Anmerkung zum Transkript

Das vorliegende Transkript wurde auf das Wesentliche gekürzt. Stellen, die den Lesefluss stören könnten – wie längere Denkpausen, Füllwörter („Ähm’s“), Versprecher, Wiederholungen sowie Interaktionen mit dem Publikum, die nicht unbedingt zum Kern des Vortrags beitragen – wurden entfernt. Zudem wurden einige Sätze umgestellt oder leicht angepasst und ergänzt, um den Text flüssiger und verständlicher zu gestalten und den beabsichtigten Kontext klarer zu vermitteln. Darüber hinaus haben wir das Transkript in mehrere in sich abgeschlossene Abschnitte unterteilt, um den Lesefluss zu verbessern und die Bedeutung und Schwere der Worte besser hervorzuheben. Diese Anpassungen wurden vorgenommen, ohne den Inhalt oder die beabsichtigte Botschaft zu verändern. Alle wesentlichen Informationen und Bedeutungen bleiben unverändert.

Einführung und kurze Wiederholung

Imran Hussein: Bismillah, inna alhamdulillah, wa salatu wa salam ala rasulillah. Assalamu’aleyykum wa rahmatullah, Brüder.

Aus dem Studentenkreis: Wa aleyykumu salam wa rahmatullahi wa barakatuhu.

Imran Hussein: Okay, Leute, bevor wir inshaAllah dort weitermachen, wo wir letzte Woche mit unserem neuen Kurs „Grounded – Being Muslim in a Godless World“ aufgehört haben, lasst uns kurz zusammenfassen, was wir bisher in den letzten beiden Sitzungen gemacht haben. Das ist sehr wichtig, denn diese Sitzungen legen den Grundstein für den gesamten Kurs, inshaAllah. Was war also das allererste, worüber wir in der ersten Sitzung gesprochen haben? Wer von euch war anwesend?

Ein Student: Es ging um Weltanschauungen.

Imran Hussein: Genau, Weltanschauungen. Was also ist eine Weltanschauung?

Ein Student: Es ist die Linse, durch die wir die Welt betrachten.

Imran Hussein: Okay, wie würdet ihr es noch zusammenfassen?

Ein Student: Es ist eine Reihe von Überzeugungen, die man vertritt.

Imran Hussein: Genau, eine Weltanschauung ist eine Reihe von grundlegenden Überzeugungen, die man hat und die die eigene Realität formen. Noch etwas?

*Im Studentenkreis herrscht Stille*

Imran Hussein: Okay, gut. Eine grundlegende Definition wäre also, dass es sich bei einer Weltanschauung um eine Reihe von Grundüberzeugungen handelt, die jede einzelne Person hat und die die Art und Weise prägen, wie sie mit der Realität interagiert und wie sie die Welt um sich herum sieht.

Als wir festgehalten haben, dass jeder eine Weltanschauung hat, gingen wir anschließend zur Diskussion darüber über, welche Weltanschauung heute vorherrscht und wie sie entstanden ist. Zu welchem Schluss sind wir da gekommen? Welche Weltanschauung ist heute vorherrschend?

Ein Student: Säkularismus, Atheismus, Liberalismus…

Imran Hussein: Genau, säkularer Liberalismus oder eine moderne Weltanschauung. Man kann beide Begriffe verwenden. Und was sind die Ursprünge dieser Weltanschauung?

Ein Student: Sie liegen in der Aufklärung.

Imran Hussein: Genau. Man kann sagen, dass sie während der Aufklärung oder kurz danach wirklich ihren Höhepunkt erreichte. Ein Großteil der Arbeit wurde während der Aufklärung geleistet, aber die Grundlagen für diese Weltanschauung wurden schon vorher gelegt. Es gab die Französische Revolution, die Wissenschaftliche Revolution und davor die Renaissance, und es geht noch weiter zurück. Und davor gab es die muslimische Welt vom 8. bis zum 14. Jahrhundert, während des islamischen Goldenen Zeitalters. Viele westeuropäische Denker – wohlgemerkt Christen – reisten in diesen Jahrhunderten in die islamische Welt und lernten viel von den Muslimen und ihrer Wiederentdeckung klassischer Werke und brachten sie in den Westen zurück. Es geschah also nicht in einem Vakuum.

Und es ist ziemlich komisch – erst neulich habe ich mir die Diskussion zwischen Jordan Peterson und Richard Dawkins angesehen, und dabei fiel mir etwas auf, das ich nicht wirklich überraschend, sondern eher bedauerlich fand: Beide behaupteten, dass Wissenschaft und die Hinwendung zur Vernunft im Westen plötzlich entstanden seien und irgendwie mit dem Christentum in Verbindung stehen müssten.

Wenn man jedoch die akademische Forschung und die Werke zu diesem Thema betrachtet, erkennt man einen klaren Zusammenhang zwischen den Ereignissen in der islamischen Welt und der wissenschaftlichen Revolution sowie der Aufklärung und – in gewissem Maße – sogar der Renaissance. Doch keiner der beiden hat dies erwähnt. Ich glaube, das war kein Zufall. Es wirkt vielmehr absichtlich, denn beide scheinen belesene Menschen zu sein, und es ist kaum vorstellbar, dass sie nicht über diese historische Verbindung gestolpert wären.

Wie dem auch sei, es zeigt, dass säkulare Atheisten zwar ständig betonen, wie sehr sie die Wissenschaft lieben, aber wenn es um die Geschichte der Wissenschaft und ihre Ursprünge geht, bleibt die Anerkennung der Beiträge der Muslime leider aus. Das ist ein Punkt, den man genauer betrachten sollte.

Nun zur Aufklärung – wie würdet ihr die Aufklärung in ein paar Sätzen beschreiben und zusammenfassen?

Ein Student: Meinst du die Aspekte des Positivismus und des logischen Denkens?

Imran Hussein: Nein, das kam erst viel später.

Ein Student: Geht es um die Ablehnung von Religion und darum, dass alles Wissen auf empirischen Beweisen basieren muss, also auf etwas, das überprüfbar und verifizierbar ist?

Imran Hussein: Ja, also anfangs war die Aufklärung keine vollständige Ablehnung der Religion. Vielmehr handelte es sich zunächst um ein Zeitalter der Vernunft und des Empirismus, eine Ära des freien Denkens, in der der Mensch Verantwortung übernahm und selbst festlegte, was richtig und was falsch ist, welchen Weg er gehen sollte und wie seine eigenen Regierungen und Gesetze aussehen sollten.

Der Fokus lag auf Wissenschaft, Empirismus und Technologie, um eine weltliche Utopie zu schaffen. Das wurde zu ihrem neuen Ziel. Es war jedoch keine völlige Abkehr von Religion, denn es gab immer noch Menschen, die an Gott oder zumindest an bestimmte Aspekte der Religion glaubten, etwa im Sinne des Theismus oder Deismus. Atheismus war auch ein Teil davon, wie wir letzte Woche besprochen haben, obwohl seine Ursprünge aus dieser Zeit stammen.

Einige Denker waren Atheisten, doch viele waren Deisten. Später führte dieser Prozess jedoch stärker in Richtung Atheismus. Ein sehr interessantes Buch dazu ist The Twilight of Atheism von Alistair McGrath, einem christlichen Akademiker, der dies hervorragend zusammenfasst. Er beschreibt, dass die Moderne und der Atheismus zwei Seiten derselben Medaille sind. Es ist eine einfache, aber sehr anschauliche Art, diesen Zusammenhang zu erklären. Die Moderne und Atheismus gehen im Grunde Hand in Hand.

Das konnten wir letzte Woche sehen, als wir die grundlegenden Prinzipien der Moderne besprochen haben. Einige davon waren:

  • Es gibt keinen Gott oder Schöpfer.
  • Säkularismus – der Mensch verdrängt Gott aus dem öffentlichen und privaten Leben.
  • Der Mensch übernimmt die Rolle Gottes und bestimmt sein eigenes Schicksal.

Das bildet die Grundlage für viele der Ideologien, die später entstanden sind. Was waren einige dieser Ideologien und ideologischen Abspaltungen, die aus der Moderne hervorgingen? Atheismus ist dabei offensichtlich eine von ihnen.

Ein Student: Atheismus, Säkularismus, Liberalismus, Naturalismus, Feminismus, Hedonismus. 

Imran Hussein: Richtig, das sind nur einige Beispiele. Und sie alle beruhen auf derselben grundlegenden Philosophie – genau das ist es, worauf sich McGraths Konzept der „zwei Seiten derselben Medaille“ bezieht.

Nun kommen wir zur Krise. Wir haben gesehen, dass nicht alles an der Moderne schlecht war; es sind viele positive Dinge daraus hervorgegangen. Doch in diesem Wettlauf um Fortschritt und Entwicklung, um eine weltliche Utopie zu schaffen, verschob sich der Fokus von den grundlegenden, existenziellen Fragen, die für den Menschen von Bedeutung sind. Die Menschen verloren den Bezug zu dem, was wirklich zählt – was schließlich zum Aufstieg der existentialistischen Philosophen führte, über die wir heute sprechen werden. Diese Philosophen versuchten, diese Lücke zu füllen und der inneren Leere der Menschen entgegenzuwirken. Denn ohne Gott blieben die großen Fragen des Lebens unbeantwortet:

  • Wer sind wir?
  • Woher kommen wir?
  • Wohin gehen wir?
  • Worum geht es im Leben?

Ohne einen Bezug zu Gott konnten sie auf diese Fragen keine zufriedenstellenden Antworten finden – also brauchten sie eine Alternative.

Aber bevor wir uns tiefer mit dem Existentialismus beschäftigen, sollten wir meiner Meinung nach die Moderne sowie die Postmoderne und die sogenannten Metamoderne genauer betrachten. Wir müssen die Übergänge und Veränderungen dieser Phasen im Auge behalten. Denn laut den meisten Akademikern leben wir heute nicht mehr im Zeitalter der Moderne – wir haben diese Epoche bereits hinter uns gelassen.

Der Modernismus, der nach der Aufklärung entstand, legte den Fokus auf Rationalismus, Empirismus und eine optimistische Lebenseinstellung, um eine weltliche Utopie zu erschaffen. Es ging um die „Befreiung“ des Menschen und eine atomistische Sichtweise des Lebens – den Fokus auf das Individuum und das Selbst. Gleichzeitig hatte diese Epoche sehr klare Vorstellungen davon, wohin der Mensch gehen sollte und was er in der Welt erreichen wollte. Das war das Grundgerüst der Moderne.

Einige Gelehrte verbinden die Moderne direkt mit der Aufklärung und sehen sie als deren Ergebnis. Andere wiederum meinen, dass sie bereits in der Renaissance ihren Anfang nahm. Manche unterteilen die Moderne sogar in drei Phasen:

  1. Frühe Moderne: Diese wird häufig mit der Französischen Revolution und der wissenschaftlichen Revolution verbunden.
  2. Klassische Moderne: Diese beginnt ab dem 18. Jahrhundert und umfasst die Zeit der Aufklärung.
  3. Spätmoderne: Diese Phase erstreckt sich von den 1960er bis in die 1990er Jahre.

Nach dieser letzten Phase traten wir – ab Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts – in das Zeitalter der Postmoderne ein.

Die Postmoderne

Was ist jetzt aber die Postmoderne? Ich weiß, dass sich einige von euch bereits ein wenig damit beschäftigt haben. Gibt es bestimmte Ideen oder Dinge, die euch dabei aufgefallen sind?

Wie gesagt, es ist schwierig, diese Thematik in wenigen Worten zusammenzufassen, da es so viele Facetten gibt und wir nicht auf alles eingehen können. Aber wie könnten wir die Postmoderne so zusammenfassen, dass wir ein allgemeines Verständnis davon bekommen, worum es dabei geht?

Ein Student: Es gibt keine Wahrheit im Sinne von der Wahrheit. Jeder Mensch hat seine eigene Wahrheit und seine eigene Sichtweise auf die Dinge, und sie sind alle gleichermaßen gültig.

Imran Hussein: Genau. Einer der wichtigsten Grundsätze der Postmoderne ist, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Wahrheit ist das, was du daraus machst, was du als Wahrheit wahrnimmst. Viele Dinge werden lediglich als „soziale Konstrukte“ betrachtet.

Ein Student: Sie stellen alles in Frage – die Realität, das, woran wir glauben – einfach alles.

Imran Hussein: Ja, sie stellen buchstäblich alles infrage, insbesondere Ethik und Moral. Denkt daran: Mit der Postmoderne kam eine Art sozialer Bewegung auf. Postmodernisten sind sehr lautstark, sie veranstalten viele Demonstrationen und setzen sich für Menschenrechte usw. ein.

Denn vergesst nicht: die Moderne hatte bestimmte Versprechen gemacht, zum Beispiel: „Wir werden Gerechtigkeit schaffen, Freiheit ermöglichen“ usw. Doch aus Sicht der Postmodernisten hat die Moderne in diesen Punkten versagt. Deshalb kämpfen sie heute für die Rechte der Menschen und setzen sich für verschiedene Anliegen ein.

Auf den ersten Blick mag das sehr interessant erscheinen, aber es gibt viele Probleme damit – insbesondere philosophische Probleme. Habt ihr dazu noch weitere Gedanken?

Nehmen wir den Punkt Wahrheit. Was ist eigentlich Wahrheit? Im Grunde ist sie laut Postmodernisten subjektiv, d. h. es gibt nicht die eine Wahrheit. Wenn man es aber aus dieser Perspektive betrachtet, fragt man sich: Wofür stehen die Menschen dann? Denn wenn sich jemand sozial engagiert und sagt: „Das ist die Wahrheit!“, und gleichzeitig aber behauptet, dass es keine objektiven Wahrheiten gibt, dann ist das ein Widerspruch, oder nicht?

Ein Student: Ich habe das Gefühl, dass mit dem Aufkommen der Postmoderne auch andere Bereiche wie Moral, Kunst, Literatur usw. beeinflusst wurden. Oder sie wurden verändert und vielleicht eher als eine Art von Wahrheit akzeptiert. Wenn man heute z. B. einen Roman liest, kann man so viel über die Weltanschauung anderer Menschen lernen. Aber vielleicht war das in der Moderne nicht so stark ausgeprägt.

Imran Hussein: Doch, das war es. Denn vergiss nicht: Literatur, Architektur und kulturelle Aspekte standen auch in der Moderne stark im Fokus. Es gab eine große Veränderung in der Kunst, in der Literatur, in der Poesie – all diese Dinge haben sich entwickelt und verändert. Denn sie prägen die Art und Weise, wie Menschen die Welt betrachten – ihre Weltanschauung. Damals wurde viel gelesen, und das Lesen von Romanen oder Gedichten und das tägliche Erleben der Architektur hatte eine spürbare Auswirkung auf die Gedankenwelt und die Sichtweise eines Menschen. Und genau das hatte man verstanden – auch in der islamischen Welt. Es gibt dort eine bestimmte Art von Architektur, nicht wahr? Eine bestimmte Ästhetik und Struktur, wie Dinge gebaut wurden – und all das hatte eine Wirkung auf die Seele und die Psyche der Menschen. In der Postmoderne gab es definitiv eine Veränderung in der Kunst – in all diesen Bereichen.

Ein Student: Aber ab wann wurde es dann zur Postmoderne?

Imran Hussein: Ungefähr Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts. Es gibt keine klare Abgrenzung. Solche Verschiebungen geschehen nicht von einem Tag auf den anderen oder durch einen einzelnen Denker, der aufsteht und sagt: „Ab jetzt gehen wir diesen Weg.“ Das passiert über einen längeren Zeitraum hinweg. Wenn es um die Einzelheiten geht – so ungefähr ab der Mitte des 20. Jahrhunderts – kann man sagen, dass dies das Zeitalter der Postmoderne war.

Ein Student: Sie wird oft als eine Reaktion auf die Moderne angesehen, auf die Gewissheit und den Optimismus der Moderne.

Imran Hussein: Ja, genau. Die Postmoderne ist also, wie viele sagen würden, eine Reaktion auf die Moderne. Eine aggressive Reaktion auf die Moderne und die Versprechen, die sie gemacht hat – Versprechen von Gleichheit, Freiheit, Unabhängigkeit – all diese Dinge.

Die Menschen sahen, dass nichts davon erfüllt wurde. Es gab immer noch Kriege, immer noch Böses auf der Welt, immer noch Leid und grobes Fehlverhalten bestimmter Gruppen gegenüber anderen. Und natürlich spielte auch das kapitalistische System eine große Rolle. Sie lehnten das alles ab und sagten: „Das wollen wir nicht! Wir wollen Gleichheit herstellen!“

Und deshalb gibt es diese starke Dynamik sozialer Bewegungen, bei denen man dieses und jenes erreichen will. Einige haben sogar argumentiert – und ich denke, es gibt gute Argumente dafür –, dass die Postmoderne eine Neuverpackung des Marxismus ist. Das ist eine sehr interessante Perspektive, denn Marx hatte seine eigene Philosophie, seine eigenen Vorstellungen von Sozialismus. Im Laufe der Jahre präsentierte Marx seine Ideen als Sozialwissenschaft. Aber mit der Zeit erkannten die Menschen, dass seine Theorien und Hypothesen sich nicht bewahrheiten und tatsächlich sogar das Gegenteil passiert.

Ein Student: Wie lauteten denn seine Theorien?

Imran Hussein: Er hatte Modelle entwickelt, um zu erklären, wie das kapitalistische System funktioniert und warum es schlecht und schädlich sei, weil es zu einer Spaltung der Gesellschaft in Klassen führt. Seine Annahme war, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Er machte also Vorhersagen: Zum Beispiel, dass die Arbeiterklasse aufgrund der Unterdrückung durch die oberen Klassen weiter wachsen würde, die Mittelschicht verschwinden und nur eine kleine Elite übrigbleiben würde, die die Massen kontrolliert und ausbeutet.

Aber was geschah in der Realität? Die Mittelschicht wuchs, die Oberschicht ebenfalls, und die Arbeiterklasse wurde tatsächlich kleiner. Über die Jahre hinweg erkannten die Menschen: „Okay, Marx’ Ansichten sind nicht wirklich eingetreten.“

Laut einigen Akademikern beschlossen seine Anhänger, den Marxismus neu zu verpacken. Als der Marxismus in Verruf geriet und viele ihn als gescheitert ansahen, präsentierten sie ihn unter einem neuen Gewand – als Postmoderne – und machten einfach damit weiter.

Das ist eine interessante Theorie, über die viel diskutiert wird. Aber ich denke, es gibt einige zentrale Elemente, die wir hervorheben sollten:

  1. Die Postmoderne ist eine Reaktion auf die Moderne.
  2. Es ist eine Ablehnung von objektiver Wahrheit und Objektivität, insbesondere in Bezug auf Moral und Ethik.
  3. Es ist ein Zeitalter, in dem fast alles erlaubt ist.

Ein Student: Es ist auch eine Akzeptanz von Mehrdeutigkeit, Widerspruch und Pluralität. Postmodernisten lehnen die Moderne mit all seinem Optimismus und seiner Gewissheit ab und akzeptieren stattdessen all diese anderen Dinge.

Die Gemeinsamkeit der Moderne und Postmoderne

Imran Hussein: Richtig! Aber hier ist eine Frage an euch: Es gibt so viele Unterschiede zwischen der Moderne und der Postmoderne. Diese beiden Epochen sind fast schon Gegensätze, sie widersprechen sich in vielem. Aber was haben sie gemeinsam?

Ein Student: Den Abstand zu Gott – sie distanzieren sich beide von Gott.

Imran Hussein: Ja, genau – du erkennst das gleiche Muster, oder? Unter all diesen Ideen und Ideologien zieht sich ein roter Faden: die Ablehnung Gottes. Sie lehnen eine absolute Wahrheit oder Realität ab.

Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, die Postmoderne ist wie der Follow-Through1 beim Cricket. Wer von euch kennt Cricket oder spielt Cricket?”

*Einige melden sich*

Okay, ihr werdet verstehen, was ich meine. Wisst ihr, beim Cricket, wenn ihr bowlt – ja? Ihr werft den Ball. Aber ein guter Bowler zeichnet sich nicht nur durch den Wurf selbst aus, sondern auch durch das, was danach passiert. Was passiert nach dem Loslassen des Balls? Es gibt einen Follow-Through.

So sehe ich das auch im Kontext der Postmoderne: Sie zieht die Implikationen der Moderne vollständig durch. Die Menschen haben sich von Gott abgewandt, wurden säkular und machten den Menschen zum Maßstab und zur Kontrolle über die Realität. Aber gleichzeitig wollten sie an Prinzipien und Wahrheiten festhalten – an Recht, höheren moralischen Werten und ähnlichem.

Was die Postmoderne macht, ist eigentlich nur die logische Konsequenz: Sie sagt nicht nur, dass die Moderne diese Prinzipien und Versprechen nicht erfüllt hat, sondern fragt auch: Woher stammen diese Ideen überhaupt? Wenn alles subjektiv ist – worauf basieren dann diese Konzepte?

In gewisser Weise setzt die Postmoderne diesen Gedanken konsequent fort und sagt: „Alles ist möglich.“ Du kannst alles sein, was du willst, alles tun, was du willst und dich in jeder erdenklichen Weise definieren und identifizieren.

Aber gleichzeitig versuchen Postmodernisten, an bestimmten Prinzipien festzuhalten – wie Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Doch die große Frage ist: Wie begründen sie diese Prinzipien überhaupt objektiv? Und ich würde sagen, sie fallen in dieselben Fallen wie die Modernisten, nämlich dass es keine Möglichkeit gibt, diese Werte objektiv zu begründen. Letztendlich stehen sie vor denselben Problemen.

Möchte jemand dazu etwas sagen?

Ein Student: Gibt es denn überhaupt einen Unterschied zwischen der Ablehnung Gottes in der Moderne und in der Postmoderne? Denn in der Postmoderne sagte Bertrand Russell über das Universum, dass es „aus dem Nichts kam.“ Postmodernisten sagen also einfach, dass alles irgendwie zufällig ist.

Imran Hussein: Auf einer praktischen, pragmatischen Ebene würde ich sagen, dass es da Unterschiede gibt. Das ist eine interessante Diskussion. Ich denke, Russell war eher ein Modernist – er gehört klar in dieses Zeitalter. Aber wenn man sich die heutige Gesellschaft anschaut, wenn man mit Leuten auf der Straße spricht, merkt man, dass es eine Verschiebung gibt. Menschen haben sich von diesem kompromisslosen Atheismus und Naturalismus hin zu einer Art New-Age-Spiritualität bewegt.”

Ein Student: Kulturelle Christen.

Imran Hussein: Ja, genau. Viele Menschen experimentieren heutzutage mit seltsamen Glaubensvorstellungen. Sie glauben an „das Universum“ oder an ein „höheres Bewusstsein“ oder was auch immer. Sie glauben sogar an andere Wesen und Entitäten, denen sie beispielsweise durch den Konsum von Psychedelika begegnen. Sie sind flexibler in ihrer Definition von Glauben und Wahrheit, denn wie gesagt, sie selbst legen ja fest, was Wahrheit ist. Es ist das, was auch immer sie wollen, dass es ist.

Eine Person glaubt an einen „Baumgeist“, eine andere an ein höheres Wesen, eine weitere betet „das Universum“ an. Andererseits sind diese postmodernen Menschen meist keine strengen Naturalisten oder Atheisten, wie es Dawkins ist – dieser neue Atheismus. Sie sind flexibler, fast schon wie Sam Harris, der sich ebenfalls weiterentwickelt hat und eine Form von ‘Spiritualität ohne Gott’ vertritt.” Also ja, ihr werdet verschiedenen Ideen begegnen.

Sonst noch etwas?

Ein Student: Ich glaube, der Auslöser dafür war, dass die Moderne ihre Versprechen nicht erfüllt hat. Das hat wiederum das Vertrauen der Menschen gebrochen, sodass sie dachten: „Nun, da wir nichts Solides haben, werden wir eben unser eigenes Ding schaffen.“

Imran Hussein: Ja, genau. Außerdem denke ich, dass es eine Möglichkeit ist, sich selbst einen Sinn zu geben. Diese Bewegungen für soziale Gerechtigkeit – es ist fast so, als ob sie für viele Menschen den Sinn des Lebens darstellen. Aber es gibt einen inhärenten Widerspruch: Sie kämpfen für oder gegen etwas, das sie für objektiv moralisch richtig oder falsch halten – aber ihre Weltanschauung bietet keine objektive Grundlage dafür.

Dieser Widerspruch gilt nicht nur für die Moderne und Postmoderne, sondern auch für die sogenannte „Metamoderne“, die manche nun diskutieren. Diese dritte Phase wird als Kombination aus Moderne und Postmoderne betrachtet – die Postmoderne, gemischt mit dem Optimismus der Moderne. Denn die Postmoderne war eine sehr pessimistische Bewegung: Es ging darum, alles zu dekonstruieren, alles auseinanderzunehmen. Aber die Metamoderne versucht, diese Dekonstruktion mit einem gewissen Sinn und einer neuen Zielsetzung zu verbinden.

Aber egal, wie man es nennt, diese Bewegungen haben alle eines gemeinsam: Sie sind geprägt von Säkularisierung, von der Abkehr von Gott und Religion.

Ein Student: Gottlosigkeit.

Die 4 existenziellen Krisen

Imran Hussein: Genau. Und das bedeutet, dass sie alle dieselbe existenzielle Krise erleben. Das ist unser nächster Abschnitt. Jeder, der sich auf diese Weltanschauungen einlässt oder sie übernimmt – in welcher Variante auch immer – und dabei Gott und Religion ablehnt, wird mit denselben Krisen konfrontiert:

  1. Die Krise des Wissens
  2. Die Krise der Bedeutung
  3. Die Krise der Identität
  4. Die Krise der Moral

Diese Liste ist sicher nicht vollständig – es gibt wahrscheinlich noch mehr – und sie hat auch keine bestimmte Reihenfolge. Aber ich denke, das sind die vier wichtigsten, die sich herauskristallisiert haben.

Tariq hat beim letzten Mal das Zitat von Nietzsche vorgelesen – die Passage über Den tollen Menschen in Die fröhliche Wissenschaft, erinnert ihr euch? Nietzsche beschreibt darin das Bild von der „Loslösung der Erde von der Sonne“ als Symbol für die Orientierungslosigkeit der Menschen, nachdem sie „Gott getötet“ hatten. Er deutet damit auf die bevorstehende Krise hin, die unausweichlich kommen würde.

Die Krise des Wissens

Schauen wir uns also die erste Krise an: die Krise des Wissens. Was glaubt ihr, worum geht es dabei?

Sie ist wahrscheinlich die subtilste der Krisen, denn auf den ersten Blick könnte man sagen, dass doch eine gewisse Klarheit herrscht. Für die Modernisten war das tatsächlich so – sie hatten den Rationalismus und den Empirismus als klare Grundlagen. Für die Postmodernisten jedoch war das nicht mehr so. Aber bei beiden stellt sich die Frage: Welche Art von Wissen haben sie verworfen? Und zu welcher Krise führte das?

Ein Student: Religion.

Imran Hussein: Richtig. Religiöses Wissen. Spirituelles Wissen. Insbesondere metaphysisches Wissen in hohem Maße.

Ein Student: Würdest du sagen, dass sie vor Logik oder abstraktem Denken davongelaufen sind?

Imran Hussein: Nein, das würde ich nicht sagen. Tatsächlich wurde der Rationalismus gefördert. Der Rationalismus stand oft dem Empirismus gegenüber, je nachdem, wie man beide definiert. Kompromisslose Rationalisten behaupten zum Beispiel: „Es geht nicht um Erfahrung, sondern darum, sich den Weg zur Wahrheit zu überlegen, anstatt sie zu erleben.“ Aber insgesamt war die Herangehensweise eine Mischung aus rationaler Untersuchung, Philosophie und Wissenschaft.

Man konzentrierte sich auf diese beiden Formen – Rationalismus und Empirismus – und verwarf weitgehend alle anderen Formen des Wissens. Doch aus islamischer Sicht ist religiöses Wissen ebenfalls eine anerkannte Form von Wissen.

Wissensquellen im Islam

Lasst uns kurz das islamische Paradigma betrachten. Welche Arten von Wissen erkennt der Islam an?

Ein Student: Zeugniswissen.

Imran Hussein: Ja. Auch die Moderne erkennt Zeugniswissen an, denn viele Texte und wissenschaftliche Arbeiten basieren auf Zeugenaussagen. Allerdings würden Hardliner der sogenannten „Szientismus“-Bewegung – wie Dawkins – behaupten, dass nur Wissenschaft zählt, keine Zeugnisse. Aber selbst im modernen Denken werden Zeugnisse in der Regel anerkannt.

Ein Student: Offenbarung.

Imran Hussein: Ja, Offenbarung. Das ist im islamischen Verständnis wahrscheinlich die höchste Form des Wissens, da sie direkt vom Schöpfer selbst stammt. Warum wir diese Form von Wissen akzeptieren, werden wir später besprechen, wenn wir darauf eingehen, wie sie begründet wird.

Aber was ist mit Rationalität und Rationalismus? Würdet ihr sagen, dass der Islam den Gebrauch von Rationalität unterstützt?

Ein Student: Ja, das wird oft betont. Allah sagt immer wieder im Qur’an: اَفَلَا تَعْقِلُوْنَ – [sinngemäß:] „Denkt ihr denn nicht nach?”

Imran Hussein: Richtig. Aber wie wird Rationalität im Islam „gehandhabt“, wenn man so will? Ist sie uneingeschränkt?

Ein Student: Nein.

Imran Hussein: Sondern? Gibt es eine Grenze?

Ein Student: Allah ermutigt dazu, die Welt zu betrachten und Seine Schöpfung zu reflektieren.

Imran Hussein: Ja, Rationalität wird im Qur’an gefördert. Die Nutzung von Vernunft und rationalem Denken ist unbestreitbar wichtig. Aber gibt es dabei Grenzen? Denn aus einer modernistischen Perspektive [hat Vernunft keine Grenzen und jeder kann sich quasi dumm und dämlich denken]—

Ein Student: Innerhalb der Grenzen.

Imran Hussein: Genau. Aber wo liegen diese Grenzen?

Ein Student: Wenn etwas dem Text widerspricht.

Ein anderer Student: Wenn es der Offenbarung widerspricht.

Imran Hussein: Wir betrachten hier also einen erkenntnistheoretischen Rahmen innerhalb des Islam. Es gibt einige Formen von Wissen, die erkenntnistheoretisch höher stehen als andere, richtig? Was wäre also unsere grundlegendste Wissensquelle?

Ein Student: Offenbarung.

Imran Hussein: Richtig, Offenbarung. Natürlich kann Vernunft eine Rolle dabei spielen, die Wahrheit der Offenbarung zu erkennen, aber sobald man diese Wahrheit akzeptiert hat, wird die Offenbarung zur vorherrschenden Wissensquelle. Innerhalb dieses Rahmens gilt also: Wenn euer Schlussfolgern gegen den Text – den Qur’an und die Sunna – geht, dann setzt ihr eure Schlussfolgerung aus. Es ist wirklich wichtig, diesen Punkt zu verstehen.

Und um das besser nachvollziehen zu können, gebe ich euch ein Beispiel. Viele Muslime, insbesondere junge Muslime, haben heutzutage Zweifel, richtig? Aber welchen grundlegenden Fehler machen sie dabei?

Ein Student: Sie hinterfragen zu viel?

Imran Hussein: Ich würde nicht sagen, dass das Hinterfragen an sich ein Problem ist. Im Gegenteil – im Islam wird das Hinterfragen sogar gefördert. Aber wo liegt der eigentliche Fehler?

Ein Student: Ihre letzte Wahrheit basiert auf einer säkularen Ideologie.

Imran Hussein: Genau. Mit anderen Worten: Sie setzen den Rationalismus erkenntnistheoretisch über die Offenbarung. Und warum tun sie das? Weil ihre Weltanschauung durcheinander geraten ist. Sie stehen mit einem Fuß in der islamischen Weltanschauung und mit dem anderen in der modernen westlichen Denkweise. Aber was passiert, wenn man versucht, auf zwei Booten gleichzeitig zu stehen? Es sei denn, man ist – wie heißt der Typ, der den Spagat zwischen zwei Lastwagen gemacht hat?”

Ein Student: Van Damme.

Imran Hussein: Ja – Van Damme! Wenn du nicht Van Damme bist und den Spagat perfekt hinbekommst, wirst du Schmerzen verspüren, oder? Deine Beine werden auseinandergerissen. Und genau das passiert hier.

Das Problem ist also, dass diese Menschen sagen: „Oh, das ergibt für mich im Qur’an rational keinen Sinn, also glaube ich es nicht.“ Aber was ist hier das eigentliche Problem? Es liegt nicht am Qur’an selbst. Es liegt an der Art und Weise, wie sie Rationalität verwenden und ihr einen höheren Stellenwert einräumen als der Offenbarung.

Ein Student: Die Rangfolge stimmt nicht.

Imran Hussein: Richtig. Weil sie sich an zwei Orten gleichzeitig, in zwei Weltanschauungen gleichzeitig befinden.

Ein Student: Sie setzen eine davon als Standard fest, und dann muss alles andere damit übereinstimmen und darauf zurückgeführt werden.

Imran Hussein: Ja, genau. Für sie wird Rationalität zum Maßstab, zu ihrem ‘Gott’. Sie stellen sie an die Spitze der Hierarchie des Wissens – sie wird zur ultimativen Wurzel des Wissens. Deshalb lehnen sie Dinge im Qur’an ab, die sie nicht verstehen. Aber das Problem liegt nicht beim Qur’an. Das Problem liegt in ihrer Weltanschauung und in der falschen Rangordnung innerhalb ihres erkenntnistheoretischen Rahmens.

Versteht ihr, wie mächtig dieses Konzept ist? Wenn wir Weltanschauungen verstehen und begreifen, wie sie sich auf unser Denken auswirken, können wir anderen helfen, solche Probleme zu überwinden. Es geht oft nicht darum, in hitzige Diskussionen zu verfallen, sondern darum, ihr Verständnis der eigenen Weltanschauung zu korrigieren – und ihnen zu zeigen, wie Vernunft und Rationalität im größeren Rahmen richtig eingeordnet werden sollten.

Ein Student: Allah (swt) sagt im zweiten Vers der zweiten Sure im Qur’an:

ذَ‌ٰلِكَ الْكِتَابُ لَا رَيْبَ ۛ فِيهِ ۛ هُدًى لِّلْمُتَّقِينَ الَّذِينَ يُؤْمِنُونَ بِالْغَيْبِ
Dieses Buch, an dem es keinen Zweifel gibt, ist eine Rechtleitung für die Gottesfürchtigen, die an das Verborgene glauben […].
Al-Baqara 2:2-3.

Wenn wir also für alles rationale Argumente finden würden, dann gäbe es keinen Raum mehr für den Glauben an das Unsichtbare. Deshalb hat Allah (swt) den Glauben an das Unsichtbare zu einem Kriterium gemacht – an das, was man nicht sehen kann. Wenn wir nur nach rationalen Beweisen oder Gründen suchen, funktioniert das nicht.

Imran Hussein: Das unterstreicht also auch die Weltanschauung. Allah zeigt uns hier, dass diese Menschen eine bestimmte Sichtweise auf die Realität haben. Der Qur’an ist eine Anleitung für diejenigen, die an das Unsichtbare glauben, die das Gebet verrichten und von dem, was sie erhalten haben, ausgeben. Eine sehr kraftvolle aya, die es wert ist, hervorgehoben zu werden.

Du sagst also, dass der Qur’an eine Anleitung für die gesamte Menschheit ist, aber diejenigen, die wirklich von dieser Anleitung profitieren, sind Menschen einer bestimmten Kategorie, die Allah in Al-Baqara beschreibt – diejenigen, die an das Unsichtbare glauben. Nun, dieser Glaube an das Unsichtbare kann durchaus durch Vernunft entstehen – jemand kann den Gedanken einer jenseitigen Welt oder einer unsichtbaren Dimension nachvollziehen. Aber es gibt noch mehr als das.

Welche anderen Formen des Wissens haben wir also im Islam? Wir haben Offenbarung. Wir haben Vernunft – allerdings nur an der richtigen Stelle. Was haben wir noch?

Ein Student: Die Lehren des Propheten ﷺ.

Imran Hussein: Ja – aber man könnte sagen, dass das Teil der Offenbarung ist. Wir haben den Qur’an und die Sunna.

Ein Student: Was ist mit Spiritualität?

Imran Hussein: Ist Spiritualität eine Form von Wissen? Sie ist eher eine Erfahrung.

Ein Student: Ja, aber manche Menschen leiten auch Wissen aus spirituellen Erfahrungen ab.

Imran Hussein: Erfahrung ist ein guter Punkt. Man könnte sagen, dass der Empirismus – also Wissen durch Erfahrung – ebenfalls Teil des Islam ist.

Tatsächlich ist Erfahrung im Islam sogar sehr wichtig. Das ist etwas, das heute leider oft nicht erwähnt wird. Iqbal spricht darüber – er bezeichnet den Qur’an als „antiklassisch“. Das bedeutet, dass Allah im Qur’an immer wieder auf die Schöpfung hinweist – denn das sind die ayat, die Zeichen Allahs. Allah führt uns also dazu, die Realität empirisch zu betrachten, denn darin liegen Beweise. Mehr noch als nur Philosophieren und Theoretisieren.

Iqbal sagt daher, dass der Qur’an antiklassisch sei, und er führt noch andere Gründe dafür an, auf die wir hier nicht eingehen müssen. Aber was wichtig ist: Empirismus spielt auch im Islam eine Rolle. Allah ermutigt uns, empirisch zu sein – mit offenen Sinnen zu beobachten und zu reflektieren. Das bedeutet, dass Erfahrung einen Platz hat. Diese Erfahrung kann sowohl die physische Welt betreffen – was wir heute als Wissenschaft bezeichnen, also das Studium und das Verstehen der physischen Welt – als auch eine spirituelle Art von Erfahrung sein. Es gibt also beides: die physische und die spirituelle Dimension.

Und wenn wir ehrlich sind: Sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, ist eine Erfahrung, nicht wahr? Wenn wir dem salah nachgehen: Was ist das salah eigentlich?”

Ein Student: Es ist du’a. Ein Bittgebet.

Imran Hussein: Ja, es ist ein Gebet, aber nicht wirklich ein Bittgebet. Das Bittgebet ist ein Teil des salah, aber was ist das salah selbst?

Ein Student: Praxis.

Ein anderer Student: Ibadah [Anbetung/Gottesdienst].

Imran Hussein: Es ist eine Anbetung, eine Praxis, ja, aber was TUN wir? Was ist das?

Ein Student: Eine Erfahrung.

Ein anderer Student: Kommunikation.

Imran Hussein: Richtig – Kommunikation! Es ist die Kommunikation mit Allah. Das ist also eine Erfahrung. Und Erfahrungen können nicht von Gefühlen getrennt werden. Jede Erfahrung ist mit einer Emotion verbunden. Deshalb erleben Menschen, die Drogen oder Psychedelika nehmen, einen Zustand, der sich auf eine bestimmte Weise anfühlt. Wenn sie einen guten Trip haben, wollen sie es wieder tun. Wenn sie jedoch einen schlechten Trip haben, werden sie versuchen, es zu vermeiden. Erfahrungen sind daher untrennbar mit Emotionen und Gefühlen verbunden.

Auch im Islam sollten spirituelle Erfahrungen eine emotionale Komponente enthalten, die uns im Großen und Ganzen hilft, diese Erfahrung erneut zu suchen und zu verstärken. Natürlich, als Muslime sagen wir: Man jagt nicht dem Gefühl hinterher. Beim Gebet geht es nicht um das Gefühl selbst, sondern darum, Allah anzubeten. Das ist richtig – wir beten nicht das Erlebnis oder das Gefühl an, sondern Allah.

Aber in unserer heutigen Zeit, in der so viel um Emotionen und das Suchen nach Erfahrungen kreist, in der wir durch unsere Umgebung und Kultur so stark auf Sofortbefriedigung konditioniert sind, ist es nichts Falsches daran, Allah um das Geschenk einer erfüllenden spirituellen Erfahrung zu bitten. Denn wenn du wirklich diese Verbindung zu Allah spürst – dieses Gefühl, das sich nicht in Worte fassen lässt, das du vielleicht schon einmal in deinem Gebet erlebt hast –, dann weißt du, dass nichts mit diesem Moment vergleichbar ist. Es mag nicht immer passieren, aber wenn es geschieht, fühlst du dich tief verbunden mit Allah. Und wenn jemand in diesem Moment zu dir kommen würde und sagen würde: „Ich kann dir einen physischen Beweis für die Existenz Gottes zeigen“, dann würdest du das nicht brauchen – es würde dich nicht beeindrucken, weil du bereits eine tiefere, spirituelle Gewissheit verspürst. Denkt also daran, dass wenn ihr Allah anbetet, wenn ihr das salah verrichtet, das eine Erfahrung ist, die mit Emotionen verbunden sein wird.

Leider ist die Emotion manchmal negativ, weil Menschen nicht wirklich verstehen, was das Salah ist. Sie beten in Eile, sehen es als Last an und empfinden es als lästiges Hindernis. Das führt dazu, dass sie beim Beten unruhig, genervt oder sogar frustriert sind. Und ich bin sicher, wir alle haben uns schon einmal so gefühlt – dieses „Oh Mann, ich muss jetzt beten“-Gefühl. Dann verrichtet man das Gebet hastig, ohne sich darauf einzulassen, und die gesamte Erfahrung ist mit einer negativen Emotion verbunden.

Das Problem ist, dass sich diese Herangehensweise mit der Zeit in unserem Geist verfestigt, fast schon wie ein psychologisches Muster programmiert wird. Deshalb sollten wir danach streben, dass unser Salah eine schöne und erfüllende Erfahrung ist – eine, die sich auf eine besondere Weise anfühlt. Und daran ist nichts auszusetzen, solange man sich bewusst bleibt, dass man nicht das Erlebnis anbetet, sondern Allah. Es ist völlig in Ordnung, nach einer guten Erfahrung im Gebet zu streben, weil jedes Gebet ohnehin mit Emotionen verbunden ist – sei es positiv oder negativ.

Also bitte Allah darum, dass Er dir diese bereichernde Erfahrung schenkt. Aber wir schweifen ab. Der Punkt ist, dass Erfahrung und Empirismus im Islam von Bedeutung sind, aber immer in einem definierten Rahmen.

Nehmen wir ein Beispiel: Stell dir vor, du machst eine bestimmte Erfahrung – Shaytan könnte sie verursachen, oder auch ein Dschinn. Sie könnten dir etwas zeigen oder dich etwas erleben lassen. Ein typisches Beispiel: Wir hören Geschichten von sogenannten Muslimen, die angeblich eine Vision oder Erfahrung mit Jesus gemacht haben. Danach verlassen sie den Islam und treten dem Christentum bei. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass viele dieser Geschichten erfunden sind. Aber vielleicht ist an einigen etwas Wahres dran. Sie erleben etwas, das sie als eine Begegnung mit Jesus interpretieren, und verlassen den Islam und gehen zum Christentum über.

Was passiert hier? Was ist das Problem? Was ist der Fehler, der gemacht wird?

Ein Student: Man stellt die Erfahrung über die Offenbarung.

Imran Hussein: Genau richtig! Seht ihr, wie der Islam uns einen Rahmen gibt, um diese Dinge in einen Kontext zu setzen? Hier wird die Erfahrung über die Offenbarung gestellt. Und bei außergewöhnlichen Erfahrungen, wenn man sich akademische Arbeiten zu religiösen Erfahrungen ansieht, betonen Forscher oft, dass eine Erfahrung immer aus zwei Teilen besteht:

  1. Was du beobachtest
  2. Deine Interpretation davon.

Nur weil du in einem Traum oder einer Vision einen Mann mit Bart siehst – woher weißt du, dass es wirklich der Mann ist, von dem dir gesagt wurde, dass er es ist? Warum akzeptierst du diese Interpretation, besonders wenn sie deinem Glauben oder den Texten widerspricht? Das passiert, weil du die Erfahrung über alles andere stellst. Jemand – vielleicht du selbst oder jemand anderes – hat diese Vision interpretiert, und du hast diese Interpretation übernommen und als Wahrheit angesehen. Dadurch hast du dich in dieser Verwirrung verloren.

Ein Student: Ich meine, wie hat das Christentum überhaupt angefangen? Paulus hatte eine Vision oder Begegnung mit einer Person – oder etwas – und schrieb es Jesus Christus zu.

Imran Hussein: Was für ein tiefgründiger Punkt, Bruder. Das ist wirklich ein Aha-Moment! Paulus hatte also eine Erfahrung. Er hatte eine Vision und interpretierte sie als Jesus. Aber hier gibt es ein Fragezeichen: Was war diese Vision wirklich? War es tatsächlich das, was er behauptete? Aber er interpretierte es als Jesus und erhielt dadurch eine bestimmte Botschaft. Das war der Beginn von Paulus’ Weg, der ihn dazu führte, das zu tun, was er später tat.

Aber diese Vision könnte durchaus hinterfragt werden, wenn man sich Paulus’ historischen Kontext ansieht. Vor seiner Vision war er im Grunde genommen ein Kopfgeldjäger, richtig? Es gibt also berechtigte Fragen dazu, welche weltlichen Vorteile es für ihn haben könnte, eine solche Vision zu verbreiten. Aber wir müssen jetzt nicht tiefer darauf eingehen – es ist aber ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Visionen interpretiert werden.

Was passiert also in den Fällen, in denen sogenannte Muslime eine Vision von Jesus haben und daraufhin den Islam verlassen? Sie machen zwei grundlegende Fehler:

  1. Sie stellen ihre Erfahrung über die Offenbarung.
  2. Sie akzeptieren die Interpretation dieser Erfahrung durch jemand anderen und stellen diese über die Offenbarung.

Aber zurück zum Thema: Im Islam haben wir also die Offenbarung an der Spitze. Die Offenbarung umfasst den Qur’an und die Sunna. Dann haben wir Rationalismus, Empirismus und Erfahrung. Aber wo genau ordnen wir diese Dinge ein?

Darüber könnte man diskutieren. Einige würden argumentieren – zum Beispiel aus der Perspektive von Iqbal oder anderen Denkern –, dass Erfahrung über Rationalismus steht, vielleicht nicht viel, aber ein bisschen. Andere würden sagen, Rationalismus steht über der Erfahrung. Aber beide gehören definitiv dazu.

Wir haben im Islam noch eine andere Form von Wissen, die wir bisher ausgelassen haben.

Ein Student: Zeugniswissen.

Imran Hussein: Nein, das haben wir bereits. Zeugniswissen – also vertrauenswürdige Zeugenaussagen – ist ohnehin ein fundamentaler Bestandteil unserer Tradition. Die gesamte Hadith-Wissenschaft basiert auf vertrauenswürdigen Überlieferungen.

Ein Student: Intuition.

Imran Hussein: Was meinst du mit Intuition?

Ein Student: Die fitra.

Imran Hussein: Perfekt, genau! Wenn du mit Intuition die fitra meinst, dann ja. Fitra ist das angeborene Wissen, ob es nun eine natürliche Neigung oder ein inneres Wissen ist, das Allah in uns angelegt hat.

Im Islam gibt es dieses Konzept des angeborenen Wissens. Wir sind nicht wie John Locke, der von einer tabula rasa – einem unbeschriebenen Blatt – sprach. Er behauptete, der Mensch werde ohne vorgeprägtes Wissen geboren und erlange Verständnis ausschließlich durch seine Erfahrungen und Interaktionen mit der Welt. Für ihn machte es im Rahmen der Moderne Sinn, diesen Gedanken voranzutreiben.

Aber zuvor – und in den meisten Kulturen und Religionen der Welt – glaubte man, dass der Mensch mit einem gewissen angeborenen Wissen geboren wird. Wir kommen also sozusagen vorprogrammiert zur Welt – fast wie eine SD-Karte, auf der bereits Informationen gespeichert sind.

Und wir glauben daran im Islam – an die fitra. Ein Teil der fitra enthält das Wissen über Allah, dass Er unser Rabb [Herr] ist. Warum sage ich das? Woher glaubt ihr, stammt diese Annahme, dass die fitra bereits das Wissen enthält, dass Allah unser Rabb ist? Nicht nur unser Schöpfer, sondern derjenige, der uns erhält, versorgt und den wir anbeten sollten?

Ein Student: Aus der Offenbarung.

Imran Hussein: Ja, aber wo genau? Das Wesentliche dieser Realität liegt in unserer Fitra. Woher habe ich das?

Ein Student: Du meinst die aya, in der Allah sagt, dass Allah uns aus Adam hervorbrachte. Und dass Allah Adam die Namen aller Dinge lehrte.

Imran Hussein: Nein, nein – nicht diese spezifische Stelle. Ich beziehe mich auf eine andere aya im Qur’an, in der Allah uns von Adam hervorbringt und uns fragt: „Bin ich nicht euer Rabb?“ Und wir haben das bezeugt.

وَإِذْ أَخَذَ رَبُّكَ مِن بَنِي آدَمَ مِن ظُهُورِهِمْ ذُرِّيَّتَهُمْ وَأَشْهَدَهُمْ عَلَىٰ أَنفُسِهِمْ أَلَسْتُ بِرَبِّكُمْ ۖ قَالُوا بَلَىٰ ۛ شَهِدْنَا
Und als dein Herr aus den Kindern Ādams, aus ihren Rücken, ihre Nachkommenschaft nahm und sie gegen sich selbst zeugen ließ: „Bin Ich nicht euer Herr?“ Sie sagten: „Doch, wir bezeugen (es)!“ (…)
Al-Araf 7:172.

Viele Gelehrte sagen, dass genau in diesem Moment der Geschichte die Realität, dass Allah unser Rabb ist, in die menschliche Seele eingebettet wurde – das ist die fitra. Wo genau die fitra in der Seele verankert ist – die gesamte Metaphysik davon – wissen wir nicht. Allah weiß es am besten. Aber diese grundlegende Wahrheit wurde in die Seele eingebettet: dass Allah unser Rabb ist.

Natürlich hat die Fitra auch noch andere Aspekte – ein grundlegendes Verständnis von richtig und falsch. In der Sure Ash-Shams erwähnt Allah, dass Er der Seele ein fundamentales Verständnis von Gut und Böse eingegeben hat. Das gehört auch zur Fitra.

All diese Dinge sind vorhanden. Und vielleicht spielt der Vers aus Al-Baqara eine Rolle, in dem Allah sagt, dass der Qur’an eine Rechtleitung für diejenigen ist, die an das Unsichtbare glauben, das Gebet verrichten und von dem geben, was ihnen gegeben wurde. Vielleicht spielt die fitra auch hier eine Rolle. Diese Menschen sind Menschen der fitra – sie erkennen an, dass es Allah gibt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und dass es eine endgültige Gerechtigkeit geben wird. Sie wissen, dass wir für unsere Taten verantwortlich gemacht werden. Die fitra könnte hier also zusammen mit Rationalität eine Rolle spielen.”

Ein Student: Könnten wir in der modernen Welt das Wort fitra ersetzen – nicht aus islamischer Perspektive, sondern um mit Menschen zu sprechen, die keine Muslime sind? Könnten wir von der Dualität von Körper und Geist sprechen?  Würdest du den Geist als fitra bezeichnen? Denn, wie man so sagt, existiert ein perfektes Dreieck nicht in der realen Welt – du hast sicher schon mal davon gehört. Ein perfektes Dreieck existiert nur im Geist. Das zeigt uns, dass es Dinge gibt, die im Geist existieren können, aber nicht außerhalb davon. Und genauso existiert Gott im Geist, aber nicht in der physischen Welt.

Imran Hussein: Ja, du kannst es für sie so kontextualisieren. Aber ich würde immer darauf hinweisen, dass wir im Islam das Konzept der fitra haben, das man in modernen Begriffen vielleicht als einen Teil des Geistes, der Seele oder der Natur eines Menschen bezeichnen könnte. Du kannst verschiedene Begriffe verwenden, solange du den Kernpunkt vermittelst.

Ein Student: Also man kann das Konzept „Körper und Geist“ in einen Kontext setzen – denn viele säkulare Menschen glauben nicht an diese Dualität.

Imran Hussein: Ja, für sie gibt es keine Seele, nur den Körper. Und das Gehirn.

Ein Student: Vielleicht können wir versuchen, ihnen rational zu erklären, dass Geist und Körper getrennte Dinge sind – und dass wir dadurch die Existenz der fitra beweisen.

Imran Hussein: Ja, das könnte ein Ansatz sein. Allerdings würde ich vorsichtig bleiben und nicht in absoluten Begriffen sprechen. Selbst wenn es um das Bewusstsein geht… Ich habe Hamza dazu vor einiger Zeit gefragt, glaube ich. Er hat viel zum Thema Bewusstsein geforscht. Und ich habe ihn einmal gefragt: ‘Wenn du von Bewusstsein sprichst, meinst du dann die ruh (die Seele)?’ Und er sagte: ‘Schau mal…’, und er hat nicht wirklich viel dazu gesagt, weil er die Feinheiten dieses Themas verstand. Im Islam sollten wir keine definitiven Behauptungen aufstellen, vor allem nicht, wenn wir uns nicht sicher sind.

Aber ja – man könnte sagen, dass das Bewusstsein die Erfahrung der Realität durch die Seele ist. Denn gerade jetzt verarbeiten wir sensorische Daten – durch unsere Augen, unser Gehirn interpretiert sie. Aber wer erlebt das eigentlich? Dieses Ich, das all das erlebt, scheint etwas zu sein, das über den physischen Körper hinausgeht, oder? Dieses Selbst – vielleicht ist das die Seele. Allah weiß es am besten. Oder es ist ein Aspekt der Seele. Allah weiß es am besten.

Also noch einmal: Seid vorsichtig, wie wir über solche Dinge sprechen. Stellt klar: „Schaut, ich spreche hier nicht in absoluten Begriffen.“ Wichtig sind die Konzepte und Ideen, die wir vermitteln wollen, inshaAllah.

Ein Student: Ich denke, für einen Ungläubigen hat die fitra auch etwas mit dem Gewissen zu tun. Oder man könnte es so erklären: Wenn jemand etwas Schlechtes tut und sich schuldig fühlt – woher kommt dieses Schuldgefühl?

Imran Hussein: Ja, genau – wie ein inneres Gewissen, etwas in dir.

Ein Student: Ja, genau. Zu dem vorherigen Punkt: Ich habe einmal etwas darüber gelesen. Ich weiß nicht mehr, welcher Gelehrte es war oder welches Buch es war, aber er sagte, dass alles, was wir lernen und verstehen, bereits in unserer Neigung liegt. Und wenn wir es lesen und denken: „Oh, das habe ich gelernt“, bedeutet das eigentlich, dass wir es wiederentdeckt haben.

Ein anderer Student: Wir haben uns daran erinnert.

Ein weiterer Student: Platon.

Imran Hussein: Ich wusste, dass du Platon sagen würdest. Denn er hatte ähnliche Ideen. Ich glaube, das nennt man in der Philosophie Essentialismus. Ich bin mir über den Begriff nicht ganz sicher, aber es gibt diese Ansicht, dass alles eine Essenz hat, die ihm zugeschrieben wird.

Mathematische Wahrheiten zum Beispiel… Platon schrieb darüber, dass diese Wahrheiten bereits in dir sind. Aber sie müssen aus dir herausgeholt werden – und das geschieht durch die richtigen Fragen.

Die fitra funktioniert ähnlich. Dieses Wissen ist bereits in jedem einzelnen Menschen vorhanden. Aber es muss aktiviert werden. Deshalb haben wir in der Dawa-Schulung verschiedene Schlüssel erwähnt, die die fitra in jemandem erwecken können.

Ein Student: Und der Vers, den wir vorhin gelesen haben – wenn man sich den tafsir dazu ansieht – bedeutet im Grunde dasselbe. Allah (swt) lehrte Adam die Namen aller Dinge. Das bedeutet, dass Er ihm umfassendes Wissen gegeben hat. Als Adam (as) all das gelernt hat, was Allah ihm vermitteln wollte, und da wir von Adam abstammen…

Ein anderer Student: …haben wir es geerbt.

Ein Student: Genau, wir haben es geerbt. Mit der fitra ist es dasselbe.

Imran Hussein: SubhanAllah! Das ist ein sehr starker Punkt, mashaAllah.

Ein Student: Ich glaube, Platon sagte, dass verschiedene Götter unterschiedliche Dinge gelehrt hätten. Aber natürlich ist unsere Auffassung dazu ganz anders.

Imran Hussein: Ja, unsere Vorstellung ist da fundamental unterschiedlich. Aber wir können nachvollziehen, dass es aus islamischer Sicht verschiedene Quellen des Wissens gibt.

Natürlich sind sie alle in einen Rahmen eingebettet – und die Offenbarung von Allah, das, was Allah sagt, steht immer an oberster Stelle.

Das Problem für Muslime heute entsteht, wenn sie Rationalität oder Empirismus über die Offenbarung stellen. Das ist der Punkt, an dem die Schwierigkeiten anfangen. Natürlich gab es in der islamischen Geschichte Phasen, in denen manche Gruppen mehr Wert auf Rationalität legten und andere auf Empirismus. Aber grundsätzlich ist der Islam breit aufgestellt, wenn es um die Wertschätzung verschiedener Erkenntniswege geht.

Bei weltlichen, säkularen Weltanschauungen hingegen – besonders seit der Moderne – steht Empirismus oft über allem. Sie bevorzugen Rationalität und empirische Beweise. Ein Beispiel dafür ist die Bewegung des logischen Positivismus in den 1920er Jahren.

*wendet sich an Student* Du hast dich damit beschäftigt – kannst du es für uns zusammenfassen, Bruder? Wer waren die logischen Positivisten?

Ein Student: Nein, ich habe mich nicht eingehend mit einzelnen Vertretern des logischen Positivismus beschäftigt. Aber im Allgemeinen ist der logische Positivismus – basierend auf dem, was ich gelesen und untersucht habe – der Glaube, dass Wahrheit nur durch empirische oder analytische Beweise erlangt wird.

Imran Hussein: Hier ist es Zitat: 

Wissenschaftliches Wissen ist die einzige Art von Faktenwissen, und alle traditionellen metaphysischen Lehren sind als bedeutungslos abzulehnen.

Was sie im Grunde sagen, ist: „Schaut – Wissenschaft ist die ultimative Wurzel des Wissens.“ Sie steht an der Spitze der erkenntnistheoretischen Kette.

Das wurde auch von anderen Denkern und Wissenschaftlern vertreten, wie Bertrand Russell, einem der berühmtesten Philosophen der Wissenschaft, der sagte: „Alles definitive Wissen, so sollte ich behaupten, gehört zur Wissenschaft. Alle Dogmen über das hinaus, was über das definitive Wissen hinausgeht, gehören zur Theologie.

Einige dieser Denker waren sehr strikt in dieser Unterscheidung und versuchten bewusst, Religion und Theologie zu untergraben.

Für die moderne westliche Welt ist Empirismus also die oberste Instanz. Rationalismus ist zwar auch sehr wichtig, aber Empirismus wird als die höchste Form des Wissens betrachtet. Das führt zu einer Krise des Wissens, weil sie sich auf nur zwei Erkenntnisquellen beschränkt haben: Wissenschaft und Rationalität.

Heute – besonders an Universitäten – dreht sich alles um die Wissenschaft. Für viele Menschen ist die Wissenschaft wie eine neue Religion geworden. Genau das haben die sogenannten „vier Reiter des Atheismus“ vorangetrieben: eine streng empirische und rationale Herangehensweise an Wissen.

Sam Harris hat sich davon teilweise entfernt, aber Richard Dawkins bleibt auch heute noch bei dieser Sichtweise. In einer kürzlich geführten Diskussion zwischen Dawkins und Jordan Peterson konnte man das gut beobachten. Es war fast komisch: Dawkins bleibt starr bei seinem Empirismus und Szientismus.

In einem bekannten Ausschnitt aus dieser Diskussion fragt er immer wieder: „Glaubst du, dass Jesus ohne Vater geboren wurde?“ Peterson hingegen wirkt verwirrt, weil er sich nicht auf dieser empirischen Ebene einbringen will. Für ihn als Psychologen geht es eher um Symbolik und Bedeutung. Es war interessant zu sehen, wie ihre beiden Weltanschauungen aufeinanderprallten.

Ein Student: Du als Muslim würdest aber „Ja“ sagen, oder?

Imran Hussein: Auf jeden Fall. Ich habe gestern sogar einen Tweet darüber geschrieben. Darin habe ich gesagt: „Ja, wir glauben an die wundersame Empfängnis Jesu. Und ja, wir glauben an Wunder. Und wir glauben an Wunder, weil wir an Gott glauben.

Wunder sind in unserer Weltanschauung kein Problem. Denn wenn Allah allmächtig ist und alles tun kann, dann ist es doch logisch, dass auch Wunder möglich sind. Kann Allah Seine eigenen Gesetze, die Er erschuf, für eine bestimmte Zeit aussetzen? Natürlich kann Er das.

Wunder stellen nur für diejenigen ein Problem dar, die:

  1. Ein verzerrtes Verständnis von Gott haben.
  2. An eine strikt naturalistische Sichtweise glauben, in der Wunder keinen Platz haben und keinen Sinn ergeben.

1. Sie ein verzerrtes Verständnis davon haben, was Gott ist.

2. Wunder aus naturalistischer Sicht keinen Sinn ergeben.

Es war also wirklich interessant zu sehen, wie sie zwischen diesen Ansichten hin und her wechselten.

Ein Student: Das bedeutet doch, dass der Islam viel umfassender ist, weil er verschiedene Perspektiven auf Wissen vereint. Er bietet sowohl rationale als auch spirituelle Argumente und hat Antworten auf Fragen zu nicht sichtbaren Dingen, die andere Weltanschauungen nicht haben.

Blinder Glaube“ im Islam?

Imran Hussein: Absolut. Ein weiterer Punkt ist, dass manche versuchen, den Islam so darzustellen, als ob wir einfach nur blind an die Offenbarung glauben. Aber das stimmt nicht.

Wie wir heute besprochen haben, schätzt der Islam Rationalität und Empirismus. Allah fordert uns auf, zu reflektieren und rationale Überlegungen anzustellen. Der Qur’an fordert uns dazu auf, die Schöpfung zu betrachten. Gleichzeitig erkennen wir die fitra als angeborenes Wissen an.

Unser Glaube an die Offenbarung ist also gut begründet und tiefgründig. Der Islam ist als Weltanschauung umfassend – auch in Bezug auf das Wissen und die verschiedenen Erkenntnisquellen. Und wir werden das in jeder Hinsicht sehen, während wir mit dem Kurs weitermachen, inshaAllah.

Ich denke, wir machen hier Schluss, inshaAllah, denn wir wollten eigentlich noch auf einige der anderen Krisen der Moderne eingehen. Aber die Krise des Wissens – obwohl sie die subtilste ist – ist eine tiefgreifende Krise, weil sie auch zu anderen Krisen führt. Denn die moderne, westliche, säkulare Welt akzeptiert Offenbarung – also göttliches Wissen – als Wissensquelle nicht und verliert dadurch die Fähigkeit, Sinn und Bedeutung zu verstehen. Die eigentliche Bedeutung geht verloren.

Ein Student: Manchmal, wenn man so die Fragen analysiert, die diese Menschen stellen, erkennt man, dass die Hierarchie des Wissens durcheinandergerät und sie dadurch Kategorienfehler machen. Sie sagen beispielsweise: „Zeig mir Gott. Beweise mir, dass Gott existiert.“ Sie wollen einen empirischen Beweis. Dabei verstehen sie nicht, dass wir aus unserer Weltanschauung heraus jemanden, der einen empirischen Beweis für Gott vorlegt, als Ungläubigen bezeichnen würden – weil wir sagen würden: „So etwas gibt es nicht – man kann Gott nicht zeigen.“

Wenn jemand zu dir kommen und sagen würde: „Ich habe Gott gesehen“, würde ihm jemand glauben? Nein – man würde ihn sofort als Nichtmuslim bezeichnen.

Unsere Weltanschauung erlaubt es uns also nicht einmal, es auf diese Weise zu „beweisen“, wenn ihr wisst, was ich meine. Die Hierarchie ist hier also wieder sehr wichtig. Und daher stellen einige muslimische Geschwistern einfach die falschen Fragen. Dann begehen sie Kategorienfehler.

Imran Hussein: Das Problem entsteht, wenn Muslime die islamische Weltanschauung nicht vollständig verstehen. Das ist einer der Gründe, warum wir diesen Kurs machen – damit diese Konzepte klar werden. Wenn wir den Islam als Weltanschauung verstehen und leben, verschwinden solche Probleme.

Außerdem verstehen viele nicht, wie andere Weltanschauungen funktionieren. Zum Beispiel: Warum liefern wir als Muslime keinen empirischen Beweis für die Existenz Gottes, wenn jemand zu uns kommt und danach fragt? Warum halten wir das für unsinnig?

Ein Student: Weil unser Glaube an Gott nicht physisch ist.

Imran Hussein: Richtig. Erstens wissen wir, dass Allah jenseits der physischen Welt existiert. Zweitens verstehen wir, dass empirische Methoden nur auf die physische Welt anwendbar sind.

Du kannst die Wissenschaft nicht nutzen, um etwas zu untersuchen, das jenseits der Sinneswahrnehmung liegt. Und wir verstehen das, weil wir sowohl die Begrenzungen der Wissenschaft als auch das Wesen Allahs kennen.

Ein Student: Aber was würdest du jemandem sagen, der sagt: „Okay, du sagst zwar, dass es ein metaphysisches Wesen gibt. Aber wie beweist du, dass dieses metaphysische Wesen tatsächlich existiert?“

Imran Hussein: Dazu kommen wir noch. Aber fürs erste: Das ist der Punkt, an dem die Vernunft ins Spiel kommt. Vernunft spielt eine wichtige Rolle – ohne Frage. Aber es hängt davon ab, wie sie eingesetzt wird. Vernunft kann auch zu falschen oder nicht-rationalen Schlussfolgerungen führen.

Ein Student: Sie benutzen oft Strohmannargumente.

Ein anderer Student: Es gibt auch einige berühmte Philosophen und Wissenschaftler, die sich dazu geäußert haben. Ich erinnere mich, Zitate von dreien von ihnen gelesen zu haben, in denen sie sagten, dass wenn jemand glaubt, dass die Welt nur aus materiellen Dingen besteht, und alles jenseits des Materiellen leugnet, sie diese Person als Idioten bezeichnen würden. Das ist der Begriff, den sie verwendeten – „Idiot“. Einer dieser Philosophen stammte aus dem 18. Jahrhundert, zwei aus dem 20. Jahrhundert – also aus jüngerer Zeit.

Imran Hussein: Ja, genau. Diese Denker erkannten, dass die Realität viel größer ist, als das, was man auf den ersten Blick sehen kann.

Ein Student: Das erinnert mich an Sokrates. Er hat gesagt, dass Materialisten irrational sind. Als er ins Gefängnis kam, sagte er: „Die Materialisten würden behaupten, mein Körper hat mich hierher gebracht. Aber in Wirklichkeit war es meine Ideologie, die mich ins Gefängnis gebracht hat.“ Er erklärte, dass sie die absolute Wahrheit nicht erreichen könnten, weil ihre Weltanschauung unvollständig sei, und deshalb bezeichnete er sie als irrational. 

Imran Hussein: Um das, was wir heute besprochen haben, zusammenzufassen: Die islamische Weltanschauung ist umfassend und erkennt mehrere Wissensquellen an. Die Offenbarung gilt natürlich als höchste Autorität, aber sie erkennt auch die Rolle von Vernunft, Erfahrung und Empirismus innerhalb des richtigen Rahmens an.

Die moderne westliche Perspektive hat ihren Umfang jedoch eingeschränkt und konzentriert sich bloß auf Wissenschaft und Rationalismus. Diese eingeschränkte Sichtweise prägt ihre Wahrnehmung der Realität und erschwert es ihnen, metaphysische Konzepte wie die Existenz Gottes, von Engeln und Wundern zu begreifen. Das ergibt für sie alles keinen Sinn, eben aufgrund ihrer Weltanschauung.

Und ja, wir schätzen und erkennen auch an, was in mancherlei Hinsicht durch den Fokus auf Empirismus und Rationalität hervorgebracht wurde. Viele Entwicklungen waren nützlich und wertvoll. Aber es ist auch viel Schlechtes daraus hervorgegangen. Zum Beispiel wurden viele wissenschaftliche Entdeckungen auf schädliche Weise genutzt, weil die ethische Dimension fehlt. Es gibt keine Grundlage für Moral mehr – und wir werden uns nächste Woche damit befassen, inshaAllah.

Und hoffentlich entwickeln wir dann wirklich ein Verständnis dafür, wie sehr Weltanschauungen eine Rolle für unser Verständnis der Realität spielen und wie wir als Muslime auch dem Islam nachgehen.

Ein Student: Die islamische Weltanschauung hält die Offenbarung immer an oberster Stelle. Wir lehnen sie nicht ab, egal was passiert. Die westliche Weltanschauung hingegen lehnt manchmal ihre eigenen wissenschaftlichen Annahmen ab, wie zum Beispiel die Theorie des Urknalls, die von einigen Wissenschaftlern später verworfen wurde. Der Islam bleibt jedoch konsequent: der Qur’an und die Offenbarung stehen immer im Mittelpunkt.

Imran Hussein: Genau, 100%. Natürlich nutzen wir Vernunft, um zu diesen Schlussfolgerungen zu gelangen. Aber wenn man einmal zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass der Qur’an von Allah stammt, dann steht er an der Spitze der Erkenntnisquellen. Allah weiß es am besten – wir nicht. Deshalb folgen wir dem, was Allah uns anordnet, auch wenn wir die Weisheit dahinter nicht immer vollständig verstehen. Das ist die Logik dahinter. Deshalb „hören und gehorchen wir“, wie es die Gefährten taten. So, inshaAllah, schließen wir hier ab. Jazakallahu khayr. Möge Allah euch segnen. Wir machen das nächste Mal weiter.”

  1. Der Follow-Through im Cricket bezeichnet die fließende Weiterführung der Bewegung nach dem Abwurf des Balls, um die maximale Wirkung und Kontrolle zu gewährleisten.

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