.

Das hat die Wissenschaft zu etwas gemacht wie: „Wow, ich kann mein Telefon nehmen und jemanden am anderen Ende der Welt anrufen.“ Ich denke, es ist dieser technologische Fortschritt, der die Wissenschaft für viele als den besten Weg erscheinen lässt, um herauszufinden, was wahr und was unwahr ist.

Imran Hussein: Ja, das ist ein guter Punkt. In den letzten 50 Jahren gab es einige erstaunliche technologische Fortschritte. Und deshalb betone ich immer wieder: Wissenschaft ist keine schlechte Methode. Wir wollen die Wissenschaft nicht untergraben. Es geht nur darum, die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken.

Es gab in der Geschichte der Wissenschaft Fälle, in denen eine Idee oder Theorie falsch war, aber dennoch zu etwas Nützlichem führte. Erst später stellte sich heraus, dass sie falsch war. Doch manchmal funktioniert es auf sehr mysteriöse Weise, nicht wahr? (…) Ja, bitte, mach weiter.

Ein Student: Nein, ich wollte sagen, wenn man sich zum Beispiel den Zeitraum vom Jahr Null bis zum Jahr 1700 ansieht, hat die Technologie das tägliche Leben der Menschen nicht wirklich stark beeinflusst. Es gab vielleicht einige Fortschritte, zum Beispiel in der Landwirtschaft oder beim Druckwesen, aber nichts, was so revolutionär und unsichtbar ist wie WLAN heute.

Und genau deshalb war die Wissenschaft für die einfachen Leute damals vielleicht nicht so bedeutend wie heute, obwohl es schon damals Menschen gab, die sie als einen Weg zur Erkenntnis der Wahrheit betrachteten.

Imran Hussein: Was meinst du damit, dass die normalen Leute das nicht—

Ein Student: Ich meine, du hast ja von den Positivisten und den logischen Positivisten gesprochen. Und was ich damit sagen will, ist, dass es davor nicht so war, dass die Menschen nicht– Es ist eher eine Theorie von mir: Der Grund, warum die Menschen damals nicht so involviert waren und nicht glaubten, dass die Wissenschaft der Hauptweg zur Wahrheit sei, lag wahrscheinlich daran, dass sie nicht über die technologischen Mittel verfügten, um ihre Bedeutung im Alltag wirklich zu erkennen.

Imran Hussein: Ja, es ist also ein Teufelskreis, oder? Hätten sie der Wissenschaft mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wären sie vielleicht technologisch weiter fortgeschritten.

Und ich denke, dass zumindest aus europäischer Sicht ein Teil davon mit der Rolle der Kirche und ihrem Einfluss auf die Gesellschaft zusammenhängt. Die Kirche unterdrückte oder verfolgte viele Freidenker im Westen, was die Entwicklung hemmte. Im Islam hingegen gab es dieses Problem nicht wirklich.

Wenn man sich das goldene Zeitalter des Islam anschaut, das über 800 Jahre dauerte, sieht man, dass die Wissenschaften aktiv gefördert wurden. Ein Argument könnte sein, dass der Hauptgrund dafür darin lag, dass die Muslime den Qur’an verstanden und ernst nahmen, der das Studium der physischen Welt betont.

Es gibt klare Verse im Qur’an, in denen Allah dazu aufruft, die Schöpfung zu betrachten – die Wolken, die Sonne, das Kamel und seine Entstehung, und vieles mehr. Diese Verse ermutigten dazu, die physische Welt zu studieren, Wissen zu erlangen, nach Erkenntnis zu streben und sich weiterzubilden.

Und man sah, dass die Muslime diesen Impuls aufnahmen und ihn in die Tat umsetzten. Anders als in einigen anderen Kulturen zerstörten sie nicht die Werke der Griechen. Im Gegenteil: Sie waren es, die diese bewahrten, sie studierten, darauf aufbauten und neue Theorien entwickelten, die den Fortschritt weiter vorantrieben.

Und hier könnte man argumentieren, dass Europa einen Großteil dieses anfänglichen Wissens von den Muslimen erhalten hat. Dieses Wissen wurde dann in den Westen zurückgebracht, wo man darauf aufbauen konnte.

Also ja, ich denke, ein entscheidender Grund für die Verzögerung war, dass die Kirche dieses offene Streben nach Wissen und die Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht gefördert hat. Das hemmte den Fortschritt in Europa erheblich.

Deshalb fand diese große Revolution in Wissenschaft und Technologie erst nach der Aufklärung statt. Erst nach der Aufklärung wurden diese Veränderungen möglich. Im Islam gab es dieses Problem jedoch nie.

Westeuropäische Wissenschaftler, die in die islamische Welt reisten, studierten bei den Muslimen. Damals wurden einige erstaunliche technologische Fortschritte gemacht. Tatsächlich werden einige der medizinischen Instrumente, die heute verwendet werden, in ihrer Grundform immer noch genutzt. Sie wurden seit ihrer Entwicklung in den muslimischen Ländern nicht verändert. Das ist wahrscheinlich ein Grund. 

Ein anderer möglicher Grund könnte darin liegen, dass der Schwerpunkt der Gesellschaften in der Vergangenheit stärker auf dem Spirituellen als auf dem Technischen lag.

Man könnte sogar argumentieren, dass die Kirche in einer Hinsicht – vielleicht unwissentlich – recht hatte, wenn sie vor möglichen negativen Folgen technologischer Entwicklungen warnte. Denn viele Technologien, die später entwickelt wurden, haben tatsächlich enormen Schaden angerichtet. Einige Errungenschaften der Wissenschaft haben verheerende Auswirkungen gehabt, wenn man einmal ernsthaft darüber nachdenkt.

Ein Student: Ja, es gibt doch diesen Begriff, bei dem man sagt: „Technologische Giganten, aber moralische Zwerge.“

Imran Hussein: Ja, genau. Und jetzt kombiniere das mal: Entferne die ethische und moralische Dimension vom Menschen und gib ihm diese rohe technologische Macht – was wird dann passieren? Was passiert schon jetzt? Ich meine, selbst bei KI–– irgendjemand hier, der KI studiert?

Es gibt gerade eine große Diskussion über die Ethik der KI. Ich habe mit einem Experten gesprochen, der auf diesem Gebiet arbeitet, und er hat etwas Interessantes hervorgehoben: Viele Leute, die sich intensiv mit der Entwicklung von KI beschäftigen – nicht aus geschäftlicher, sondern aus technischer Sicht –, sind oft recht exzentrische Charaktere. Sie sind nicht unbedingt repräsentativ für den typischen, „normalen“ Menschen.

Die ethische Seite wird manchmal einfach ignoriert, wenn es nur darum geht, diese Technologien zu entwickeln. Nicht, dass ich Elon Musk zustimme, aber er hat einige interessante Dinge über KI gesagt, besonders wenn er über die möglichen Gefahren spricht.

Und nicht nur das: Schaut euch die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen an. Das allein ist eine Katastrophe. Auch das war eine wissenschaftliche Errungenschaft. Es zeigt, dass wissenschaftlicher Fortschritt auch ernsthafte Probleme mit sich bringen kann.

Aber ich denke, das Wichtigste hier ist – um auf den Punkt zurückzukommen – dass die Wissenschaft als der vorherrschende Weg zur Erkenntnis angesehen wird. Andere Wege werden vielleicht anerkannt, aber die Wissenschaft dominiert. Es ist gut, dass wir betonen, dass die Wissenschaft innerhalb eines bestimmten Bereichs der Realität ihre Stärke hat. Und sie hat uns zweifellos einige erstaunliche Fortschritte gebracht.

Es ist jedoch wichtig, auch die Wissenschaft, zumindest philosophisch, in ihren Zuständigkeitsbereich zurückführen:

  1. Die Wissenschaft kann sich nur mit der physischen, beobachtbaren Welt befassen.
  2. Die Wissenschaft kann dir in keinem Bereich eine absolute, hundertprozentige Wahrheit liefern, nicht einmal in ihrem eigenen Bereich.

Und dann gibt es noch die ethische Dimension, die wir im Laufe des Kurses im Detail besprechen werden, inshaAllah.

Lasst uns jetzt die moralische und ethische Seite ansehen. Wir leben heute in einer modernen, liberalen, säkularen Weltanschauung. Ethik und Moral – die Frage, was richtig und was falsch ist. Woher kommen diese Konzepte? Wie werden sie begründet?

Die ethische Dimension der modernen Weltanschauung

Ein Student: Es kommt nicht unbedingt vom Rechtssystem, denn es gibt eine Trennung zwischen dem, was moralisch und was legal ist. Gesetze, die festgelegt werden, definieren also nicht zwingend, was richtig und was falsch ist.

Im Allgemeinen wird den Menschen die Freiheit gegeben, ihre eigenen moralischen Werte zu bestimmen. Es gibt dann eine dünne Schutzschicht, die sicherstellen soll, dass die Interessen der Menschen – zumindest angeblich – nicht miteinander in Konflikt geraten. Und das läuft auf eine Art Schaden hinaus.

Imran Hussein: Ja, das Schadensprinzip spielt hier eine Rolle. Aber was genau ist das? Wie begründen sie ihre moralischen Werte und Pflichten?

Ein Student: Gesellschaftsvertrag.

Anderer Student: Utilitarismus.

Imran Hussein: Utilitarismus gehört dazu.

Ein Student: Vergnügen maximieren, Schmerz verringern.

Imran Hussein: Ja, aber woher beziehen die Menschen heute ihr grundlegendes Verständnis von richtig und falsch?

Ein Student: Es ist subjektiv.

Imran Hussein: Im Grunde ist das das, was übrig bleibt.

Ein Student: Erfahrung.

Imran Hussein: Okay, man könnte sagen Erfahrung.

Ein Student: Wie ich mich fühle.

Imran Hussein: Aber jeder hat unterschiedliche Erfahrungen. Erfahrung ist wie gesagt subjektiv für den Einzelnen.

Studenten: Soziale Normen… soziale Konstrukte.

Imran Hussein: Ich meine, schaut euch an, wie fließend die Grenzen dessen sind, was in der Gesellschaft als ethisch, richtig oder falsch angesehen wird, und wie oft sich das im Laufe der Zeit ändert.

Ein Student: Homosexualität war, glaube ich, fünf Jahre vor meiner Geburt noch illegal. Und jetzt wird sie im Grunde genommen in den Schulen gefördert. Das ist ein Zeitraum von gerade mal 50 Jahren, in dem sich die gesellschaftliche Haltung von einem Extrem ins andere verschoben hat. Es ist völlig subjektiv.

Imran Hussein: Und das ist der Punkt – es zeigt uns auch den Wandel von der Moderne zur Postmoderne. Die Modernisten wandten sich zwar von Spiritualität, Religion und Gott ab und wurden säkular, aber sie wollten dennoch an bestimmten Konzepten und Konstrukten festhalten. Sie wollten immer noch die Moral und Ethik bewahren, die ursprünglich aus dem Christentum stammten.

Die Postmodernisten hingegen ziehen den Bruch komplett durch. Sie sagen im Grunde: „Schaut, das alles ist Unsinn. Moral, Ethik, Wahrheit – das ist alles subjektiv. Es ist das, was ihr daraus macht, das, was ihr daraus machen wollt.“

Ein Student: Das Zeitalter der Gefühle.

Imran Hussein: Genau, Gefühle. Es ist im Grunde Selbstvergottung. Viele Menschen haben heute einen Gottkomplex – die meisten, wenn wir ehrlich sind. Sie entscheiden, was ihre Realität ist, was richtig und was falsch ist, was die Wahrheit ist. Alles ist subjektiv.

Ein Student: Was ist MEIN Sinn?

Imran Hussein: Ja, genau. Es ist alles subjektiv und ständig im Wandel. Deshalb sollten wir nicht überrascht sein, wenn wir diese ständigen Veränderungen in der moralischen Haltung der heutigen Gesellschaft sehen – Dinge, die heute als richtig gelten, waren vor fünf oder zehn Jahren vielleicht noch falsch. Und wer weiß, wo wir in den nächsten 50 Jahren stehen werden.

Ich meine, wenn man diese Weltanschauung als Grundlage nimmt, versteht man, warum es in diese Richtung geht. Es sollte uns aber auch zeigen, dass wir, wenn wir mit Menschen über diese Themen diskutieren, oft ihre Weltanschauung hinnehmen und auf ihrem „Spielfeld“ argumentieren. Und genau deshalb befinden wir uns die meiste Zeit in der Defensive.

 Zum Beispiel, wenn wir die Existenz Gottes „beweisen“ sollen, indem wir sagen: „Hier ist ein stichhaltiges Argument für die Existenz Gottes.“ Aber warum müssen wir das überhaupt? Kann ihre Weltanschauung überhaupt die Möglichkeit zulassen, dass sie in der Position sind, mit UNS zu diskutieren?

Das ist die erste Frage, die wir ihnen stellen sollten, noch bevor wir uns überhaupt auf eine Diskussion einlassen. Es geht darum, die Dinge aus einer wirklich, wirklich grundlegenden Perspektive zu betrachten. Und genau das versuchen wir hier.

Gut, jetzt kommen wir zu einigen Aspekten, die aus der modernen säkularen liberalen Weltanschauung hervorgehen. Wir haben einige dieser Punkte bereits angesprochen und werden sie auf der letzten Folie für heute zusammenfassen, inshaAllah.

Das hier sind einige der Hauptaspekte, aber die Liste ist nicht vollständig:

Die Beschaffenheit der Realität: Woraus besteht die Realität?

  • Alles ist Zufall.
  • Alles besteht aus Materie in Bewegung, physische Materie
  • Es gibt nichts Göttliches oder Übernatürliches.
  • Die Welt wird als ein geschlossenes, physisches System betrachtet – Atome und Moleküle, nicht mehr und nicht weniger.

Quelle der Existenz:

  • Es gibt keinen Gott, keinen Schöpfer.
  • Alles ist zufällig entstanden, ohne Absicht oder höheren Plan.

Bedeutung und Sinn— was ist ihrer Meinung nach die Bedeutung und der Sinn?

Ein Student: Sich selbst glücklich zu machen.

Imran Hussein:  Ja, genau. Du erschaffst deine eigene Bedeutung. Du erschaffst deinen eigenen Sinn.

Wenn wir uns nächste Woche mit den existenzialistischen Philosophen befassen, werdet ihr sehen, worauf sie damit hinauswollten. Und nochmals: Wir haben bereits über den Gottkomplex gesprochen.

Wenn man jemandem sagt: „Du bist Herr deines eigenen Schicksals. Du erschaffst deinen eigenen Sinn. Du gestaltest dein eigenes Leben.“– was sagt man dieser Person damit im Grunde?

Studenten: Dass du Gott bist.

Imran Hussein: Dass du Gott bist, das sagst du ihm. Selbst wenn du es nicht ausdrücklich so formulierst, ist das die implizite Botschaft. Du hebst ihn auf ein Podest oder versetzt ihn in eine Position, in der er – oder der Mensch generell – nicht sein sollte.

Und genau das ist der Grund, warum jemand, der so konditioniert wurde und von dieser Weltanschauung ausgeht, Schwierigkeiten haben wird, das Konzept einer höheren Macht zu akzeptieren, geschweige denn sich dieser zu unterwerfen. Wird er das bereitwillig tun wollen? Wahrscheinlich nicht. Er wird mit diesem Konzept und dieser Idee zu kämpfen haben.

Das ist vergleichbar mit Sünden. Wenn man eine Sünde begeht und Geschmack daran findet, wird es sehr schwer, sich davon loszureißen. Nicht, dass es unmöglich wäre, aber es ist eine große Herausforderung. Und dann beginnt man, eine Rechtfertigung dafür zu finden, was dazu führt, dass man weiterhin in diesen Sünden verharrt. Es ist also äußerst schwer, sich davon zu lösen.

Wie sieht es mit der Lebensweise aus? Wie leben die Menschen unter dieser Weltanschauung? Welche Lebensphilosophie haben sie?

Ein Student: Materialismus.

Materialismus und Hedonismus in der modernen Weltanschauung

Imran Hussein: Genau, Materialismus. Die YOLO-Mentalität: „You only live once“.

Ein Student: Mach, was du willst.

Imran Hussein: Ja, genau. Mach, was du willst. Hol das Beste aus deinem Leben heraus. Amüsier dich. Hab Spaß. Das führt oft zu Hedonismus. Ich würde sagen, die Mehrheit der Menschen verfällt dem Hedonismus.

Warum? Weil sie so sehr damit beschäftigt sind, ihre Begierden zu erfüllen, Spaß zu haben und sich ständig abzulenken, dass der Nihilismus— auch wenn viele Menschen von ihm betroffen sind— durch diesen Lebensstil abgefedert wird. Hedonismus wirkt fast wie ein Schutzschild oder ein Puffer gegen Nihilismus.

Ein Student: Darf ich etwas anmerken? Wenn man sich einen modernen westlichen Menschen ansieht, erkennt man, dass er oft versucht, seine Gesundheit zu maximieren, seine Ernährung umzustellen und sein Leben zu optimieren, um diese hedonistische Existenz so lange wie möglich zu verlängern.

Aber letztendlich ist ihm bewusst, dass alles irgendwann zusammenbrechen wird. Es wird sowieso mit dem Tod enden. Und genau das führt dann oft zu Depressionen und ähnlichen Problemen.

Imran Hussein: Ja, zumindest für diejenigen, die darüber nachdenken. Viele Menschen denken gar nicht so weit. Sie leben einfach im Moment, haben Spaß und amüsieren sich. Deshalb ist der säkulare Liberalismus eher etwas für junge Leute, nicht für ältere Menschen. Denn was soll ein älterer Mensch auch tun?

In diesem Stadium ihres Lebens können sie nicht mehr denselben Spaß haben, den sie als junge Menschen hatten. Ihre Begierden sind verschwunden. Was bleibt also? Und was passiert mit älteren Menschen in einer solchen individualistischen Gesellschaft?

Ein Student: Einsamkeit. Einfach das Warten auf den Tod.

Imran Hussein: Ja, genau. Einsamkeit. Einsamkeit ist eine der häufigsten Todesursachen in diesem Land.

Nächste Woche werden wir uns kurz mit den Ursprüngen in der Geschichte befassen, wie es zu dieser säkularen liberalen Moderne kam. Ich möchte, dass ihr euch als Hausaufgabe einen Teil dieser Geschichte anschaut und, wenn möglich, einige verschiedene Punkte in diese Diskussion einbringt, inshaAllah.

Existenzialismus und der Mensch im Nihilismus

Und schaut euch auch einige der existenzialistischen Philosophen an. Denn als sich die Menschen von Gott abwandten, befanden sie sich an einem sehr verlorenen Ort. Das war die Geburtsstunde der Existenzialisten – Nietzsche, Jean-Paul Sartre, Albert Camus und viele andere.

Schaut euch einige dieser Denker an. Sucht einfach nach „Existenzialisten“ des frühen 19. Jahrhunderts, des 18. Jahrhunderts und beschäftigt euch mit einigen von ihnen. Denn sie alle hatten leicht unterschiedliche Ansichten. Camus hatte seine eigene Perspektive, Nietzsche hatte seine eigene Sichtweise, Sartre hatte eine etwas andere Auffassung. Sie alle hatten ihre eigene Meinung dazu, wie man den Menschen im Grunde genommen aus diesem Nihilismus retten kann.

Schaut euch das also an. Wir werden das nächste Woche besprechen, inshaAllah. Jazakallahu khayr. Gibt es noch Fragen?

*Studentenkreis verneint*

Jazakallahu khayr Brüder, möge Allah euch segnen.

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